Surfkurs in die Wissenschaft

Gerhard Wagner unternimmt mit seinem Roman „Paulette am Strand“ den Versuch eines Genremixes

Von Heike HaufRSS-Newsfeed neuer Artikel von Heike Hauf

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein „Roman zur Einführung in die Soziologie“ – geht das überhaupt? Jostein Gaarders Welterfolg „Sophies Welt“ hat gezeigt, dass geisteswissenschaftliche Erkenntnisse und philosophische Überlegungen durchaus in erzählender Form präsentiert werden können. Unterhaltung und Wissenserweiterung schließen sich nicht aus. Das Two-in-one-Prinzip erreichte damals eine breite Leserschaft, und eine Zeit lang gab es keine gesellschaftlichen Zusammenkünfte ohne Gespräche über „Sophie“. Allerdings ist anzunehmen, dass nur Wenige ihr Grundwissen dann auch mit weiterem Input fütterten.

Der Frankfurter Soziologieprofessor Gerhard Wagner unternimmt nun mit „Paulette am Strand“ auf 144 Seiten den Versuch, die Grundlagen der Soziologie fiktiv einzukleiden. Wie der Titel verrät, gibt es einen Querverweis auf Eric Rohmers Film „Pauline à la plage“ (1982). Es geht jeweils um eine junge Frau, die ihre Ferien am Meer verbringt und in verschiedene Beziehungskonstellationen gerät. Rohmers Film war Teil seiner Filmreihe „Sprichwörter und Komödien“. Der Regisseur erinnert sich daran so: „Der Dialog hat mich damals sehr beeinflusst“ beziehungsweise „Wer zu viel redet, verliert sich selbst.“ Im Film wie im Buch wird folgerichtig viel geredet, denn das Wesentliche muss in Dialogen abgehandelt werden. Die äußeren Begebenheiten, das Meer und die Begegnungen mit Männern, scheinen hier nur als Anreiz zur Reflexion zu dienen. Allerdings hat der Film das Glück, in Bildern zur Ruhe kommen zu können, wo das Buch der Sprache verpflichtet weitererzählen muss. Die schönen Bilder der Nouvelle Vague verführen, während das Buch mit pseudopoetischen Betrachtungen aufzutrumpfen versucht. Auf den ersten Seiten wirkt der Roman dadurch wie die schlechte Übersetzung eines französischen Originals: „Das Spätnachmittagslicht vergoldet den Sand und lässt die buntscheckige Parzellenwirtschaft der Badehungrigen wie elysische Felder erscheinen, auf denen sich spärlich bekleidete Nymphen und Faune räkeln, die sich von ihren antiken Urbildern nur durch ihre Tätowierungen unterscheiden.“ Weniger wäre hier mehr gewesen.

Sobald man sich allerdings auf die Erzählung der Urlaubswoche der jungen Paulette eingelassen hat, die Soziologie studieren möchte und durch die Surflehrerin und Soziologin Agnès, jeden Tag eine andere Explikation soziologischer Grundbegriffe veranschaulicht bekommt, hat das Buch durchaus seine Berechtigung. In diesem Roman passiert nicht viel, außer der erstaunlichen Anbahnung einer lesbischen Beziehung. Dafür lernt der Leser einiges über das menschliche Zusammenleben, die Kommunikation darüber und nicht zuletzt über Literatur – auch Michel Houellebecq darf nicht fehlen. All dies mit einem Platz in der ersten Reihe und Blick aufs Meer. Leider bleibt „Paulette“ als Charakter schwach gezeichnet und weit hinter „Sophie“ oder auch „Pauline“ zurück, sodass die Begeisterung sich nur am Lernstoff entzünden kann. Dafür gibt es aber im Anhang eine komplette Angabe der Quellen (Georg Simmel und Max Weber) und Grundlagentexte. Alles in allem der interessante Versuch eines Genremixes, der hoffentlich noch weitere nach sich ziehen wird.

Titelbild

Gerhard Wagner: Paulette am Strand. Roman zur Einführung in die Soziologie.
Velbrück Wissenschaft, Weilerswist 2008.
144 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783938808528

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch