Leben in Absurdistan

Über Serhij Zhadans „Hymne der demokratischen Jugend“

Von Monika GroscheRSS-Newsfeed neuer Artikel von Monika Grosche

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ostukraine, das klingt nicht gerade nach einem Ort, wo junge Leute ihren Lebenstraum verwirklichen können. Vor allem seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion läuft dort nichts mehr, wie es einmal war – denn statt der erhofften „Segnungen“ des Westens sieht man sich nun mit dem Irrwitz einer Gesellschaft konfrontiert, in der Geld alles ist – aber kaum jemand über ebendieses verfügt.

Serhij Zhadan, von vielen Kritikern in seiner Heimat als der ,ukrainische Rimbaud‘ gefeiert, berichtet in den sechs Erzählungen des im Sommer 2009 auf Deutsch erschienenen Bandes „Hymne der demokratischen Jugend“ vom Leben in der ostukrainischen Metropole Charkiw. Seine Helden versuchen sich dort mehr schlecht als recht durch das Leben zu schlagen.

Sie alle sind ausgesprochen einfallsreich, wenn es darum geht, Ideen zu entwickeln, um irgendwie an Geld zu kommen. Wie etwa San Sanytsch, der der Gruppe „Boxer für Gerechtigkeit und soziale Adaption“ (eigentlich ein Ring zur Erpressung von Schutzgeldern) den Rücken kehrt und eine etwas weniger gefährliche Arbeit sucht. Dabei landet er ausgerechnet bei seinem alten Kumpel Goga, der soeben die „Butterbrot“-Bar erstanden hat. Doch die vermeintliche „Goldgrube“ entwickelt sich zum Desaster. Schließlich greifen die beiden Machos zum letzten Strohhalm: Sie gründen dort den ersten Schwulenklub der Stadt. – Aber auch den setzen sie mit Pauken und Trompeten in den Sand.

Auch die Oschwanz-Brüder, die sich seit Jahren einen Namen in der Halbwelt von Charkiw gemacht haben, sind es leid, krumme Dinger zu drehen und wünschen sich ein ruhigeres Betätigungsfeld. Gestorben wird immer, das wissen sie aus eigener praktischer Erfahrung. Deshalb möchten sie mit ihrer neu gegründeten Bestattungsfirma „House of the Death“ – „Wenn schon begraben, dann nur mit uns“, ganz groß ins Geschäft mit dem Tod einsteigen. Doch auch ihr Vorhaben steht unter keinem guten Stern. Ausgerechnet auf einer wichtigen Konferenz in Budapest verschwindet ihr Text zur Power-Point-Präsentation, sodass stattdessen ein politischer Aufruf der Kommunisten aus dem ostukrainischen Donezk-Becken verlesen wird.

Man muss schon eine gute Portion Slapstick mögen, um den skurrilen Situationen rund um die Protagonisten, die nicht nur in Geschäftsdingen, sondern auch in ihrem Liebesleben in immer neue Fallstricke geraten, etwas abgewinnen zu können. Mit beißender Ironie erzählt Zhadan in rasantem Erzähltempo von den Absurditäten des (Über-)Lebens in der neuen Zeit, die in der Ukraine Einzug gehalten hat.

Und so überspitzt und überzeichnet manche der Geschichten auch daherkommt, will das Lachen über die verkappten Helden und ihre irrwitzigen Ideen dennoch nicht fröhlich klingen – denn die Lebenswirklichkeit der postkommunistischen Ukraine dürfte nur unweit von dem entfernt sein, was Zhadan zu Papier bringt.

Serhij Zhadan weiß dabei genau, wovon er spricht, gehört er doch selbst der alternativen Kulturszene in Charkiw an. Der 1974 in Starobilsk geborene Autor, der über den ukrainischen Futurismus promoviert hat, gehört zu den populärsten Lyrikern des Landes. Er hat bereits zahlreiche Gedichtbände und mehrere Romane in seiner Heimat veröffentlicht. Einige seiner Titel liegen auch auf Deutsch vor, darunter die Romane „Depeche Mode“ und „Anarchy in the UKR“.

Titelbild

Serhij Zhadan: Hymne der demokratischen Jugend.
Übersetzt aus dem Ukrainischen von Juri Durkot und Sabine Stöhr.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2009.
187 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-13: 9783518421185

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