Eine verschleiernde Mischung aus islamischer Religionskunde und politischer Programmatik

Lamya Kaddors Entwurf eines liberalen Islam überzeugt nicht

Von Klaus-Jürgen BremmRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus-Jürgen Bremm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Muslimisch, weiblich, deutsch! Ist es tatsächlich möglich, alle diese Attribute glaubwürdig miteinander zu vereinbaren? Lamya Kaddor hat in ihrem gleichnamigen Buch den ambitionierten Versuch unternommen, anhand ihrer eigenen Vita die gesellschaftlichen und ideologischen Voraussetzungen dieses Unterfangens auszuloten. Was jedoch im Untertitel als autobiografische Skizze angekündigt wird, erweist sich rasch als unstrukturierte Melange aus programmatischen Aussagen, persönlichen Bekenntnissen und einer politischen Rundumschelte, die kaum eine gesellschaftliche Gruppierung ausspart: Parteien, Islamverbände, die Mehrheitsgesellschaft und selbst den Bundespräsidenten, dem es offenbar nicht in den Sinn gekommen war, anlässlich des 60-jährigen Jubiläums der Bundesrepublik auch die hiesigen Muslime in seine Würdigung einzubeziehen.

Die in Deutschland geborene Autorin und renommierte Religionspädagogin versucht mit fraglos großem Engagement und auf der Grundlage einer scheinbar kritischen Analyse der überlieferten Texte, das Bild eines zeitgemäßen, liberalen Islams zu skizzieren, der auch gläubigen Muslimen, vor allem aber den Frauen ein religiöses und zugleich erfolgreiches Leben in Deutschland ermöglichen soll. Dabei könnte man ihr zunächst in zweifacher Weise zustimmen: Tatsächlich ist das gegenwärtige Bild des Islams in Europa, wie es ein flüchtiger Blick in Presse und Buchhandel rasch verdeutlicht, mehr als beklagenswert – was vor allem, so die Autorin, eher dem traditionell geprägten Lebensstil vieler Zuwanderer, nicht jedoch dem Islam direkt angelastet werden müsse. Daher sollte sich ihrer Meinung nach die bisher schweigende Mehrheit der deutschen Muslime organisieren, um nicht allein den religiösen Hardlinern – wie der Dititb oder der Milli Görüs den öffentlichen Diskurs zu überlassen.

Dient es aber wirklich einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Islam, wenn die Autorin sämtliche unterdrückerischen Passagen und Gewaltaussagen des Koran und der Sunna entweder unterschlägt oder als durch die Zeit bedingt relativiert? Zweifellos betreibt sie eine Exkulpierung ihrer Religion, indem sie die offenkundigen Missstände im religiös geprägten Migrantenmilieu lediglich als Folge von Bildungsferne, Traditionalismus und Ausgrenzung abtut und einschlägige Kriminalstatistiken als islamophobe Propaganda bezeichnet. Den empirischen Gegenbeweis bleibt sie allerdings schuldig.

Damit wären wir schon beim Verhalten der so genannten Mehrheitsgesellschaft angekommen, deren spürbar wachsendes Misstrauen gegenüber dem Islam und den Muslimen Lamya Kaddor als ungerecht und sogar als rassistisch empfindet. Islamkritikern wirft sie pauschal mangelnde Sachkenntnis vor, um aber nur wenige Seiten später einzuräumen, dass auf ihren Veranstaltungen regelmäßig Zuhörer – oft auch unter Bezug auf einschlägige Suren des Koran – kritische Fragen stellen. Die Autorin vermag nicht einzusehen, dass eben noch lange nicht ihr Wunschbild eines weichgespülten und frauenfreundlichen Islam die mediale Debatte hierzulande prägt. Denn immer noch gilt der absolute Machtanspruch des politischen Islam, der nicht nur den so genannten Gläubigen vorschreiben will, wie sie ihren Glauben zu leben haben, sondern auch der Mehrheitsgesellschaft, wie sie sich gegenüber dem Islam zu verhalten hat. Dass dies mehr und mehr Unmut und massive Kritik besorgter Bürger – eine Bezeichnung, die sie hämisch in Anführungszeichen setzt – auslöst, sollte die Autorin nicht verwundern.

