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Mit „Achtung Zone“ legt Jana Hensel einen reichlich unausgegorenen Beitrag zum Jubiläumsjahr vor

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Jana Hensels neues Buch ist – dem Bekunden der Autorin in ihrem kurzen Vorwort nach – eine Fortsetzung der „Zonenkinder“ von 2002 „mit anderen Mitteln“. Wer sich an diese noch erinnert und nun vom Nachfolger erwartet, dass die Verfasserin in den zurückliegenden sieben Jahren ein paar neue Erkenntnisse hinzugewonnen hätte, sieht sich allerdings weitgehend getäuscht. Auch an Hensels Stil hat sich kaum etwas geändert. Eher noch ungenauer ist er geworden und selten in der Lage, dem Leser wirklich nachvollziehbare Erkenntnisse zu vermitteln. Kostprobe gefällig? Aber gern – schlau werden müssen Sie freilich selbst aus dem Folgenden: „In den letzten 20 Jahren ging es nicht mehr voran, aber es ging auch nicht dahin zurück, woher man kam, in was man kannte, was einem vertraut erschien.“

Abgesehen davon, dass hier für den gesamten Osten eine gesellschaftliche Pattsituation festgeschrieben wird, wie sie so einfach nicht existiert – nicht einmal Blinde würden Hensels schiefen Satz unterschreiben, verfügen doch, im Gegensatz zu 1989, inzwischen auch die Ampeln in den neuen Ländern über Signaltöne –, ist auch die angedeutete Alternative eines „Zurück“ höchst fragwürdig. Denn in der „Zone“, das weiß auch der westlich der Elbe Sozialisierte inzwischen etwas genauer, konnte man zwar lieben und hassen, leben und sterben, aufsteigen und fallen wie überall auf der Welt, ansonsten trat man aber auf der Stelle, hatte den Mund zu halten und Fäusteballen war nur öffentlich an den Kampftagen der Arbeiterklasse erlaubt. Wer sich nicht an die Regeln hielt, hatte nichts zu lachen und landete im gesellschaftlichen Abseits oder an noch düstereren Orten. Und jener nicht unerhebliche Prozentsatz von Ost- oder Westdeutschen oder beiden zusammen, der sich heute die Mauer und die deutsche Zweistaatlichkeit zurückwünscht, würde zu den ersten schreiend Davonlaufenden gehören, entspräche man diesem Wunsch tatsächlich.

Aber natürlich wollen diese Ostalgiker in der Mehrzahl der Fälle nur spielen. Und „Achtung Zone“ – ohne Komma und Ausrufezeichen wirkt der Buchtitel merkwürdig kraftlos – will im Grunde auch nicht mehr. Keinesfalls soll den Dingen auf den Grund gegangen werden. Eine wirkliche Alternative zum konstatierten Unbehagen an der Gegenwart anzubieten, fällt Jana Hensel nicht ein. Und was ihr einfällt – auf die Andersheit der Ostdeutschen zu pochen und sie einzufordern als deren historisch erworbenes Eigen, das bleiben soll – ist weder neu noch gibt es irgendwo in unserem Lande einflussreiche Kräfte, auf deren Agenda die Ausmerzung mentaler, kulturgeschichtlicher und historischer Unterschiede zwischen Nord, Süd, Ost und West stünde.

Dass Willy Brandts Satz vom endlichen Zusammenwachsen des Zusammengehörigen, so wie ihn die Medien seither kolportiert, am 10. November 1989 auf dem Balkon des Schöneberger Rathauses gar nicht gesagt wurde, macht ihn übrigens nicht unwahr. Bei Jana Hensel beginnt mit dieser „Lüge“ – bei der es sich lediglich um einen (verzeihlichen) Irrtum handelt – nicht nur ihr Buch, sondern auch der quälende Weg der 17 Millionen DDR-Deutschen in eine Einheit, die sie so nicht gewollt haben, die ihnen übergestülpt wurde, sie ihrer Identität beraubte und schließlich Lähmung erzeugte. „Sinnstiftende Ereignisse“, so konstatiert die Autorin, habe es in den letzten zwanzig Jahren keine mehr gegeben. In der Bilanz wirke die Zeit seit der friedlichen Revolution „wie eine lange, vergebliche Suche nach einem Sinn“.

Das längste Kapitel des Buches, mit mehr als 60 Seiten fast ein Drittel des Gesamttextes für sich beanspruchend, erzählt noch einmal, aus unterschiedlichsten Quellen kolportiert, die sattsam bekannte Geschichte des DDR-Schauspielerehepaars Jenny Gröllmann und Ulrich Mühe. Aus der ließen sich sicherlich Erkenntnisse gewinnen, was den Verlauf des Vereinigungsprozesses in den zurückliegenden 20 Jahren betrifft. Aber Jana Hensel wärmt nur olle Kamellen auf und erzeugt in ihrem gutwilligen Leser damit nach und nach das Gefühl, mit der ganzen Seitenfüllerei solle nur darüber hinweggetäuscht werden, dass die Autorin im Grunde nichts Substanzielles zu sagen hat. Das schwachbrüstige Fazit der Familientragödie passt dann sehr gut zu diesem Eindruck: „Jeder ist Täter ist Opfer ist Opfer ist Täter. Immer und ständig.“

Genau dieses das ganze Pamphlet durchziehende Relativieren, das Wechselspiel von mutig wirkendem Vorpreschen auf politisch scheinbar unkorrekte Positionen, dem sofort der Rückzug ins Ungefähre folgt, war für mich das Ärgerlichste an der Lektüre von „Achtung Zone“. Hier äußert sich ein Ich zu Fragen der Zeit, das einerseits mehr sein will als die Vertretungsinstanz einer singulären Meinung, andererseits aber auch nicht so richtig klarmachen kann, für wen genau es nun seine Stimme erhebt.

Titelbild

Jana Hensel: Achtung Zone. Warum wir Ostdeutschen anders bleiben sollten.
Piper Verlag, München 2009.
188 Seiten, 14,95 EUR.
ISBN-13: 9783492053655

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