Amüsanter Tyrann seiner Zeit

Max Frisch und andere Zeitgenossen erinnern sich an Bertolt Brecht

Von Laura WilfingerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Laura Wilfinger

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

 

Dass Künstler gerne in Künstlerkreisen verkehren, kommt zuweilen auch der so genannten Erinnerungsliteratur zugute: Bertolt Brecht ist so ein Fall, wie ein neuer Band „Begegnungen mit Brecht“ und der Neudruck der „Erinnerungen an Brecht“ von Max Frisch unter Beweis stellen. So unauffällig sich beide Titel in der langen Reihe Veröffentlichungen vom Typ ‚Brecht und ich‘ ausnehmen mögen, so unterhaltsam und aufschlussreich lesen sich die hier versammelten Anekdoten und Berichte über „eine[n] der amüsantesten Tyrannen seiner Zeit“, wie Ludwig Marcuse festhält. Das Textmaterial der von Erdmut Wizisla herausgegebenen Sammlung „Begegnungen mit Brecht“ ist zumeist den Erinnerungen mehr oder weniger prominenter Kollegen und Zeitgenossen entnommen, manches aus Tagebüchern und Briefen, einige Beiträge sind auch, so etwa Lion Feuchtwangers Porträt „Bertolt Brecht, dargestellt für Engländer“, schon zu Brechts Lebzeiten erschienen. Der Band enthält auch einen Beitrag von Max Frisch aus dessen Tagebuch 1946-1949, eine Art Ergänzungsstück zu der in der Friedenauer Presse erschienenen Broschüre.

Wizisla hat einige Fundstücke aufgetan, so einen wenig bekannten Aufsatz Sergej Tretjakows, der 1934 in der in Moskau verlegten Zeitschrift „Das internationale Theater“ erschienen ist und hier erstmals neu abgedruckt wird, oder aber die sonderbaren Enthüllungen des rechtskonservativen Journalisten Alfred Mühr, der 1950 von Brecht als Theateragent für Westdeutschland angeworben worden sein will. Knappe Skizzen, die von sporadischen Begegnungen oder entfernten Bekanntschaften zeugen, wechseln mit ausführlichen Charakterbildern, die nicht selten literarische Qualität aufweisen.

Das gilt wohl zuerst für das Porträt, das Elias Canetti von seinem Kollegen zeichnet, der die erwähnten Begegnungen selbst nicht dokumentiert hat: Die erste Szene spielt im Künstlercafé von Max Schlichter, Ende der 1920er-Jahre, und zeigt einen jungen Dichter in der Rolle „eines alten Pfandleihers“. In der Darstellung Canettis, dessen Verhältnis zu Brecht als im wahrsten Sinne des Wortes widersprüchlich gelten kann, erhält die Faszination für den unkonventionellen Typen, die er mit der Mehrzahl der zitierten Beiträger teilt, einen kritischen Unterton: „[U]nter seinem Blick fühlte man sich wie ein Wertgegenstand, der keiner war, und er, […] mit seinen stechenden schwarzen Augen, schätzte einen ab“. Doch bald darauf sieht der Autor angesichts der Brecht‘schen „Hauspostille“ unvermittelt „[i]n Staub und Asche vers[inken], was ich selber geschrieben hatte“. Brecht, der diese Ausführungen in den 1935 erschienenen Memoiren Canettis hätte nachlesen können, soll indes nichts erfahren haben von der heimlichen Wut, die diesen „[b]ei seinem Anblick, ganz besonders aber bei seinen gesprochenen Sätzen packte“, und aufgrund derer Canetti ihm auch die Bewunderung für seine Gedichte vorenthielt.

Während Canetti die „proletarische Verkleidung“ Brechts abstoßend findet, wirkt dieser Aufzug auf andere zumindest interessant, vielleicht auch insoweit anziehend, als er der Brecht‘schen Inszenierungskunst zugerechnet werden muss. Der amerikanische Regisseur Harold Clurman sieht einen „El Greco in Zivil“ und tut die betont ärmliche Erscheinung als „Marotte“ ab, „die er früh angenommen und nie abgelegt hatte“. Auch Armin Kesser, mit Brecht aus den frühen Berliner Jahren bekannt, trifft diesen 1947 „ziemlich unverändert. Blaue Arbeiterbluse, auffallend sauber, offenes Hemd, unrasiert, die Haare wie eine kurzgeschnittene Filzkappe. Aus den Enden der Overall-Hose blickten die wollenen Unterbeinkleider hervor. […] Die obere Zahnreihe bildet einen schwärzlich zerfressenen Halbbogen, Folge des Virginiarauchens; die Fingernägel ungesäubert. Das Ganze ein Aufzug, ein Kostüm“. Die Beschreibungen der Brecht‘schen Physiognomie gleichen sich auffällig, fast scheint es, als sei weniger sein stechender Blick als jenes „respektlos[e]“ Zuschaustellen der „novemberlich graue[n] Unterhosen“ (Rudolf Fernau) als eine Art Markenzeichen zu betrachten. So zeigt sich nicht nur Clurman verwundert, dass dieser ungepflegte Kollege, der „doch so gar nicht ‚genial‘ aus[sah]“ (Walther Pollatschek), eine ganze Reihe von Geliebten aufzuweisen hat – wobei sich eine derer, die dem Brecht‘schen Charme widerstanden hat, zu Beginn ebenfalls durch die „langen weißen Unterhosen“ irritiert zeigt.

