Rumänische Väterliteratur

Carmen Francesca Banciu rechnet in ihrem Roman mit ihrem Vater und dem Staat ab

Von Anke PfeiferRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anke Pfeifer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Alles richtig machen, vor allem den Vater nicht enttäuschen – darum bemühte sich Carmen Francesca Bancius Erzählerin von klein auf. Verantwortung übernehmen, Pflichten erfüllen, fehlerlos und perfekt sein – ein Übermaß an strengen Forderungen verdrängt, ja raubt ihr die Kindheit. Arbeit, Aufopferung und Verzicht – diesen Tribut sei man der Gesellschaft und der Partei schuldig, die darauf abziele, den „neuen Menschen“ hervorzubringen und die Aussicht auf eine verheißungsvolle Zukunft zu eröffnen.

Als Tochter rumänischer Funktionäre verinnerlicht das Kind diese Ideale, gestattet sich nur heimlich kleine Fluchten und erzieht sich selbst zum Denken und Handeln in Sinne kommunistischer Ideologie. Doch ihre Kindheit empfindet sie als bedrückend. Schmerzlich vermisst sie elterliche Liebe, leidet unter dem großen Erwartungsdruck der Eltern, der auf ihr lastet, sowie unter den zugefügten seelischen und körperlichen Schmerzen, verursacht durch Ablehnung, Strafe und Verschweigen.

Zudem dringt immer wieder Geheimnisvolles und Beunruhigendes in die scheinbar klar geordnete Welt ein. Warum lehnt der Vater die Großmutter ab? Was weiß ihre beste Freundin, wenn sie das Wort „Deportation“ ausspricht? Und warum antwortet sie nicht auf die Briefe? Warum warnt die Mutter sie stets vor den Männern? Und die Russen und Amerikaner, bringen sie Befreiung oder Bedrohung? Und was ist falsch daran, Literatur zu verfassen?

Dem kritischen Blick der Jugendlichen hält schließlich die Diskrepanz zwischen Sein und Schein in ihrer Umgebung nicht mehr stand. Sie begehrt selbstbewusst auf, verweigert dem Staat die Loyalität und geht ihren eigenen Weg, der Verrat an Eltern, Vaterland und Kommunismus bedeutet.

Als sie Jahre später ihren alten Vater in Rumänien besucht, kehren die Erinnerungen an Kindheit und Jugend zurück, werden Gefühle und Ängste von damals wieder wach, nun aber reflektiert aus der wissenden Position der Erzählerin um historische Bedingungen, Familiengeschichte und einstige Tabus.

Es ist ein Buch über ein gescheitertes Gesellschaftssystem und über gebrochene Lebensentwürfe, über soziale Ideale, Fehler und menschliche Schwächen, über Hoffnungen und Enttäuschungen, aber auch über Generationskonflikte und traditionelle Geschlechterrollen. Es zeigt, wie stark individuelle Biografien und Geschichte miteinander verflochten sind, wie unterschiedliche Herkunft und Weltanschauung Familien zu zerreißen vermögen.

Deutlich im Lebensrückblick ist die ironische Distanz zu damaligen Heilsversprechungen, explizit aber vor allem der Schmerz der Frau, die nicht vergessen hat und doch dem Vater gegenüber um Verständnis und Vergebung ringt.

In diesem bereits 1998 erschienen Band, der nun in Neuauflage vorliegt, finden sich bereits die knappen, wie zerhackt wirkenden Sätze, die den Leser aufmerken lassen – ein Stilmittel, das die Autorin dann im zweiten Band der geplanten Trilogie „Das Lied der traurigen Mutter“ verstärkt nutzt, um Emotionalität zu transportieren.

Titelbild

Carmen-Francesca Banciu: Vaterflucht. Roman.
Rotbuch Verlag, Berlin 2009.
128 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-13: 9783867890779

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