Aus dem Schatten des Dichters

Gaby Pailer über das Leben der Charlotte von Schiller

Von Nikolas ImmerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nikolas Immer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Ueberhaupt kommt mir vor […], daß die Frauenzimmer geschaffen sind, die liebe heitre Sonne auf dieser Menschenwelt nachzuahmen, und ihr eigenes und unser Leben durch milde Sonnenliebe zu erheitern.“ Als Friedrich Schiller diese Worte am 27. November 1788 an Charlotte von Lengefeld richtet, weiß er noch nicht, dass die Adressatin des Briefes in weniger als fünfzehn Monaten sein Gattin werden, in den folgenden gut fünfzehn Jahren vier Kinder zur Welt bringen und nach seinem Tod das Andenken an den Dichter pflegen wird. Schiller seinerseits greift 1788 noch auf eine allgemeine imitatio solis zurück, um Charlotte zwar zu huldigen, aber auch implizit auf das um 1800 dominate weibliche Rollenbild hinzuweisen: auf das des liebenden, heiteren und milden Frauenzimmers.

Im Kosmos weiblicher Persönlichkeiten, die das kulturelle und insbesondere literarische Leben im ausgehenden 18. Jahrhundert mitgestaltet haben, ist Charlotte von Schiller längst keine Unbekannte mehr, wie es etwa jüngst das bio-bibliografische Lexikon „Frauengestalten Weimar-Jena um 1800“ (Herausgegeben von Stefanie Freyer, Katrin Horn und Nicole Grochowina, 2009) belegt. Trotz dieser Bekanntheit wird Charlotte von Schiller auch heute noch oft auf die Rolle der Gattin reduziert, ungeachtet der Tatsache, dass sie selbst literarisch produktiv gewesen ist. Zwar hat sie mit ihren Arbeiten keine solche Bekanntheit erlangt wie ihre Schwester Caroline, deren Roman „Agnes von Lilien“ (1798) kurzzeitig immerhin für ein Werk Schillers gehalten wird. Charlotte hat jedoch eine Reihe von – heute so gut wie unbekannten – Erzählungen verfasst, die einen eigenen literarischen Wert besitzen.

Das einseitige Bild der dienenden Dichtergattin hat sich nicht zuletzt aufgrund der tendenziösen Monografien des 19. Jahrhunderts verfestigt, in denen Charlotte zur ‚Gehilfin‘ an der Seite des Dichters herabgestuft wurde. Auch neuere Studien – wie etwa die von Ursula Naumann („Schiller, Lotte und Line. Eine klassische Dreiecksgeschichte, 2004) oder Eva Gesine Baur („,Mein Geschöpf mußt du sein‘. Das Leben der Charlotte Schiller“, 2004) – haben diese Verzeichnung eher anders perspektiviert als sie entscheidend zu korrigieren. Das liegt vor allem darin begründet, dass sich die neueren Darstellungen zumeist auf der Grenze zwischen Populär- und Literaturwissenschaft bewegen und Charlottes Leben vor und nach der Bekanntschaft und Ehe mit Schiller bestenfalls ausschnitthaft in den Blick nehmen.

Einen Gegenentwurf zu diesen Arbeiten bildet jetzt die Monografie von Gaby Pailer, die philologisch exakt und sprachlich konzentriert einen genauen Lebensabriss Charlotte von Schillers liefert. Eigens hervorzuheben ist – da dies in der Charlotte-Biografik unüblich scheint –, dass Pailer die Bestände des Goethe-und-Schiller-Archivs in Weimar gründlich ausgewertet hat, um den Entwicklungsgang Charlottes, soweit es die Quellen erlauben, im Detail nachzuvollziehen.

So werden beispielsweise die Berichte der Schwestern Charlotte und Caroline über ihre 1783/84 gemeinsam unternommene Reise in die Schweiz zueinander in Kontrast gesetzt und Charlottes Bekanntschaft mit dem schottischen Offizier Henry Heron geschildert, dessen Gegenwart ihr nicht nur „viele angenehme Stunden“ bereitet, sondern mit dem sie sich auch über Literatur austauscht und der ihr sogar Ratschläge bei der Übersetzung von Gedichten erteilt. Der andere Mann der frühen 1780er-Jahre, der sich mit seinen Briefen eindringlich um Charlotte bemüht, ist Karl Ludwig von Knebel, dessen Brief über die Verschiffung Herons Pailer erstmals originalgetreu abdruckt.

Jedoch steht die Beziehung zu Friedrich Schiller auch bei Pailer im Mittelpunkt, ein Verhältnis, das sie geschickt einleitet, indem sie die Erinnerungen der Lengefeld-Schwestern nebeneinanderstellt. Während Charlotte den folgenreichen 6. Dezember 1787 als „heitern Wintertag“ erlebt („Schillers Leben bis 1787“, Manuskript), spricht Caroline von einem „trüben Novembertage“ („Schillers Leben“, 1830), wohl auch um die Ankunft der verhüllten Reiter – Schiller und Wilhelm von Wolzogen – spektakulärer zu präsentieren. In Rudolstadt, im Haus der Schwestern von Lengefeld, nimmt die Dreieckskonstellation ihren Anfang.

