Der stumme Prophet

Zur Neuauflage von „Joseph Roth. Leben und Werk in Bildern“, zusammengestellt von Heinz Lunzer und Victoria Lunzer-Talos

Von Behrang SamsamiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Behrang Samsami

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Brody – Wien – Berlin – Paris. Wie an einer Kette hängen die Städte aneinander, in denen der österreichisch-jüdische Journalist und Schriftsteller Joseph Roth die ihn vielleicht prägendeste Zeit seines Lebens verbracht und den Großteil seines feuilletonistischen und belletristischen Werks geschaffen hat. Zahlreich sind aber auch die größeren und kleineren Stationen auf seinen Reisen, die er in den 1920er-Jahren hauptsächlich im Auftrag der „Frankfurter Zeitung“ unternimmt, um den deutschsprachigen Lesern in seinen Reiseberichten, Feuilletons und Skizzen von den Umwälzungen in den anderen europäischen Staaten nach dem Ersten Weltkrieg zu berichten, so beispielsweise aus der neu gegründeten Sowjetunion, dem faschistischen Italien oder den südosteuropäischen Königreichen Jugoslawien und Albanien.

Die unterschiedlichen Lebenswelten dieses anderen „rasenden Reporters“ – das Galizien vor 1914, die Zeit des Ersten Weltkriegs, das Österreich nach der Auflösung der Habsburger-Monarchie, das Deutschland der Putschversuche, Aufstände und Inflation, das Frankreich der „Goldenen Zwanziger“ und später das der Emigranten – illustriert die zum 70. Todestag überarbeitete Neuauflage von „Joseph Roth. Leben und Werk in Bildern“. Der von dem Literaturwissenschaftler Heinz Lunzer und der Kunst- und Kulturhistorikerin Victoria Lunzer-Talos zusammengetragene, erstmals 1994, damals zum 100. Geburtstag von Roth, erschienene Band präsentiert zahlreiche Selbstzeugnisse und Bilddokumente des im Mai 1939 mit gerade mal 44 Jahren verstorbenen Schriftstellers.

Neben der Darstellung von Roths galizisch-jüdischer Herkunft und seines folgenden, kurzen und zerrissenen Lebens, dabei vor allem der bedrückenden Geschichte seiner Ehe mit Friederike (Friedl) Reichner (1900-etwa 1940) konzentriert sich der Band auf sein journalistisches und literarisches Schaffen. Vom Umfang her ist das Interesse der beiden Herausgeber dabei für die Zeit vor und nach der (endgültigen) Emigration aus Deutschland im Jahr 1933 etwa gleich groß. Auszüge aus seinen Feuilletons und Romanen wechseln sich ab mit Abbildungen der von Roth bewohnten und besuchten Städte und Landschaften sowie mit Fotos von ihm selbst, mit Verwandten und Freunden, Bekannten und Kollegen. Zu sehen sind ferner die Buchcover der Erstausgaben seiner Werke, beispielsweise der beiden erfolgreichsten, „Hiob“ (1930) und „Radetzkymarsch“ (1932), genauso wie private Briefe und die Korrespondenz mit den Zeitungen und Verlagen, für die er in der Zwischenkriegszeit schreibt. Kurze Kommentare der Herausgeber zu den einzelnen Lebensstationen sowie zu den abgebildeten Dokumenten geben schließlich zusätzliche Hintergrundinformationen.

Verweilt man einen Moment bei den Fotos, die der Band in großer Zahl anbietet, fallen einem sofort die äußerlichen Veränderungen an Roth zu Beginn der 1930er-Jahre auf. Es scheint sich auf den ersten flüchtigen Blick gleichsam um zwei verschiedene Personen zu handeln, die in diesem Buch gemeinsam vorgestellt werden: Ist der eine klein und schmächtig, oft auf Reisen und umgeben von einer hübschen jungen Frau, so sieht man ein paar Seiten weiter einen korpulenten Herrn mit Schnurrbart und aufgedunsenem Gesicht, der nicht selten an einem Cafétisch sitzt, einige Gläser vor sich stehen hat und mit skeptischem, zunehmend traurig-leeren Blick vor sich hinstarrt.

Betrachtet man den persönlichen und beruflichen Werdegang des Schriftstellers über die Jahre, so sind die starken Veränderungen in seinem Erscheinungsbild im Nachhinein nicht weiter verwunderlich. Der Preis, den Roth für die kurze Zeit Anfang der 1930er-Jahre zahlen muss, in der er ein erfolgreicher und angesehener Literat ist und allgemein anerkannt wird, ist schließlich hoch. Dabei wirkt er selbst zu rastlos, unruhig und ungeduldig, als dass es ihm gelingen könnte, ein gleichförmiges bürgerliches Leben zu führen. Eine starke seelische und finanzielle Belastung ensteht durch die allmähliche Geisteskrankheit seiner Ehefrau Friedl, die ständige Aufmerksamkeit und Betreuung erfordert, noch zusätzlich. Schließlich nagt an dem Schriftsteller auch die Erkenntnis, trotz seines anfänglichen Engagements für die Linke und der schon frühen Warnungen vor dem Nationalsozialismus wie in seinem Roman „Das Spinnennetz“ (1923/67) es nicht geschafft zu haben, die „Machtergreifung“ der NSDAP mit zu verhindern.

Das Mittel, das dieser „stumme Prophet“ gegen das Gefühl von Heimatlosigkeit und Exil, Einsamkeit und Armut anwendet, ist die Flucht in den Alkohol, gleichzeitig aber auch eine vielleicht noch intensivere literarische Produktion. Diese dient nicht (mehr) nur der Bekämpfung des Nationalsozialismus und der Warnung vor einem Zweiten Weltkrieg, sondern auch und stärker als früher der ständigen Existenzsicherung und Selbstvergewisserung – gerade angesichts der Diffamierung seiner Person als kritischer Intellektueller und seiner Herkunft als galizischer Jude.

Das Engagement für die eigene Arbeit und ihre Publikation wie auch die Unterstützung für diejenigen, deren Heimat bis 1939 der NS-Außenpolitik zum Opfer fällt, wird im Bildband wiederum mit zahlreichen Auszügen aus Roths journalistischen und literarischen Werken, aber auch mit Reproduktionen von Zeitungsinterviews und Briefen an Hilfsorganisationen dokumentiert. Abgerundet wird das Buch schließlich mit einer Reihe von Hinweisen der Herausgeber zur zitierten Primär- und Sekundärliteratur sowie mit einem mehrseitigen Register.

Titelbild

Victoria Lunzer-Talos / Heinz Lunzer (Hg.): Joseph Roth. Leben und Werk in Bildern.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2009.
280 Seiten, 39,95 EUR.
ISBN-13: 9783462041026

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