Über die Zwänge der Sexualität

Kurze Anmerkung zu Philip Roths Roman „Portnoys Beschwerden“

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Für alle Leser von Philip Roth werden erfreulicherweise die Mühen unternommen, seine Romane neu zu übersetzen. Die jüngste Unternehmung ist der 1969 unter dem Titel „Portnoy’s Complaint“ erschienene Roman einer Obsession. Die Übersetzung wurde von Werner Schmitz besorgt. Der 1970 erstmals in deutscher Sprache erschienene Roman greift eines der großen Themen von Roth auf, Sexualität und die damit verbundenen Zwänge. Die Aktualität und Brisanz des Themas war im Jahre 1969 sicherlich deutlicher zu spüren, aber die von Roths Protagonisten durchlebten Schwierigkeiten scheinen so fern denn doch nicht zu sein. Trotz ständig öffentlicher Thematisierung von Intimität, Sex und sexueller Freiheit sind die individuellen Probleme mit dem Thema nicht geringer, vielleicht sogar größer geworden. Auf jeden Fall aber hat sich die Diskussion darüber auf eine andere Ebene verlagert.

 

 

Philip Roths Protagonist Alexander Portnoy ist Anwalt, dreiunddreißig Jahre alt, und eigentlich gibt es nur ein Thema, das ihn den ganzen Tag und die ganze Nacht beschäftigt: Sex. Er ist von Selbstzweifeln gequält und sucht einen Arzt auf, um sich seine Probleme von der Seele zu reden: „Ich stoße nichts als Klagen aus, der Widerwille scheint unerschöpflich, und langsam frage ich mich, ob es nicht bald mal reicht. Ich höre mich jener Art von ritualisierter Nörgelei freien Lauf lassen, die den Patienten von Psychoanalytikern in der Öffentlichkeit zu einem so schlechten Ruf verhilft. Kann ich diese Kindheit und diese meine armen Eltern damals wirklich in demselben Maße gehasst und verscheut haben, wie ich es heute zu tun scheine, wenn ich auf das, was ich war, vom Standpunkt dessen aus zurückblicke, was ich bin – und nicht bin?“ Zwar geht mit diesen Therapieversuchen auch eine Identitätskrise einher, aber die Zwänge des Alltags stehen trotzdem im Vordergrund: „Ich versuche, Ihnen gegenüber ehrlich zu sein, Doktor – weil die Phantasie des Menschen, wenn es um Sex geht, nicht einmal bei Z aufhört! Titten und Mösen und Beine und Lippen und Münder und Zungen und Arschlöcher! Wie kann ich auf etwas verzichten, das ich noch nie gehabt habe, für ein Mädchen, das mir, so köstlich und reizvoll es einmal gewesen sein mag, eines Tages unvermeidlich so vertraut sein wird wie ein Laib Brot?“

Man kann sich ein leichtes Schmunzeln bei der Lektüre kaum verkneifen, während man den Selbstkasteiungen Portnoys beiwohnen darf. Aber es ist auch deprimierend, wie eindimensional seine Persönlichkeit erscheint. Roth lässt diese Erkenntnisse auch bis zu seinem Protagonisten vordringen, um ihm die Möglichkeiten für Veränderungen zu geben. Aber auch seine Reflexion bezüglich seiner Existenz als „Erotomane“ entbehrt nicht einer gewissen Ironie, des Autors sowohl als auch des Protagonisten: „Mit Sicherheit ist mir niemals in den Sinn gekommen, ich könnte am Ende nichts anderes aus der Knechtschaft zu befreien versuchen als meinen Schwanz. LET MY PIMMEL GO! Sehen Sie, das ist Portnoys Slogan. Das ist die Geschichte meines Lebens in vier heroischen schmutzigen Wörtern. Eine Travestie! Meine Politik, zusammengeschnurrt auf meinen putz! WICHSKÜNSTLER ALLER LÄNDER, VEREINIGT EUCH! IHR HABT NICHTS ZU VERLIEREN ALS EUER GEHIRN! Das Monstrum bin ich! Der nichts und niemanden liebt! Nicht geliebt und nicht liebend!“

Diese Geständnisse trägt er seinem Psychiater vor, oder er möchte es zumindest, aber die damit verbundene Pointe lese man selber am Ende des Buches nach. Roth verknüpft Komik, Ironie, Groteske und Literatur. Obwohl vor vierzig Jahren geschrieben ist es immer noch ein aktuelles, das Selbstmitleid der Mitdreißiger humorig reflektierendes Buch, das seinen Platz in der Literaturgeschichte verdient hat.

Titelbild

Philip Roth: Portnoys Beschwerden. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz.
Carl Hanser Verlag, München 2009.
285 Seiten, 21,50 EUR.
ISBN-13: 9783446234017

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