Vergangenheitsrätsel

Zu Barbara Bongartz’ Roman „Perlensamt“

Von Heribert HovenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Heribert Hoven

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

 

„Wer eine dunkle Geschichte mit sich herumschleppt, wird sie nicht lösen können in leichten Lieben.“ So lautet das Motto, welches dem neuesten Roman von Barbara Bongartz vorangestellt ist. Die 1957 in Köln geborene Autorin erzählt darin eine Geschichte, die komplizierter nicht sein könnte, und sie erzählt sie mit Bravour.

Dabei beginnt der Roman, ordentlich in Pro- und Epilog sowie in 34 Kapitel eingeteilt, ganz konventionell: „Gestern entschloß ich mich, das gesamte Material zu vernichten, das Perlensamts Familiengeschichte dokumentiert.“ Wie nicht anders zu erwarten, setzt dann die Handlung ein mit einem Rückblick auf die erste Begegnung zwischen dem Ich-Erzähler, Martin Saunders, und der Titelfigur David Perlensamt, und zwar vor dessen Haus in der Berliner Fasanenstraße. Das märchenhaft anmutende Anwesen habe bis zur Pogromnacht von 1938 einer jüdischen Familie gehört, berichtet Perlensamt seinem Zufallsbekannten.

Damit scheint ein erstes Thema gesetzt. „Meine Großeltern haben eine gewisse Verbindung zu diesen Leuten gehabt“, fährt er fort. „ Eine unschöne“, deutet er fernerhin an, obgleich ja, wie Saunders hervorhebt, sein Name ebenfalls sehr jüdisch klingt. Die nun folgende Einladung überrascht nicht nur den Leser, sondern auch den Eingeladenen selber. Warum, erfährt man indes wiederum nur in Andeutungen. Dies aber ist die typische Erzählweise der Autorin. Fast jedes Kapitel endet nach dem Serienprinzip mit einem cliff hanger, der einen sogleich weiterlesen lässt.

Während es also zunächst so aussieht, als trete die deutsche Vergangenheit in den Vordergrund, befinden wir uns bereits im zweiten Kapitel mitten in einem veritablen Kriminalfall. Denn wenige Tage nach dem Treffen liest Saunders in der Zeitung, dass im Hause Perlensamt ein Mord passiert ist. Bei seinem Besuch am Tatort entdeckt er ein Bild des französischen Malers Gustav Courbet, das seit dem Krieg als verschollen gegolten hat. Mit dem Thema Raubkunst gewinnt der Roman eine weitere Dimension.

Doch Saunders, der beruflich als Provenienzforscher für das New Yorker Auktionshaus Nobble NYC arbeitet, beginnt nicht nur die Geschichte dieses Bildes zu erforschen, sondern gerät zunehmend unter den Einfluss des mysteriösen Besitzers. Dessen Gebaren, das ihn zugleich anzieht und abstößt, gefährdet mehr und mehr das Selbstverständnis und die Selbstsicherheit des bislang überaus gewieften Saunders. Das spannungsreiche Verwirrspiel um Täter und Opfer, Schuld und Sühne, führt diesen immer tiefer in die eigene Familiengeschichte, die in der finsteren deutschen Provinz ihren Ursprung hat.

Der erfolgreiche Rechercheur aus Amerika erkennt schließlich, dass keiner das ist, was er vorgibt zu sein, nicht einmal die eigenen Eltern. Die Identität von Vorfahren und Kulturen erweist sich als Fiktion, ein Thema, das Barbara Bongartz bereits 2007 in dem autobiographischen Bericht „Der Tote von Passy“ durchgespielt hat. Namen verlieren ihre Orientierungsfunktion, Verwandtschaft entpuppt sich als schwer neurotisierte Wahlverwandtschaft. Am Ende lösen sich zwar einige Widersprüche und Unklarheiten auf, trotzdem entlässt der Roman den Leser eher ins Offene oder besser noch: in eine neuerliche Lektüre.

Obwohl die Autorin die drei Hauptschauplätze der Handlung, New York, Paris, Berlin, mit großer Detailkenntnis (auch der heute „angesagten Gegenden“, Lokale und Lokalitäten) schildert, bewegen wir uns in dem Roman auf sehr unsicherem Terrain, das am ehesten noch einem „Grimmschen Märchenland“ ähnelt, wo alles verzaubert ist und die Dinge „von vergangener Zeit raunen“. „Die Vergangenheit war identisch mit der Gegenwart, nur älter“, lautet eine der Erfahrungen, die Saunders macht. Tatsächlich erhellen sich die dunklen Geschichten nicht durch öffentlich gezeigte Betroffenheit, die ja bereits das Eingangsmotto als „leichte Lieben“ denunziert, sondern durch beharrliche Nachforschung, auch wenn sich dabei einmal scheinbar gesichertes Wissen in Luft auflösen sollte.

Titelbild

Barbara Bongartz: Perlensamt. Roman.
Weissbooks, Frankfurt a. M. 2009.
319 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-13: 9783940888433

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