Gleichwohl ist auch ihre scheinbar harmlose Version des Islam, die sie am Beispiel der leidigen „K-Frage“ ausführlich erläutert, nicht ohne politischen Anspruch. Zwar lehnt die gebürtige Westfälin aus Ahlen persönlich das Kopftuch als nicht mehr zeitgemäß ab, begrüßt jedoch zugleich die wachsende öffentliche Präsenz der inzwischen über vier Millionen Muslime hierzulande und sieht den Bau von repräsentativen Moscheen einschließlich der umstrittenen Minarette als geeignetes Mittel, dieses Ziel zu erreichen. Konsequenterweise lehnt sie einen so genannten europäischen oder deutschen Islam ab, der sich den hiesigen privatistischen Vorstellungen von Religionsausübung anpassen müsste und beharrt vielmehr auf der demonstrativen internationalen Gemeinschaft der Muslime. Ihr wiederholtes Bekenntnis zu Deutschland und ihrer deutschen Staatsbürgerschaft wirkt denn auch wenig glaubhaft, wenn sie sich etwa auf einer Amerikareise ausgerechnet mit immigrierten Glaubensbrüdern aus Pakistan trifft und von der herzlichen Atmosphäre schwärmt, wie sie offenbar nur unter Muslimen möglich ist.

Man fragt sich schließlich, ob nicht auch bei Lamya Kaddor die staatsbürgerliche Prägung erst weit hinter der religiösen Identität kommt? Welcher deutsche Protestant oder Katholik würde sich unter vergleichbaren Umständen anstatt mit

„Auslandsdeutschen“ bevorzugt nur mit Angehörigen der eigenen Konfession treffen wollen?

Eigenartig unkritisch gegenüber den Forderungen des politischen Islam ist die Autorin auch im privaten Bereich: Offenbar musste sich selbst ihr deutschstämmiger Ehemann – vermutlich auf sanften Druck der syrischen Familie– den islamischen Vorschriften unterwerfen und Muslim werden. Da die Religionszugehörigkeit der Kinder im Islam grundsätzlich durch den Vater definiert ist, bildet dieser Übertritt aus muslimischer Sicht nach wie vor eine conditio sine qua non. Leider geht die Autorin auf diese persönliche Angelegenheit nicht näher ein, obwohl es in ihrem Buch an anderen privaten Beschreibungen und religiösen Bekundungen durchaus nicht mangelt. Dass hierbei der bekenntnisorientierten Religionspädagogin zuweilen die Pferde durchgegangen sein dürften, wird vielleicht an jener Stelle recht deutlich, an der sie überschwänglich von ihrer frühesten Koranlektüre berichtet: „Es ging mir weniger darum, alles zu verstehen, was Gott uns offenbart. Viel wichtiger war es, überhaupt das Wort Gottes zu rezitieren und ergriffen zu spüren, wie dabei die Vibration der Stimmbänder meinen Körper durchdrang.“

Für einen säkularisierten Europäer mag das schon beinahe wie Realsatire klingen. Letztlich muss sich die Autorin die Frage gefallen lassen, wieweit sie in ihrer angeblichen Kritik an einer orthodoxen Interpretation des Islam zu gehen bereit ist. So erklärt Lamya Kaddor nirgendwo, ob sie auch Leben und Lehre des Propheten darin einbeziehen will. Überhaupt scheint sie viele der Offenbarungen des Korans und selbst die Existenz eines allein Sinn stiftenden Gottes ohne Vorbehalt für bare Münze zu nehmen. In einer Publikation mit Anspruch auf Seriösität ist das problematisch, wenn nicht sogar naiv. Unklar ist aber auch, was denn überhaupt von Kaddors Islam übrig bleibt, wenn sie ihn um seine politische Dimension verkürzt und auf den allgemeinen Glauben an einen monotheistischen Gott reduziert. „Ich lebe also islamisch, christlich, jüdisch, bahaisch, alevitisch oder wie auch immer, aber die Suche aller gläubigen Menschen ist die Gleiche.“ schreibt sie eingangs. Also doch ein deistischer Schulterschluss der Weltreligionen?

Insgesamt hat Lamya Kaddor ein verwirrendes, zum Teil auch verwirrtes Buch vorgelegt, das von allem etwas enthält, jedoch wenig konsequent zu Ende Gedachtes, und dort, wo sie im religiösen Überschwang die Problemstellen des Koran verharmlost, auch noch unredlich wirkt.

„Muslimisch“, „weiblich“ und „deutsch“ passen so jedenfalls noch nicht zueinander.

Titelbild

Lamya Kaddor: Muslimisch, Weiblich, deutsch! Mein Weg zu einem zeitgemäßen Islam.
Verlag C.H.Beck, München 2009.
208 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-13: 9783406591600

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