Reading Schrödinger today

Über einen Sammelband zur Aktualität Erwin Schrödingers

Von Henrike LerchRSS-Newsfeed neuer Artikel von Henrike Lerch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im vorliegenden, dünnen Bändchen sind Aufsätze von vier namhaften Professoren unterschiedlicher Wissenschaften versammelt, die sich in einer „Philosophical Reading Group“ an der Stanford University drei Monate mit dem Leben und dem Werk des Physiskers Erwin Schrödinger befassten. Angezogen vom Denkstil Schrödingers und der Frage nach der wissenschaftlichen Innovationskraft kamen mit Hans Ulrich Gumbrecht, Robert Pogue Harrison, Michael R. Hendrickson und Robert B. Laughlin Forscher mit unterschiedlichen Interessen zusammenkommen. Das daraus entstandene Buch ist eine Hommage an den Wiener Physiker und Nobelpreisträger; es ist kein Sammelband für Fachgelehrte und auch kein Beitrag zu einer Fachdiskussion, sondern es finden sich grundlegende Gedanken zu Schrödinger, seinen Überlegungen und Einsichten sowie zu grundlegenden Problemen. Dass es sich hierbei nicht um eine Diskussion zu seinen bedeutenden Beiträge zur Quantenmechanik oder ähnlichen physikalischen Themen handelt, zeigt sich schon in der Fokussierung auf die eher philosophischen Überlegungen zur Frage „Was ist Leben“ und „Geist und Materie“, Schriften die aus Vorlesungen am Trinity College hervorgegangen sind.

Im ersten Beitrag, der auch als eine Art Einleitung gelesen werden kann, stellt Hans Ulrich Gumbrecht (Professor für Komparatistik) unter dem Titel „Die Nachhaltigkeit von Erwin Schrödingers Denken“ nicht nur die zentrale Gestalt Erwin Schrödinger vor, sondern beschreibt auch die nachhaltige Wirkung, die die Lektüre der Texte auf die „Philosophical Reading Group“ hatte. Die Nachhaltigkeit des Denkens Schrödingers führt Gumbrecht auf die Kreativität und Aktualität des Denkens zurück, aber auch auf dessen Stil. Der Versuch, hier Leben und Werk in Verbindung zu bringen, um in die Welt Schrödingers einzuführen, ist leider nur für denjenigen Leser glücklich, der bereits vorgebildet ist. Einige Eckdaten und Entwicklungen werden zwar genannt, aber eine klarere Darstellung dieser Fakten wären für ein breites Publikum sicher hilfreich gewesen.

Robert Pogue Harrison (Professor für italienische Literatur) ist von Schrödinger als Denker fasziniert. Mit Blick vor allem auf „Geist und Materie“ hebt er hervor, dass diese gerade keine naturalistischen Reduktionismen begehe, sondern obwohl er die Welt komplett naturwissenschaftlich erklären möchte, doch eine mystische Offenheit besitze, die den Geist als naturwissenschaftlich unzugänglich fasst und so ein philosophisches Element in die Physik bringe. Damit umreist Harrison klar, welche Gedanken Geisteswissenschaftler am Werk Schrödingers interessieren könnten, ohne jedoch weiter in die Tiefe vorzustoßen.

Der interessanteste Beitrag ist sicherlich der von Robert B. Laughlin „Schrödingers Problem. Oder: Was bei der Erfindung der Quantenmechanik nicht logisch zu Ende gedacht wurde“. Laughlin, selbst Professor für Physik, schreibt hier eine unterhaltsame und überaus lesenswerte kurze Geschichte der Quantenmechanik für Laien, die vor allem einen Einblick in den wissenschaftlichen Forschungsbetrieb gibt. Laughlin zeigt, wie Schrödinger auf Max Borns Experiment reagiert, welches seine berühmte Gleichung zu Fall zu bringen scheint. Doch Schrödingers eigene Lösungen der Problematik seien in der Diskussion diskreditiert worden, weil er mit bestehenden Tabus breche, die vor allem Werner Heisenbergs und Niels Bohrs Interpretatin stützten. Schrödinger stehe deshalb als Einzelkämpfer dem Wissenschaftsbetrieb gegenüber. Inwiefern Schrödingers Ansatz der gängigen Interpretation aber etwas entgegenzusetzen vermag, muss auf dem Feld der Physik erörtert werden. Es bleibt aber trotz allem ein lesenswertes Lehrstück über den universitären Forschungsbetrieb.

Eine ganz andere Art von Aktualität der Schrödinger’schen Gedanken versucht der Pathologe Michael R. Hendrickson zu geben. In „Schrödingers Geist. Überlegungen zur erstaunlichen Relevanz von Was ist Leben? für die Krebs-Biologie“ gibt er zwar eine sehr gute Einführung in die aktuellen Entwicklungen der Forschung, der allgemeinverständlich gehalten ist, aber die Aktualität Schrödingers ist in diesem Bereich nur marginal. Zwar waren Schrödingers Vorstellungen der Zellstruktur für diese Zeit sehr progressiv und die weitere Forschung konnte sich nur aus solchen Modellen entwickeln, aber es bleibt doch ein sehr umfangreicher Text (der längste des Buches), der sehr wenig mit Schrödinger selbst zu tun hat.

Sehr viel mehr über den Physiker erfahren wir im abschließenden Aufsatz „Das Singuläre festhalten und Offenheit riskieren. Wie Erwin Schrödinger seine Welt erfuhr“ von Gumbrecht. Dieser setzt sich mit Schödingers autobiografischen Aufzeichnungen auseinander. Das Gewicht dieser Auseinandersetzung liegt aber darauf, Schrödingers originären Denkstil auch in seiner Selbstdarstellung und durch diese zu finden. Doch es ist sicher aufschlussreich, die Haltung zur Welt in der Theorie und im privaten Leben zusammenzuführen.

Insgesamt bietet das Buch einen vielfältigen Blick auf einen großen Denker des 20. Jahrhunderts und regt an, sich Schrödinger selbst vorzunehmen. Doch mehr als ein Blick ist es nicht, denn die Beiträge sind mehr auf die persönlichen Leseerfahrungen als auf Wissenschaftlichkeit hin geschrieben. Aber gerade das kann in der Annäherung an einen Denker auch eine Stärke sein.

Titelbild

Hans Ulrich Gumbrecht / Robert Harrison / Michael Hendrickson / Robert B. Laughlin: Geist und Materie - Was ist Leben? Zur Aktualität von Erwin Schrödinger.
Übersetzt aus dem Englischen von Sabine Baumann.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2008.
150 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-13: 9783518260135

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