Alle Achtung!

Kathrin Röggla untersucht mit eigenwilligen Mitteln die grassierenden Alarmdiskurse

Von Beat MazenauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Beat Mazenauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Katastrophen, Pandemien und Jugendgewalt überall – damit verknüpft Notfallpläne, Krisenstäbe und Präventionskampagnen. Die Welt, so scheint es, wird immer gefährlicher. Wer darin überleben will, muss sich wappnen: muss bereit sein für den Krisenfall, um bei Alarm umgehend den behördlichen Anweisungen zu folgen. Im Fall der Schweinegrippe zeigte es sich allerdings, dass das pandemische Szenario – einmal mehr – vor allem eine rhetorische Übung blieb.

Entlang von solchen Szenarien etabliert sich ein Diskurs der Angst und des Alarmismus, den Kathrin Röggla in ihrem neuen Buch „die alarmbereiten“ thematisiert. In sieben Kapiteln destilliert sie literarisch den Notfall aus beobachtender Perspektive. Teilnehmer eines Krisenseminars erörtern mit Blick aus dem Fenster die Panikbewegungen der Bevölkerung. Eine Notfallexpertin räsonniert über Hysterien, Epidemien und Ängste. Übersetzer diskutieren die Schwierigkeiten, wenn es um die Kommunikation gegenüber den Konsumenten, also um „verpackungsstrategie“ und „andeutungsrhetorik“ geht. Eine Schulkonferenz befindet über ein Mädchen, das die Schule mit seinem „hang zur katastrophe“ infiltriert hat und deshalb ausgestoßen gehört. Ubiquitäre „sozialsöldner“ und Medienrechercheure halten das Katastrophenwesen um ihrer selbst willen am Laufen. Eine Frau wird von Quasifreunden und Möchtegernreportern verfolgt und in letzter Konsequenz zur Schuldigen gestempelt. Hörer und Hörerinnen etablieren im Hörfunk einen Krisendiskurs.

Der Alarmismus erzeugt Warner, Opfer, Schuldige und (un)eigennützige Helfer. Davon berichtet Kathrin Röggla. Speziell an ihrem Unterfangen ist allerdings nicht der Inhalt, sondern ihre eigensinnige literarische Strategie. Karl Valentin hat in seiner „unpolitischen Käsrede“ einst rhetorische Hohlformeln so aneinander gereiht, dass sie mustergültig den Kern einer politischen Rede demonstrieren. Röggla verfolgt ein vergleichbares Verfahren: Sie interessiert sich weder für sachliche Details noch für konkrete Fälle und Geschichten, sondern filtert aus den Alarm-Diskursen die Worthülsen, Phrasen und Formeln heraus, um sie in plätschernde, mäandernde Monologe einzubetten. Dafür bedient sie sich konsequent der indirekten Rede, was ihrem Text eine hohe Künstlichkeit verleiht, hinterrücks aber genau zum Kern ihres Verfahrens vordringt. In der Schulepisode etwa heißt es: „warum sie das erzähle? weil es eine vorgeschichte sei, die vorgeschichte einer hauptgeschichte, in der wie alle jetzt steckten, denn so viel sei klar: ich hätte mein kind rund um die uhr als tickende zeitbombe begriffen, und sie wolle mich davon in kenntnis setzen, diese tickende zeitbombe sei jetzt endlich explodiert.“

Die Schulvertreterin nimmt das Wort und verfügt sprachlich über das erzählende Ich, dem nichts zu sagen bleibt. Es sind immer solche Ich-Figuren, die aus gleichsam zuhörender Warte berichten, was andere über sie äußern. Was für die Leser anfänglich der Gewöhnung bedarf, erweist sich im Fortlauf der Lektüre als raffinierter Dreh. Die Verhältnisse werden ins Gegenteil verkehrt, wie am eindringlichsten das Kapitel „wilde jagd“ vorführt. Eine Frau, die aus einer mehrjährigen Gefangenschaft in einem Kellerverließ befreit wurde – wir erinnern uns an den Fall Kampusch – wird von „irgendwie-nachbarin“, „quasifreund“, „pseudo-psychologin“ oder „möchtegern-journalist“ belagert, weil auch diese am Skandal mit teilhaben möchten. Die wilde Jagd der medialen Öffentlichkeit lässt dem erzählenden Subjekt keine Chance. Es bleibt stumm, bloße Projektionsfolie des quasi-Besserwissens aller anderen. Die Realität verwandelt sich schleichend in eine Reality Show, die wiederrum – weil das Publikum irgendwie doch den Unterschied zwischen Realität und Reality Show erahnt – in einen bösen Verdacht kippt. Aus dem „Achtung Alarm!“ wird ein „Achtung Fehlalarm!“

Rögglas umständlich wirkender Protokollstil erzielt so eine verblüffende Wirkung: Das erzählende Ich wird zum Gegenstand des Geredes anderer, womit folgerichtig eine Vertauschung der gesellschaftlichen Rollen im medialen Krisendiskurs einhergeht. Aus dem erzählenden Subjekt wird das diskursiv gefangene Objekt der Sensationsgier. Ihren Klimax erreicht diese medienstrategisch inszenierte Heuchelei da, wo sich das Publikum als Opfer des Opfers wähnt. Und wo das tatsächliche Opfer als Schuldige geopfert wird.

Röggla hält ihr Konzept eisern durch. Sie appelliert an Strukturen des öffentlichen Diskurses, nicht an seine Erzählungen. Spätestens die erwähnte Schulepisode demonstriert das heimtückisch Zwingende in diesen Texten – gerade auch weil die Lektüre selbst für eine heimtückische Gewöhnung sorgt.

„überhaupt: der ständige alarm habe zur folge, dass mir niemand mehr zuhören wolle. ob ich das wisse, dass ich die dosis runterschrauben müsse von zeit zu zeit, die alamrdosis, damit sie noch eine wirkung zeige? denn die reaktionsbereitschaft sinke, ja, sei mittlerweile gegen null gesunken.“ So klagt die pessimistische Krisenexpertin im nächtlichen Telefongespräch. Deshalb gelte es, „die vernünftigen von den unvernünftigen ängsten zu trennen“. Leichter gesagt als getan.

Die Autorin demonstriert hier literarischen Mut. Mit ungewöhnlichen sprachlichen Mitteln fängt ihr Buch die (diskursive) Realität aus ungewöhnlichen Perspektiven ein, um so hinter ihre polierten Oberflächen zu blicken. Sie setzt ihr Thema vor allem auch formal um: Das ist hohe Schule.

„hat man jetzt überlebt, oder kommt noch was auf uns zu?“ Gut möglich, denn „vollständige entwarnung kann gar nicht gegeben werden“. Da sind die Medien, die Sensationsgier, die kollektiven Ängste davor.

Titelbild

Kathrin Röggla: die alarmbereiten.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2010.
190 Seiten, 18,95 EUR.
ISBN-13: 9783100660619

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