„Tausend Freundinnen, aber keine einzige Freundin.“

Jakob Heins autobiografisch geprägte Erinnerungen an eine männliche Jugend in der DDR

Von Winfried StanzickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Winfried Stanzick

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der neue Roman des 1971 in Leipzig geborenen Arztes und als Schriftsteller im Nebenberuf tätigen Jakob Hein ist sein ganz spezieller Beitrag zu den zahllosen Veröffentlichungen 20 Jahre nach dem Fall der Mauer. Ohne das Leben in der DDR in einer spezifischen Weise zu bewerten, erzählt er in „Liebe ist ein hormonell bedingter Zustand“, wie sein Alter Ego Sascha seine Jugendjahre in der DDR verbringt.

Dabei geht es weniger um politische Details oder ausgearbeitete sozialgeschichtliche Hintergrundinformationen. Es geht darum, wie dieser Sascha unter den speziellen und besonderen Lebensbedingungen in der DDR seinen während der Pubertät aufsprießenden und in den Jahren danach immer heftiger werdenden Sexualtrieb in der Griff bekommt. Und das ist durchaus wörtlich gemeint, denn außer dem Sex an und für sich bleibt ihm oft nichts. Während er verzweifelt beobachtet, wie die Frauen, für die er schwärmt, mit anderen in die Kiste springen, ist er der von vielen Frauen geliebte Zuhörer, der sich sensibel und mitfühlend ihren Problemen (in der Regel die mit anderen Männern) annimmt.

Lange Zeit gefällt er sich auch darin, hofft, für sein treues und frauenverstehendes Verhalten auch irgendwann einmal mit körperlicher Liebe belohnt zu werden, doch endlich bilanziert er nüchtern und enttäuscht:

„Doch was hatten die Frauen aus mir gemacht? Sie hatten mein Herz genommen und damit Federball gespielt. Sie hatten damit die Unterkanten ihrer Toiletten gereinigt und es dann heruntergespült […] Sie hatten darauf herumgetrampelt und es in meinem ständig weit geöffneten Brustkorb links liegen gelassen. Die meisten Frauen hatten mich einfach nur missachtet.“ Nachdem eine zweijährige Beziehung zu einer Frau, die ihn ständig mit anderen Männern betrügt, ihn selbst aber kein einziges Mal an sich heranlässt, gescheitert ist, nimmt Sascha sich vor, sich nicht mehr zu verlieben: „ Es kostete mich jedes Mal eine Unmenge Energie, die sinnlos verloren ging.“

Irgendwann jedoch hat Sascha genug gelernt über die vielen Tricks, wie Männer Frauen zu dem bewegen, was sie wollen. Er hat gelernt, wie die Frauen gestrickt sind, und auf welche Maschen sie stehen. Doch in dem Augenblick, als er das Gefühl hat, jede Frau haben zu können, wird ihm klar, dass er die ganze Zeit nur eine gesucht hat, die Frau fürs Leben. In Johanna findet er sie auch, hat mir ihr zwei Kinder. Doch als er während eines beruflichen Aufenthaltes in China auf jene Sarah trifft, die über eine lange Zeit seiner Jugendjahre die Frau seines Lebens war, da hätte er plötzlich die Gelegenheit, diesen Traum wahr zu machen.

Jakob Hein hat mit viel Humor und Situationskomik eine Jungmännergeschichte geschrieben, wie sie so oder ähnlich auch außerhalb der DDR spielen könnte. Die Geschichte eines Mannes, der von sich sagte: „Tausend Freundinnen, aber keine einzige Freundin.“ Viele Männer haben in den letzten Jahrzehnten die Erfahrung gemacht, dass die Frauen, die sie begehrten, ihre weiche und verständliche Art schätzten, aber gerade mit den Männern sexuell aktiv wurden, deren machohafte Art sie sonst verachteten. Doch viele Frauen und Männer haben nach durchaus schwierigen und schmerzhaften Erfahrungen auch erlebt, dass beides zusammengehen kann, hartes, männliches und weibliches Begehren und weiche väterliche und mütterliche Eigenschaften. In den Beziehungen, wo das zusammengewachsen ist, sind Frauen und Männer zufrieden und glücklich geworden und leisten mit ihrem Vorbild einen Beitrag dazu, dass die Kinder aus ihren Beziehungen die Probleme, die Hein so genial beschreibt, nicht mehr haben werden.

Titelbild

Jakob Hein: Liebe ist ein hormonell bedingter Zustand. Roman.
Piper Verlag, München 2009.
170 Seiten, 14,95 EUR.
ISBN-13: 9783492053594

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