Gruppensex im Swingerclub

Thomas Brussig glotzt in „Berliner Orgie“ von außen auf das „älteste Gewerbe der Welt“

Von Philip KrauseRSS-Newsfeed neuer Artikel von Philip Krause

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Amüsant und doch in den meisten Fällen eine genaue Beschreibung des Milieus. Das meiste hab ich auch erlebt. Und ich hab mich ebenso aufgeregt, wenn dann die Verpackung schöner war als der Inhalt.“ So ein begeisterter Leser auf amazon.de zu Thomas Brussigs Roman „Berliner Orgie“.

Für die B.Z. machte sich Brussig im Sommer 2006 auf den Weg, Berlins Rotlichtmilieu einmal richtig auszuleuchten. Im Stil einer Reportage führt er den Leser über zweihundert Seiten durch verrauchte Oben-Ohne-Bars, Wichskabinen und Edelbordelle und schildert seine Eindrücke und Unterhaltungen von und mit Prostuierten, Escort-Damen oder Stripperinnen. In Wallraff’scher Manier drückt er sich durch die Szene, immer auf der Suche nach Klischees und Vorurteilen, mit denen es auszuräumen gilt: Finanzieren sich Studentinnen tatsächlich mit Prostitution ihr Studium? Verlieben sich Kunden gelegentlich auch mal? Wenn ich jetzt 60 Euro bezahle, ist dann wirklich alles dabei oder lässt du die Klamotten an? Der erhobene Zeigefinger und der Skandal bleiben bei diesen Recherchen allerdings aus.

Professionell und nüchtern beschreibt Brussig den Gruppensex, den er in einem Swinger-Club beobachtet, oder einen „blonden Hühnen“, der es sich mitten in der Lobby von einer „Walküre“ besorgen lässt, und unterschlägt dabei nicht seine Faszination ob solcher Anblicke. Beteiligt hat Brussig sich jedoch nie. Das musste er seiner Frau, bevor er den Auftrag annehmen durfte, hoch und heilig versprechen. Zum Glück.

Stattdessen geistert er durch die Nacht wie ein Schaulustiger und ebenso voyeuristisch folgt ihm der Leser, beobachtend, teils bewertend, nie beteiligt. Bei einer solchen Art von Lektüre muss man aber erst Recht ein schlechtes Gewissen bekommen: Es ist eine Sache, sich in dieser Szene zu bewegen und eigene Erfahrungen zu schildern, eine andere, sich an ihrem Rand zu bewegen und von außen drauf zu glotzen.

Unklar ist auch, wie Brussig nun eigentlich zur Prostitution steht. An vielen Stellen zeigt er sich natürlich abgestoßen, was jedoch eher auf mangelnde Hygiene, schlechten Geschmack oder fehlendes Flair in den jeweiligen Etablissements zurückzuführen ist. Einen moralisch-ethischen Diskurs erspart er sich. Lediglich in einem der insgesamt 17 Kapitel gibt er den Inhalt eines Gerichtsurteils wieder, in dem Prostitution als Dienstleistungsgewerbe wie jedes andere auch gewertet wird und nicht im Geringsten im Widerspruch mit der Menschenwürde nach Art. 1, Abs. 1, GG steht, solange die Dienstleistende ihre Dienste aus freien Stücken an den Mann bringt.

Bestechend hingegen – das sei abschließend noch erwähnt – ist die Sprache des Buches: kurze Sätze. Umgangssprachlich und unverblümt schildert Brussig vermutlich stets nur das, was wirklich war, ohne zu beschönigen, verblümen oder gar zu verkünsteln. Man glaubt dem Autor die Orte, die er beschreibt und genauso glaubt man ihm die Menschen, die er getroffen hat. Authentisch und vertrauensvoll schildert er seine Erlebnisse. Zu keiner Zeit lässt er sich zu einer derben Zote hinreißen, stets bleibt er nüchtern. Vielleicht liegt der Reiz des Buches gerade darin: Jeder kann lesen als wäre er selbst da gewesen. Jeder kann sich sein eigenes Urteil bilden. Das war’s dann aber auch schon.

Titelbild

Thomas Brussig: Berliner Orgie.
Piper Verlag, München 2007.
208 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-13: 9783492050371

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