Die normale Ehehölle der Fünfziger Jahre

Philipp K. Dicks früher Roman „Unterwegs in einem kleinen Land“ wiederentdeckt

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Leben ist nicht einfach. Schon gar nicht, wenn man es sich nicht einfach macht. Das muss auch Roger Lindahl merken: Sein Fernsehgeschäft in Los Angeles, das er Anfang der 1950er-Jahre eröffnet hat, als das Fernsehen noch neu war, läuft nicht so, wie er es sich gehofft hat. Und mit seiner Frau Victoria versteht er sich auch nicht. Also beschließen sie, ihren Sohn Gregg auf eine Privatschule in den Bergen zu schicken, bis sich ihr Verhältnis wieder ein wenig entspannt hat.

Aber das tut es nicht. Im Gegenteil. Die Fahrt zum Internat ist weit und anstrengend, an jedem Sonntag müssen sie Gregg dort hinbringen, am Wochenende wieder abholen. Die Leiterin der Schule ist eine seltsame, unverblümte Frau, mit der sich Roger zunächst überhaupt nicht versteht. Immerhin wäre es möglich, dass man sich die Fahrten mit einem anderen Ehepaar aus Los Angeles teilt, mit den Bonners. Aber dann verlieben sich Roger und Liz Bonner ineinander: Es ist die wahre, die große Liebe, die sie beide aus dem Ehegefängnis befreien könnte. Obwohl Liz ein wenig überspannt ist, manchmal durchsichtige Blusen trägt und sich für Psychoanalyse interessiert. Aber natürlich endet es in einer Katastrophe: Victoria kriegt schnell raus, dass die beiden ein Verhältnis haben.

Unterbrochen wird diese normale Ehehölle der 1950er-Jahre durch Rogers Erinnerungen an seine Kindheit, an das tastende, witzige, spröde Kennenlernen von Roger und Victoria, an den Wohlstand im Krieg und den schwierigen Arbeitsbedingungen im Frieden. Genau und detailliert beschreibt der berühmte Science-fiction-Autor Philipp K. Dick in seinem frühen, psychologisch-realistischen Roman „Unterwegs in einem kleinen Land“ die zerbrochenen Verhältnisse der Menschen seiner Zeit (der Roman wurde um 1957 geschrieben), den Aufschwung Kaliforniens und vor allem Los Angeles’, in das die Massen strömten, weil sie sich dort Arbeit erhofften. Mit viel Verständnis beschreibt Dick vor allem die gebeutelte, unsicher gewordene Mittelschicht, die nicht mehr so genau weiß, wo sie hin soll und zwischen Geldverdienen und privater Selbsterkenntnis hin und her schwankt.

Für Victoria endet ihr Leben im Geschäft: endlich hat sie sich etwas erarbeitet, zusammen mit Roger, später mit Chic Bonner. Liz verschwindet einfach irgendwann, für sie ist in dieser Gesellschaft kein Platz. Und auch Roger verschwindet: Er kommt mit diesem Leben überhaupt nicht zurecht und packt am Schluss des Romans seinen kleinen Lastwagen voll und fährt einfach los.

Dick erzählt das sachlich, fast wie durch ein Mikroskop, durch das er auf eine fremde, hässliche und gefühlskalte Welt blickt. Berühmt geworden ist er später durch seine Science-fiction-Romane, in denen er andere Welten beschreibt und die vor allem durch die Verfilmungen weltberühmt wurden: „Blade Runner“, „Total Recall“ oder „Minority Report“. Sein Blick ist aber gleich geblieben: objektiv und sezierend, und nur zwischen den Zeilen wird etwas von einer mitleidigen Sympathie spürbar. Dass der Liebeskind Verlag jetzt seinen frühen Roman „Unterwegs in einem kleinen Land“ herausbringt, ist eine schöne Sache.

Titelbild

Philip K. Dick: Unterwegs in einem kleinen Land. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Jürgen Bürger.
Liebeskind Verlagsbuchhandlung, München 2009.
382 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783935890632

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