Ein Dichter wird kanonisch

Markus Mays, Peter Goßens’ und Jürgen Lehmanns Celan-Handbuch ist klar strukturiert und zeugt von der Heterogenität bisheriger Deutungsansätze

Von Carolina KapraunRSS-Newsfeed neuer Artikel von Carolina Kapraun

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Forschungsliteratur zu Paul Celan ist in den letzten Jahrzehnten regelrecht explodiert. Ebenso die Fülle der literaturwissenschaftlichen Fragestellungen, die an sein Werk herangetragen wurden. Biografisches Material, Briefe, Korrespondenzen Manuskripte, neue intertextuelle Zusammenhänge oder Kontextualisierungen machten immer wieder auf andere Perspektiven aufmerksam. Drei kritische Editionen zeugen von dem immer noch wachen Interesse an dem Dichter der Nachkriegszeit, dessen Werk allzu oft und leichtfertig als „hermetisch“ eingestuft wurde sowie von den immer noch bestehenden Schwierigkeiten, seine Texte angemessen zu edieren und zu verstehen.

In komprimierter, materialgesättigter und dennoch gut lesbarer Form informiert das klar strukturierte Kompendium von Markus May, Peter Goßens und Jürgen Lehmann über ein breites Spektrum des Celan’schen Werks. Biografische Stationen werden ebenso eindringlich geschildert, wie über seinen Werdegang als Schriftseller und seinen Weg in die Öffentlichkeit informiert wird. Die Reaktionen und Kritiken zu Lebzeiten, die Entstehung der verschiedenen Editionen – von ersten Leseausgaben bis zu den kritischen Ausgaben – Spezifika, Druckgeschichte und interpretatorische Ansätze werden zu den einzelnen Gedichtbänden Celans geliefert, wobei auch die Texte aus dem Nachlass berücksichtigt werden. Prosa und poetologische Texte werden vorgestellt, sowie die zahlreichen Übersetzungen des Autors aus dem Französischen, Russischen, Englischen, Amerikanischen, Italienischen oder Hebräischen. Des Weiteren werden die verschiedenen Briefeditionen mit Nelly Sachs, Franz Wurm, Peter Szondi oder auch mit seiner Frau Gisèle Celan-Lestrange, in der seine psychische Depravation für den Leser mehr als deutlich wird, ausführlich beleuchtet. Auch die für das Werk und Denken Celans relevanten Kontexte, der ja immer wieder betonte, dass sich jeder Dichter von seinem je eigenen Datum herschreibe, wie die verschiedenen biografischen Kulturräume, die religiösen Kontexte des Judentums und der kabbalistischen Mystik oder der Botanik und Zoologie, Geologie und Astronomie – Bereiche aus welchen Celan immer wieder sprachlich schöpfte – finden Eingang in das umfassend angelegte Handbuch. Abgerundet wird der Band mit der internationalen literarischen, musikalischen und künstlerischen Rezeption der Werke.

Der Band wird seinem Anspruch, Leben, Werk und Wirkung des Autors aus der Bukowina darzustellen, durchaus gerecht. In alle drei Bereiche erhält der Leser eine gute Einführung. Außerdem wird durch die unterschiedlichen Zugänge der einzelnen Verfasser ferner deutlich, wie unterschiedlich die Zugänge Zum Werk des Autors in den letzten Jahrzehnten waren. Die einzelnen Beiträge spiegeln die historisch doch sehr stark variierenden methodischen Prämissen im Umgang wider, indem sie in Begriffsgebrauch und Darstellung mitunter heterogen wirken und an einigen wenigen Stellen auch zu problematischen Einschätzungen, beziehungsweise nur schwer nachvollziehbaren Interpretations- und Deutungshypothesen kommen. Dies ist etwa der Fall, wenn dekonstruktivistisches Vokabular an die Texte Celans herangetragen wird oder die Darstellungssprache sich zu stark an der Objektsprache des Dichters orientiert.

Insgesamt allerdings ist der Band ein mehr als nützliches Nachschlagewerk – und ein wichtiger Schritt zur Kanonisierung eines in seiner Bedeutung nicht zu überschätzenden deutschen Dichters.

Titelbild

Markus May / Jürgen Lehmann / Peter Goßens (Hg.): Celan Handbuch. Leben - Werk - Wirkung.
J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 2008.
399 Seiten, 49,95 EUR.
ISBN-13: 9783476020635

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