Anders sein

Über Leif Randts Roman „Leuchtspielhaus“

Von Kathrin SchlimmeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kathrin Schlimme

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Deine Haare hast du selbst geschnitten. […] Du bist absichtlich nicht auf Facebook. […] Du bist peinlich eitel. Das ist gut.“ Helen zieht auf Anhieb die richtigen Schlüsse, als sie Eric an seinem siebten London-Tag begegnet. Sich abheben vom Rest, etwas ganz Eigenes machen, das ist beider Lebensphilosophie.

Gemeinsam eröffnen sie vier Wochen später einen Friseursalon, einen ungewöhnlichen, der nur an zweiten und vierten Donnerstagen geöffnet ist und statt Kunden Members hat, trendwillige, hippe Teens und Twens. Nicht nur um Frisuren geht es dort, sondern vor allem auch um die Suche nach der geheimnisvollen Schweizer Guerillakünstlerin Bea, die die Londoner Szene mit ihrer Kunst überrascht und längst zum Idol der Members geworden ist. („Manchmal feilschen wir darum, wer Beas größter Fan ist.“) Bea kommt und geht heimlich, plötzlich gibt es eine Skulptur, ein Calling, einen Slogan von ihr in irgendeiner Ecke der Stadt. Bea schafft es, mit einfachsten Mitteln (Eddingstifte, Kreide) und viel Kreativität, der Übermacht des Konsums, der Werbung, der Mode etwas Eigenes entgegenzusetzen, Aufmerksamkeit zu erregen – und das, im Zeitalter des World Wide Web, bemerkenswerterweise ohne Internetpräsenz.

Mit seinem Debütroman ist dem 1983 in Frankfurt geborenen Autor Leif Randt ebenfalls etwas ganz Eigenes gelungen; eine ungewöhnliche Geschichte, ungewöhnlich erzählt. In dem Roman gibt es eine zweite Handlungsebene: Helens futuristisches Filmskript, das Teenager mit „Powerrahmen“ beschreibt. Letztere zwingen zu einer Abgrenzung von anderen insofern, als sich die Rahmen gegenseitig abstoßen, manchmal bis hin zur Explosion. Nur selten gelingt es, diese Maxime zu durchbrechen – ein Sinnbild für die Romanrealität, in der sich als Konsequenz aller Abgrenzung verletzliche Einsamkeit erahnen lässt.

Randts Figuren sind schlüssig, er hat sie mit herausragender Beobachtungsgabe und bemerkenswertem Sinn für Details skizziert. Wir sehen in diese Figuren hinein, erfahren oft genauestens, was sie denken und fühlen – aber sie denken und fühlen erschreckend banal. Kennzeichnend für die Figuren ist, dass sie nicht in der Lage sind, Verantwortung zu übernehmen, sei es in einer Partnerschaft oder der Familie. Alles bleibt provisorisch, ist an den Moment gebunden, nicht auf Dauer angelegt. Vieles bleibt äußerlich; die Frisuren, die Outfits, die Namen, die Eric und sein Freund Robert alias Kobee_McFly Menschen wie Dingen geben, um sie sich zu Eigen zu machen. Vieles ist austauschbar, der Salon, die Stadt, die Freunde.

„Es passieren in Wahrheit keine Gespräche im Saal, alle hundertvierzig Stimmen wiederholen einzelne Wörter jeweils zu zehnt“, heißt es in Helens Drehbuch. So ist es letztlich auch in der fiktiven Realität des Romans; das Wesentliche bleibt unausgesprochen, zu Konflikten kommt es nicht: „‚Bedrückt dich was?', fragt Helen. Dass sie lächelt, zeigt mir, dass sie weiß, wie wenig das Verb ,bedrücken' in unsere Dialoge passt“, stellt Eric fest.

Leif Randts Roman ist lesenswert – wegen der erfrischenden, unkonventionellen Sprache, wegen der überraschenden Nuancen in den Beschreibungen von Menschen und Dingen, und nicht zuletzt wegen der interessanten und durchdachten Handlung, die bis zum Schluss für Spannung sorgt. „Leuchtspielhaus“ passt zum Lebensgefühl der ersten Jahre des 21. Jahrhunderts, fängt ein Stück Zeitgeist ein. Zwar bleibt ein zunächst etwas schaler Nachgeschmack, der aus der Belanglosigkeit von Personen, Beziehungen und Empfindungen resultiert. Genau dies aber kann zum Nachdenken anregen.

Titelbild

Leif Randt: Leuchtspielhaus.
Berliner Taschenbuchverlag, Berlin 2010.
237 Seiten, 8,90 EUR.
ISBN-13: 9783833306471

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