Noch so‘n bisschen wirken

In dem Band „Über die Unsterblichkeit“ versammelt Jan Philipp Reemtsma Erzählungen und Essays von Arno Schmidt

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Sind wir noch ein Volk der Dichter & Denker?“ fragt Arno Schmidt in einem der Beiträge dieses Bandes – und es erfreut einen Moment das hoffnungsstarke „noch“ in dieser Frage, ehe es späterhin dann aber doch heißt: „Nein. Es ist nichts mit einem ‚Volk der Dichter & Denker‘; war nie etwas; und kann es nicht sein.“ Zu rühmen wäre andererseits ein Volk, von dem man sagen könnte, „ein Prozent seiner Angehörigen seien Gute Leser“ – auf „daß ‚Dichter & Denker‘ mal ‚ein Volk‘ haben könnten“.

Schmidt’sche Erfahrungen, denn als er das 1963 schrieb, galt er immer noch als „Geheimtipp“ selbst unter den ‚Guten Lesern‘. Doch die Zeiten ändern sich, heute ist Arno Schmidt nachgerade ein Klassiker. Ein Klassiker? Und hätte damit doch etwas von jener Unsterblichkeit, die „einzubilden oder gar zu wünschen“ ihm in dem 1963 entstandenen Text „Unsterblichkeit für Amateure“ unklug erschien? Allerdings bemerkt er auch, dass „es Bücher gibt, vermittelst deren einige ‚auserlesene Geister‘ noch ein paar Jahrhunderte so‘n bisschen wirken.“ Nun, „s‘iss vielleicht ä Gedanke, wie?“

Erzählungen und Essays von Arno Schmidt zum Thema „Über die Unsterblichkeit“ hat der Herausgeber Jan Philipp Reemtsma in diesem Suhrkamp-Band zusammengestellt. Einen Moment zögert man ob der doch eigentlich un-Schmidt’schen Manier, dem Guten Leser gewissermaßen eine Auswahl (womöglich noch ein Best of) vorzustellen. Etwas hat das doch von jener Anpassung der Kunst an die Bedürfnisse des ‚Volkes‘, wo es doch umgekehrt sein sollte: „der Einzelne, der Große Kunst verstehend genießen will, hat sich gefälligst zu ihr hin zu bemühen!“ „Gefälligst“ und mit Ausrufezeichen – aber gemach, dieser Auswahl darf man vertrauen. Immerhin wurde sie zusammengestellt von einem der Guten Leser, der früh schon zu den Kennern des Schmidt’schen Werkes in seiner ganzen Fülle gehörte, weshalb er – mit anderen – Entscheidendes dafür tat, dass sich dieses Werk über den exklusiven Kreis der Kenner hinaus verbreitete. Und „bemühen“ muss man sich ja dann auch noch, will man etwa wissen, aus welchen Jahren die hier versammelten Texte stammen. Der Herausgeber verweist als Nachweis lediglich – für Kenner – auf die entsprechenden Bände der Bargfelder Ausgabe.

In anderem Zusammenhang erweist sich nun aber die vermeintlich ‚bequeme‘ Zusammenstellung von Schmidt-Texten doch wieder als durchaus fordernde Anregung. Der Kenner dankt für die kenntnisreiche Sammlung, die ihm vertiefende Lektüren ermöglicht, und der Laie findet einen unerwarteten Zugang zu Schmidts Texten. Von allem nämlich ist hier zu kosten: etwa aus den „Stürenburg-Geschichten“ des pensionierten Landvermessers Stürenburg, mit denen Schmidt Mitte der 1950er-Jahre die Form des „Erzählers in lauschendem Hörerkreis“ ausprobierte; die anregend unkonventionellen Essays, in denen Schmidt über die Zustände und Bedingungen des Schriftstellerlebens in Deutschland reflektierte und seine eigenen literarischen Entdeckungen mitteilte; schließlich jene Erzählungen des Sprachkünstlers, deren Schriftbild immer noch verwirrt, bis man versteht und erlebt, dass hier geschriebene Sprache tatsächlich sinnlich erfahrbar zu werden versucht. Aus dem Jahre 1955 ist dafür die Erzählung „Tina oder über die Unsterblichkeit“ ein gutes Beispiel, ein für ‚Anfänger‘ gleichzeitig durchaus geeigneter Text, der von einem Besuch im unterirdischen Elysium berichtet, wo die Menschen so lange Aufnahme finden, wie sich auf Erden noch irgend etwas Geschriebenes von und über sie findet.

Die 1963 entstandene Erzählung „Caliban über Setebos“ ist dagegen schon eher etwas für Fortgeschrittene. Auch hier geht es um einen Besuch in der Unterwelt, und wer das zunächst nicht mitkriegt, weil es ihm scheint, als folge er einem Reisebericht aus niedersächsisch-abgelegenen Orten, der lese zuvor Reemtsmas kluges Nachwort, das einiges Erläuterndes zu dieser Erzählung liefert. So instruiert liest sich der Text mit neuer Aufmerksamkeit, und man wird der Fülle der Schmidt’schen Assoziationen, seiner ‚Lautschrift‘, seiner Ironie mit wahrer, nun kennerhaften Begeisterung folgen. Nun folgt man dem auch schriftstellerndem Besucher in das kleine niedersächsische Kaff auf den Spuren einer Jugendliebe und weiß auch das prächtige Stück Orgie, das sich unerwartet dem Auge des Besuchers öffnet, verstehend zu genießen und auszudeuten.

Bis auf die „Dankadresse zum Goethepreis“, die Schmidt 1973 formulierte, stammen die Texte aus den Jahren 1955 bis 1963. Das verschafft dem heutigen Leser einen weiteren Anreiz. Denn Schmidt war ein sehr genauer Beobachter. Die pralle Lebensnähe seiner Texte verdankt sich immer auch einer zuweilen mit bissiger Ironie beschriebenen Beobachtung seiner Zeitgenossen. Und wie die in jenen Jahren noch und wieder von den gerade vergangenen Nazijahren geprägt waren, auch das lässt sich bei Schmidt nachlesen.

Titelbild

Arno Schmidt: Über die Unsterblichkeit. Erzählungen und Essays.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2009.
280 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-13: 9783518421239

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