Dass dieses wechselseitige Verhältnis immer auch mit Fragen der Literatur verknüpft ist, zeigt Pailer am Beispiel des Romanfragments „Der Geisterseher“ (1787-89). Schillers Aufgabe, die er an beide Schwestern richtet, besteht darin, ihm ein „Portrait“ der schönen Griechin zu liefern, die im Roman die Sinne des Prinzen verwirrt. Während es vordergründig schlicht um einen Vorschlag zur Fortsetzung seines Textes geht, impliziert diese Anregung, wie Pailer nahelegt, hintergründig weitaus mehr: „Was würden sie“, Charlotte und Caroline, „unternehmen, wie weit würden sie gehen, um ihn zu erobern?“

Wie weit sie gehen würden, erweist sich Anfang August 1789, als ihm Caroline in Bad Lauchstädt Aussichten auf Charlottes Hand macht. Diese Konstellation, die Beziehung zweier Frauen zu einem als ‚göttlich‘ apostrophierten Mann, kontextualisiert Pailer überzeugend mit der Fabel von Amor und Psyche, einen Stoff, den Charlotte in zwei Gedichten aufgegriffen hat. Eines der Gedichte endet mit einer Strophe, die womöglich auf Charlottes eigene Liebesblindheit anspielt: „Wenn der Liebe Fessel bindet / Suche nicht der Wahrheit Schein; / Ach der süsse Wahn verschwindet: / Und es bleibt das Herz allein.“

Nach der Eheschließung übernimmt Charlotte mehr und mehr die Rolle einer „geistigen Partnerin und Assistentin“, da sie Schiller unter anderem dabei unterstützt, die Korrespondenz zu erledigen. Erst nach der Jahrhundertwende wird ihr Wunsch stärker, selbst schriftstellerisch tätig zu werden. In dieser Zeit entstehen sechs Erzählungen, die überwiegend im vorrevolutionären Paris spielen und von denen drei anonym in Literaturzeitschriften veröffentlicht werden. Wie Pailer ausführt, bleibt es ein prinzipiell diffiziles Problem, bestimmen zu wollen, ob die Texte als Originalwerke oder als Bearbeitungen fremdsprachiger Vorlagen anzusehen sind. Für die Erzählungen „Der Bastard von Navarra“ und „Die Königinn von Navarra“ hat Pailer die französischen Prätexte ermitteln können

Die ‚Aufwertung‘ Charlottes zur Dichterin schlägt sich auch darin nieder, dass ihr mit dem Einzug in das Weimarer Haus an der Esplanade ein eigener Arbeitsraum eingerichtet wird. In dieser Zeit entstehen mehrere antikisierende Gedichte, die jedoch ungedruckt bleiben und die sich nur in den wenigsten Fällen genau datieren lassen. Zwar sind Schillers Reaktionen darauf nicht bekannt, doch können sie, wie Pailer erwägt, aus seinen mit Johann Wolfgang Goethe geführten Diskussionen über das Problemfeld des Dilettantismus abgeleitet werden. Dort ist beispielsweise mit Blick auf das Versepos „Die Schwestern von Lesbos“ (1801), das Amalie von Imhoff an Schiller geschickt hatte, abschätzig von „Frauenzimmerlichkeiten“ die Rede.

Ungeachtet der poetologischen Distanz versucht Charlotte, ihrem Gatten, der am 9. Mai 1805 in ihrem Beisein stirbt, ein ehrendes Andenken zu bewahren. Pailers Arbeit veranschaulicht dabei auf bemerkenswerte Weise die unterschiedlichen Formen von Charlottes Gedächtnisstiftung: indem sie eifrig mit dem Verleger Johann Friedrich Cotta verhandelt, sorgt Charlotte für die Einteilung und Ausstattung von Schillers Werkausgabe; indem sie ihre dichterischen Fähigkeiten nutzt, entwirft sie ein Gedächtnisgedicht, das in zwei verschiendenen Fassungen ihre Witwenschaft vergegenwärtigt; und indem die Kinder unter ihrer Obhut aufwachsen, versucht sie, sie im Geiste Schillers zu erziehen: „Aber glauben Sie mir […], daß ich meine Kräfte aufbiete, nicht unter zu liegen, daß ich den Willen habe für Schillers Kinder, für sein Andenken zu leben. […] Er soll nicht umsonst seine besten […] Jahre in meinen Hände gelegt haben; ich werde treu über seine Kinder wachen, u. für sie leben.“

Diese ‚Wachsamkeit‘ über die Kinder verdeutlicht im besonderen der rege Briefwechsel, den sie mit ihren Söhnen Karl Ludwig Friedrich und Ernst Friedrich Wilhelm führt. Während sie Karl detailliert mitteilt, wie er seine Lebensführung während des Studiums in Heidelberg einrichten soll, versucht sie zunächst vergeblich, Ernst eine juristische Anstellung im Weimarer Herzogtum zu verschaffen. Auch lässt sie den Austausch mit Knebel wieder aufleben und widmet sich erneut literarischen Projekten, mit denen sie sich während ihrer Ehe mit Schiller nur bedingt beschäftigen konnte. Wie Pailer resümiert, hat Charlotte, rein „quantitativ betrachtet, […] vor und nach der Zeit mit Schiller das meiste geschrieben“.

Gaby Pailers ansprechende und kundige Monografie schließt eine lang bestehende Lücke, da sie unter Berücksichtigung vieler Archivmaterialien erstmals quellengestützt herausarbeitet, wie Charlotte auch an der Seite ihres berühmten Gatten nicht zuletzt zu ihrer dichterischen Individualität zu finden vermag. Was leider nach wie vor fehlt, ist eine Edition der literarischen Werke Charlotte von Schillers, die bislang nur unvollständig in der veralteten Ausgabe greifbar sind, die Ludwig von Urlichs 1860-65 veranstaltet hat („Charlotte von Schiller und ihre Freunde“). Nach Auskunft Pailers ist eine solche Edition inzwischen in Vorbereitung – eine Edition, mit deren Erscheinen Charlotte endgültig aus dem Schatten ihres Gatten herausgetreten sein wird.

Titelbild

Gaby Pailer: Charlotte Schiller. Leben und Schreiben im klassischen Weimar.
wbg – Wissen. Bildung. Gemeinschaft, Darmstadt 2009.
203 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-13: 9783534219735

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch