„Heimat ist eine Beschlusssache“

Über Heike-Melba Fendels Roman „nur die“

Von Frauke SchlieckauRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frauke Schlieckau

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

 

„,Leben Sie, so lange es geht, im Abenteuer.‘ Diesen Rat ihres Professors befolgt die Frau mit dem erfundenen Namen nach Lust und Laune. Glück ist für sie eine Vermutung, und Paare sind ihr ein Graus. Sie tanzt in New York, tobt in Berlin und verliert sich an unwirtlichen Orten“, so steht es zumindest im Klappentext von „nur die“, dem Roman der Kölner Künstleragentin Heike-Melba Fendel. Auch die Presse verkauft das Buch vorrangig als Geschichte einer Frau, die das Abenteuer sucht, alles mitnimmt was geht, in New York strippt und zahlreiche Kerben in ihre Bettpfosten ritzen könnte, wenn sie denn so etwas machen würde. Sie macht es nicht, stattdessen gibt sie sich den klangvollen Zweitnamen Melba, baut in Köln eine Agentur auf, trinkt mit Künstlern und Filmproduzenten in der Berliner Paris Bar, in Cannes und anderswo.

Wer nun aber glaubt, mit dem Buch eine Reise in die Welt der High Society zu unternehmen, irrt. Im Fokus der Geschichte stehen überraschenderweise nicht die „gesellschaftlichen Ereignisse“ denen die Protagonistin beiwohnt, sondern Heike-Melba Fendels Schilderungen über Melbas Jugendzeit im grün-furnierten Reihenhaus, der gescheiterten Ehe der Eltern, der Arbeitslosigkeit des antisemitischen Vaters, dem kriegsbedingt beide Unterschenkel amputiert wurden, sowie ihre Begegnungen mit und Beziehungen zu Männern. Fendels Text ist dann stark, wenn sie von übergriffigem Verhalten des anderen Geschlechts erzählt, von „zudringlichen Fremden an unwirtlichen Orten“ – wirkt aber etwas konstruiert, wenn es um vergangene Jugendliebe geht, ein Heroin-Junkie, der mit einer Waffe auf Melba schießt. Verhältnisse, durch die das Mädchen „hindurchgeht, wie durch die weiteren guten und bösen Jungs auch, denen sie als Vorlage dienen sollten.“ Das, was sie in den Begegnungen mit Männern erlebt, nimmt Melba achselzuckend hin, lässt es gleichgültig über sich ergehen. „Ich hatte so etwas Ähnliches wie Verständnis für das Chronische seiner Unzulänglichkeiten“ konstatiert die Ich-Erzählerin rückblickend lakonisch. Oder um es mit David Bowie zu sagen: „ Some cats, they know how to fight / Some cats run / I’m a thousand generations ahead of them.“

Melbas Schutzschild heißt Resignation. Die große Liebe hält sie für eine Erfindung. Da Melba der Ansicht ist, dass Beziehungen eine Quelle des Unglücks sind, hangelt sie sich von einer Affäre zur nächsten. Die Autorin versucht zwar nicht zu ergründen, woher diese Einstellung kommt, die zahlreichen Verletzungen, die Melba zugefügt und die – in den neunundneunzig Fragmenten, aus denen der Roman besteht – lakonisch aneinandergereiht werden, sprechen für sich. Sie lassen Aussagen wie „Freundschaft ist weniger ausgedacht als der Rest, mit Freunden kann man sich neuerlich einlassen, mit dem Rest auf keinen Fall“ plausibel erscheinen.

Auch in „nur die“ gibt es zwar Spuren von Romantik, aber das Leben erstickt sie im Keim. So entpuppt sich Melbas verflossene Liebe, ein attraktiver Amerikaner, als sie ihn nach Jahren wiedersieht, keineswegs als der gutaussehende Traummann vergangener Zeiten, sondern präsentiert sich vielmehr als eine unansehnliche, gescheiterte Existenz. In einer weiteren Episode, lässt Fendel ihre Protagonistin einem Mann nach Braunschweig hinterher reisen, mitten im Winter, spontan und ungeplant, dem Impuls nachgebend. Aber der blonde Künstler ist natürlich nicht zu Hause und Melba in dünner Kleidung umsonst durch den Schnee gelaufen.

