Konsequent umgesetzt

Felix Römers Studie „Der Kommissarbefehl“ belegt, dass deutsche Soldaten im Zweiten Weltkrieg zeitweise keine Gefangenen machten

Von Klaus-Jürgen BremmRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus-Jürgen Bremm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die schuldhafte Verstrickung der Wehrmacht in die Kriegsverbrechen des Dritten Reiches war in der deutschen Forschung noch lange umstritten. Gerade am Beispiel des berüchtigten Kommissarbefehls, der im Vorfeld des Ostkrieges die völkerrechtswidrige Erschießung aller in Gefangenschaft geratenen sowjetischen Politoffiziere anordnete, lassen sich die Argumentationsmuster einer erstaunlich hartnäckigen Wehrmachtsapologie in der Bundesrepublik Deutschland gut nachvollziehen. Der Befehl sei zum Teil gar nicht weitergegeben worden und die Fronteinheiten hätten ihn oft nur halbherzig oder gar nicht ausgeführt. Angesichts erheblicher Kritik im Offizierkorps der Wehrmacht könne von einer breiten Umsetzung des Befehles keine Rede sein. So oder ähnlich lautete noch bis in die jüngste Zeit der Tenor in vielen Darstellungen.

Inzwischen jedoch ist die Befundlage eindeutig. Der Kieler Historiker Felix Römer hat in einer erstaunlichen Kärrnerarbeit sämtliche im Freiburger Militärarchiv verfügbaren Akten und Kriegstagebücher der am Ostkrieg beteiligten Großverbände untersucht und gelangt zu der klar belegbaren Aussage, dass der mörderische Kommissarbefehl die Befehlsketten in der Regel anstandslos passiert hat und von der Truppe auch konsequent umgesetzt wurde. Rechtliche oder gar humanitäre Bedenken tauchen im militärischen Schriftverkehr so gut wie gar nicht auf. Allenfalls lassen sich utilitaristische Argumente nachweisen, welche im Hinblick auf den erstaunlich hartnäckigen Widerstand der Sowjetverbände die militärische Zweckmäßigkeit der Maßnahme in Frage stellten. Denn tatsächlich, so Römer, wirkte der Kommissarbefehl wie eine self fulfill prophecy der Naziideologie. Die von Hitler befohlene Ausrottung der Politkommissare als vermeintliche Protagonisten einer hinterhältigen und grausamen asiatischen Kriegführung bewirkte eben genau dieses: Wo sie konnten, leisteten die Sowjets verzweifelten Widerstand, auch dort, wo es militärisch nicht mehr gerechtfertigt erschien und wandten dabei zum Teil auch völkerrechtswidrige Taktiken an, in dem sie sich etwa verwundet oder tot stellten, um anschließend die weiter vorrückenden Deutschen von hinten zu bekämpfen. In einem Klima allgemeiner Erbitterung machten schließlich auch zahlreiche Wehrmachtsverbände, wie sogar aus aktenkundigen Meldungen zu entnehmen ist, zeitweise keine Gefangenen mehr. Unter derartigen Umständen kam kaum jemand in der Truppe auf den Gedanken, gefangene sowjetische Politoffiziere entgegen den Befehlen zu schonen.

In den Akten lassen sich rund 3.400 erschossene Kommissare nachweisen, wovon Zweidrittel auf das Konto der Frontverbände gingen. Hinzukommen etwa 400 wahrscheinliche Fälle, so dass während der fast zwölfmonatigen Gültigkeit des Kommissarbefehls von einer belegbaren Gesamtzahl von 4.000 Erschießungen ausgegangen werden muss. Berücksichtigt man hingegen auch noch die Dunkelziffer, so könne nach Römer insgesamt von einer knapp fünfstelligen Tötungszahl ausgegangen werden.

Um Lücken in der archivalischen Überlieferung zu schließen, versucht der Autor durch ausführliche statistische Argumentationen nachzuweisen, dass die gemeldeten Erschießungen mit den Zahlen der jeweils eingebrachten Gefangenen gut korrelieren. Die hierbei aufgetretenen Unterschiede zwischen den drei Heeresgruppen oder zwischen motorisierten Verbänden und Infanteriedivisionen spiegeln sich auch erkennbar in den Zahlen der erschossenen Politkommissare wider. Nach Ansicht des Autors kann somit so gut sicher ausgeschlossen werden, dass die geringeren Fallzahlen bei einigen Verbänden auf besondere Vorbehalte gegen den Kommissarbefehl in den entsprechenden Verbänden hinweisen.

Es ist nicht zuviel gesagt, wenn man Römers beeindruckende Arbeit als eine das Thema so gut wie abschließende Darstellung der Geschichte des Kommissarbefehls einstuft. Der Autor argumentiert plausibel und interpretiert seine Quellen in überzeugender Weise, wobei er sich durch eine profunde Kenntnis des militärischen Schriftverkehrs- und Meldewesens auszeichnet. Seine sinnvoll aufgebaute Arbeit enthält zugleich auch eine Neubewertung der ersten Phase des Ostkrieges, die klar zum Ausdruck bringt, dass gerade die rigorose und breite Durchführung von Exekutionen entscheidend zu einer Verhärtung des sowjetischen Widerstandes beitrug, der die Wehrmacht bereits bis zum Frühjahr 1942 rund ein Viertel ihres anfänglichen Mannschaftsbestandes gekostet hatte. Hitlers Aufhebung seines verhängnisvollen Befehles am 6. Mai 1942 war daher nicht etwa die Konsequenz einer moralischen Umkehr, sondern allein der viel zu späten Einsicht zu verdanken, dass die systematischen Tötungen der sowjetischen Politoffiziere die Siegeschancen der Wehrmacht entscheidend vermindert hatten.

Will man an Römers Arbeit überhaupt einen Kritikpunkt ausmachen, so wäre vielleicht anzumerken, dass eine Straffung des umfangreichen Textes möglich erscheint. Als Leser hatte man wiederholt den Eindruck, dass sich viele von Römers Argumentationen in anderen Formulierungen wiederholten. Dies trifft besonders für die Abschnitte zu, in denen er die statistischen Daten erörtert.

Titelbild

Felix Römer: Der Kommissarbefehl. "...sind sofort mit der Waffe zu erledigen": Wehrmacht und NS-Verbrechen an der Ostfront 1941/42.
Schöningh Verlag, Paderborn 2008.
666 Seiten, 44,90 EUR.
ISBN-13: 9783506765956

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