Neues vom katalanischen Kurzstreckenmeister

Quim Monzós „Tausend Trottel“ bieten facettenreich und fantastisch fabulierte Short Stories

Von Bernd BlaschkeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Bernd Blaschke

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nur wenige bedeutende Schriftsteller dürften ihre ersten Schritte als Autor im Genre der Kriegsreportage gemacht haben. Quim Monzó, der als wohl wichtigster Autor katalanischer Sprache den Katalonien-Schwerpunkt der Frankfurter Buchmesse 2007 mit einer Rede eröffnen durfte, zählt zu ihnen. In den frühen 1970er-Jahren war der 1952 geborene Autor als Kriegsreporter in Vietnam, Kenia, Nordirland und Kambodscha unterwegs. Eine solche Schreibschule führte, wohl im Verbund mit seiner Vorliebe für die Popkultur zu einem lakonischen Schreiben, das sich gleichwohl den großen existenziellen Themen nicht verweigert. Einen weiteren gewichtigen Einfluss stellen die Autoren der argentinischen Moderne dar, namentlich Julio Cortazár und Jorge Luis Borges, deren kraftvoller Fantastik Monzó leichthändig nachzueifern versteht.

Monzó hat seit 1977 zwei Romane und sechs Bände mit Erzählungen und noch einmal genauso viele Bände mit gesammelten journalistischen Texten vorgelegt. Zudem verfasste er als eine Art Hans Dampf in allen katalanischen Medien das Drehbuch für eine Telenovela und arbeitet ferner als beliebter Radiomoderator. Und als Liedertexter, Grafikdesigner, Comiczeichner und Übersetzer hat er sich ebenfalls schon betätigt. In Spanien ist er ein Star. Im Rest der Welt – die ihn, der selbst ein versierter Literaturübersetzer vor allem anglo-amerikanischer Modernisten ist, eifrig übersetzt – gilt er meist immer noch als Geheimtip. Joachim Unselds Frankfurter Verlagsanstalt, die Monzós Werk hierzulande pflegt, legte 2007 zum Katalonien-Schwerpunkt der Buchmesse die hundert Erzählungen seiner vorherigen Geschichten-Bändchen in einem dicken Wälzer versammelt vor. Die Kritik rühmte, dass an diesen gesammelten Kurzgeschichten aus nahezu dreißig Jahren die Vervollkommnung eines immer prägnanter fabulierenden Meistererzählers nachvollziehbar werde.

Nun folgt dieser Entwicklungs-Revue wieder ein gewohnt schlankes Buch seiner neuen Short Stories, die auf kürzester Strecke Lebensmomente, Charaktere und fantastische Begebenheiten zur – bei Monzó immer geschliffenen – Sprache bringen. Der sinnliche Genuss des Lesers beginnt schon bei der Betrachtung des Schutzumschlags, der in altertümelnder Schrift und Farbgebung von Neo Rauch gestaltet wurde. Lakonisch berichtet die erste Erzählung, „Herr Beneset“, von den wunderlichen Kleidungswünschen eines Altenheimbewohners und den merkwürdigen Begegnungen mit seinem Sohn. „Die Liebe ist ewig“ spielt psychologisch kunstvoll und moralisch irritierend mit existenziellen Motiven von Krankheit, Liebe, Tod und Bindungsangst. Monzó verdichtet diese großen Themen fulminant in kurze anekdoten- oder parabelhafte Erzählungen.

Dass eine zehnseitige Geschichte auch aus den gedehnten, repetitiven Beschreibungen monotoner Beschäftigungen eines einzigen Samstags bestehen kann, beweist der Autor mit der dritten Short Story, die vom Hyperrealismus ausgehend schließlich im Surrealen endet. Minutiös wird hier berichtet, wie eine Frau sämtliche Erinnerungsobjekte an einen verflossenen Gefährten zerstört und aus ihrer Wohnung entsorgt – und bei diesem radikalen Häutungsprozess auch vor dem eigenen Körper nicht halt macht. Einer ähnlich zeitlupenhaft überaufmerksamen Erzählhaltung folgt eine weitere Geschichte, die einen Erzähler stundenlang aus dem Fenster blicken lässt, wobei das Gesehene weniger aufregend ist als die Meditationen des Erzählers über die Schwierigkeiten und Lüste des Hinsehens.