Den glamourösen Schauplätzen nur wenig Aufmerksamkeit widmend, ist „nur die“ die Betrachtung eines weiblichen Lebensentwurfes, der – unter mitleidigen Blicken der Außenwelt – praktiziert, was bisher den „ewigen Junggesellen“ vorbehalten war: Ein unabhängiges, selbstbestimmtes Leben. Dass das wiederum nicht ausschließlich freiwillig geschieht und durchaus mit Phasen der Einsamkeit einhergeht, liegt auf der Hand. Es ist der Preis, den die Hauptfigur in Kauf nimmt, um dem zu entgehen, was ihrer Meinung nach die meisten Paare praktizieren: Selbstverleugnung im Doppelpack. Aber was bleibt als Alternative?

Die Parallelen zwischen dem Lebenslauf Fendels und dem ihrer Protagonistin sind auffällig. Was aber erfunden, was erdichtet ist, ist für die Quintessenz, die sich aus der Lektüre von „nur die“ ergibt, unerheblich. Wesentlich ist, dass dieses Buch vom Dilemma moderner Beziehungen erzählt, die sich grundsätzlich anders entwickeln, als uns von der Unterhaltungsindustrie vorgegaukelt wird. Sie sind zumeist, wenn auch nicht weniger intensiv, so doch oft komplizierter, banaler und schmerzhafter als in den literarischen und filmischen Vorlagen und ziehen nicht selten die Erkenntnis nach sich, dass eins und eins in der Liebe nicht unbedingt immer zwei ergibt.

„nur die“ zeigt vor allem, dass Liebe in modernen Zeiten nicht mehr als eine rettende Insel fungieren kann, dass Partnerschaften keine Garantie für einen Rückzugs- und Schutzraum mehr darstellen. Im Gegenteil, die Palette der Kontakte wird „immer größer, weiter, bunter“, somit aber auch „flüchtiger, leichter, dem Fassadenspiel verhaftet“, was deshalb ein Problem darstellt, weil die Bindungen dadurch gleichzeitig zu „oberflächlichen Beziehungen werden, die sich in ihrer Beschaffenheit durch ein hohes Maß an Fragilität auszeichnen“.

„nur die“ gehört zu einer Reihe von neuen, intelligenten Frauenromanen, von Autorinnen wie Sybille Berg, Julia Zange und Charlotte Roche, deren Protagonistinnen pragmatisch, lakonisch und desillusioniert sind und die mit romantischen Klischees und althergebrachten Beziehungsbildern aufräumen. Die Texte zeigen, dass sowohl eine funktionierende Beziehung, als auch der Umstand keine zu haben, mit jeder Menge Druck und vorgefertigten Erwartungen aller Beteiligten verbunden ist. Sie zeigen aber auch, dass Partnerschaft im 21. Jahrhundert zu einer individuellen Angelegenheit geworden ist, die sich jeglicher Bewertung von Außen entzieht. „Ihr Was, Wie, Wie lange wird nun ganz in die Hände und Herzen der in ihr Verbundenen gelegt.“ Alles ist erlaubt. Die Ausgestaltung, aber auch die Form der Partnerschaft – ob an traditionellen oder modernen Prämissen ausgerichtet, obliegt nur den beiden Beteiligten, die auch die Folgen ihrer Entscheidungen allein zu tragen haben. Es sind Geschichten „über das Unglück in der westlichen Wohlstandsgesellschaft“, aber es sind auch Liebesgeschichten, die nicht aufgehen, die kein Happy End haben. Wer also glaubt, alles wird gut, der irrt.

Titelbild

Heike-Melba Fendel: nur die. Ein Leben in 99 Geschichten.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2009.
153 Seiten, 14,99 EUR.
ISBN-13: 9783455401912

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