Eine kleine, pointierte Literaturbetriebssatire über das Nicht-Verhältnis eines arrivierten Schriftstellers zu einem jungen aufstrebenden Kollegen bietet der Text „Das Lob“. Resultiert die Spannung in dieser Erzählung aus der asymmetrischen Beziehung der beiden Autoren, so steht Franz Kafka in der folgenden Erzählung Pate durch die Wahl des bedrückend ausweglosen Ortes. Denn die mit 20 Seiten längste Geschichte spielt als Mittelstück des Buches, wie schon die Eröffnungserzählung, in einem Altenheim. Der erquickende Titel dieser Erzählung, „Der Frühling kommt“, kontrastiert beinahe sarkastisch die schleifenförmige Existenz der lebensmüden, kranken und doch nicht sterbenden alten Eltern eines Sohnes. Kunstvoll werden Erinnerungen des Sohnes mit seinen Träumen und Ängsten und mit den Wünschen der Eltern verknüpft. Dem ersehnten Ende des lähmenden, qualvollen Weiterlebens wird am Ende der Geschichte nicht nachgegeben. Der im Titel angekündigte Frühling wird im Schlussbild nur im modus irrealis aufgerufen: vorerst ist es unerbittlich Winter, die Äste vor dem Fenster sind kahl, der Stadthimmel ist dunstig.

Die zwölf Miniaturen des zweiten Teils von „Tausend Trottel“ sind noch kürzer und pointenhafter. Sie haben den Charakter von Zeitschriften-Kolumnen. Die zweite dieser Kürzestgeschichten, „Dreißig Zeilen“, macht das Schreiben für einen vorgegebenen, sehr engen Rahmen gar zu ihrem Thema. In „Eine Nacht“ nimmt sich Monzó das Dornröschen-Märchen, um ihm eine modern-erotische Wendung, doch zugleich ein modern-trauriges Ende zu verpassen. Das Genre der Märchen-Adaptation fand sich auch schon in den vorherigen gesammelten Erzählungen, wo Monzó, der auch jenseits der Märchen-Variationen ein freizügiger Dichter der Erotik ist, Schneewittchen um überraschende Varianten vermehrte. In seinem Roman „Das ganze Ausmaß der Tragödie“ erfand er 1989 übrigens einen Protagonisten, der mit einer nicht endenden Erektion gesegnet war, bis er im 8.Kapitel des (im Elfenbein Verlag auf Deutsch erschienen) Buches erfahren muss, dass diese phallische Unendlichkeitserhebung eine tödliche Krankheit bedeutet. Diese Kolumnen-Erzählungen, von denen man übrigens gerne erführe, ob und wo und wann sie zuerst publiziert wurden (das Buch verschweigt solche Nachweise), spielen gekonnt verschiedene Stadien der Paarbildung durch. Vom Party-Small-Talk des ersten Kennenlernens über Geschenke zwischen Eheleuten in erzieherischer Absicht bis zu den Veränderungen oder statischen Ritualen innerfamiliärer Kommunikation erweist sich der Autor als ein aufmerksamer Beobachter des Zusammenlebens.

Mit Monika Lübcke hat die bewährte und gerühmte Übersetzerin Monzós auch diesen neuen Band wieder schlackenlos vom Katalanischen ins Deutsche übertragen. Monzó hat als Erzähler Humor, scheut sich aber auch nicht vor der Betrachtung schmerzlicher Zustände und trauriger Milieus. Dann besitzt er durchaus die Gabe des bösen, sarkastischen Blicks. So etwa, wenn in der kürzesten dieser Geschichten die Jungfrau Maria sich bei der Verkündigung ihrer heiligen Schwangerschaft dem Engel widersetzt und der Titel der Geschichte eine Abtreibung insinuiert. Kürzer und prägnanter kann man einschneidende Veränderungen des Gangs der (dann eben nicht mehr) christlichen Weltgeschichte kaum evozieren. Wie die großen Autoren Lateinamerikas von Jorge Luis Borges bis Roberto Bolaño verfügt Monzó über die Register realistischer und fantastischer Welterfassung. Die Lektüre seiner Texte hält für den Leser mithin immer wieder Überraschungen bereit.

Titelbild

Quim Monzo: Tausend Trottel.
Übersetzt aus dem Katalanischen von Monika Lübcke.
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt a. M. 2009.
142 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-13: 9783627001629

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