Regine Lutz nennt den ersten Eindruck vom berühmten Brecht „eher vernichtend“. In dem wohl längsten und eigens für den Band verfassten Beitrag gewährt sie dann jedoch, wie es die Berichte der engeren Mitarbeiter auszeichnet, zahlreiche wirklich private Einblicke in die Arbeit mit Brecht, die die gerne wiederholten Äußerlichkeiten in den Hintergrund rücken lassen. Hier wird auf und hinter der Bühne ein spezieller Humor gepflegt, der Theatergrößen wie Therese Giehse und Elisabeth Bergner buchstäblich ‚alt‘ aussehen lässt. Hier tanzt man Schieber unter dem mit dem Sowjetstern dekorierten Weihnachtsbaum. Hier zeigt der souveräne Meister Eifersucht, Eitelkeit und Starallüren. Hier finden wir schließlich einen (überraschenderweise) noch nicht vermarkteten Brechtspruch: „[W]ir leben nicht im Jahrhundert des Theaters, wir leben im Jahrhundert des Fußballs.“

In Sachen Zitierbarkeit stehen einige der Porträtisten ihrem Vorbild indes in nichts nach. Es finden sich eine ganze Reihe prägnanter Formeln, die den Typus Brecht zu fassen versuchen: Tretjakow nennt ihn „ein lebendes Gegenargument“, bei Walter Benjamin tritt Brecht, dem Benjamin‘schen Modell folgend, als „destruktiver Charakter“ auf, Günter Weisenborn erscheint er vielmehr wie ein „geheimnisvoller Chemiker, der Geheimnisse verachtet“, Frisch zeichnet ihn als „Jesuiten des Diesseits“, bei Marcuse ist der geistige Vater Macheaths schlicht „der beste aller Bandenführer“. Manch eine der Brecht-Anekdoten trägt sogar Züge einer Keunergeschichte: Die Episode bei Ludwig Berger etwa, in der Brecht vorschlägt, dem verwöhnten Kater Fritz, der auf „Speisezimmer“ und „Salon“ zu bestehen scheint, einfach das tägliche Roastbeef zu verweigern – der Hunger werde ihm diese bourgeoise Attitüde abgewöhnen. Berger verkennt die Situation nicht, doch seine Entgegnung trotzt den Brecht-Keuner‘schen Belehrungsversuchen. Solche scheinen im Hause Salka Viertels nicht vonnöten: Hier begegnet Brecht der nicht minder kapriziösen Dackeldame Frieda weitaus freundlicher, „geleitete sie galant zur Glastür, die in den Garten führte, und öffnete ihr mit einer tiefen Verbeugung.“

Der Kuriositätenwert solcher Passagen zeigt: Dies ist zweifellos ein Buch für die Brechtianer unter den Lesern, jene also, die über ihre Brechtlektüre hinaus die einleitend zitierte (und vernünftigerweise verworfene) Frage ‚Wie war Brecht eigentlich?‘ für diskutierenswert halten. 59 mögliche Antworten bietet das Buch, das, was sich als sehr sinnvoll erweist, jedem Beitrag eine kurze Einleitung zu Autor und Textausschnitt voranstellt. Die ausgewählten Stimmen sind weitgehend wohlwollend, was zuweilen der verklärten Erinnerung an den für die meisten der zitierten Zeitgenossen Frühverstorbenen geschuldet sein mag. Weniger persönliche als politische Differenzen, vordringlich über die Beurteilung der Moskauer Prozesse, führen in einzelnen Fällen auch zum Bruch: Sidney Hook setzt Brecht vor die Tür, Hans Sahl dagegen wird von Brecht hinaus komplimentiert. Am Ende steht eine Reihe der letzten Begegnungen: „B.B., der lächelnd mit seiner berühmten Baskenmütze aus dem Zugfenster winkt, während er langsam in der Nacht verschwindet“, so schildert Giorgio Strehler, der dieser Szene nicht einmal persönlich beigewohnt hat. Schließlich Peter Suhrkamps Bericht von einer verpassten Beerdigung im Kreis der Freunde, die, wunschgemäß nüchtern, in einer viertel Stunde erledigt war.

Frisch gibt an, auch Jahre später noch von Brecht zu träumen: „das Bewußtsein, daß er gestorben ist, verschärft mein Glücksgefühl, ihm zu begegnen“, hält er in einer Tagebuchnotiz aus dem Jahr 1965 fest, die seine „Erinnerungen an Brecht“ als eine Art Epilog beschließt. Die erste Begegnung zwischen dem in der Literatur erst angekommenen Schweizer Architekten und dem über zehn Jahre älteren Autor der „Dreigroschenoper“ datiert vom November 1947, „wenige Tage nach seinem Eintreffen in Europa“. Frisch skizziert ihn in sparsamen Strichen: „grau, still, schmal, wach“, das bekannte Bild. Ins Gespräch kommt man erst später, denn der Schweizer hat dem Zurückgekehrten etwas voraus; er kennt das Nachkriegsdeutschland bereits aus eigener Anschauung: „Vielleicht kommen Sie auch einmal in diese interessante Lage […], daß Ihnen jemand von Ihrem Vaterland berichtet und Sie hören zu, als berichtete man Ihnen von einer Gegend in Afrika.“

Frisch sortiert seine „Erinnerungen an Brecht“ locker chronologisch, vieles aber bleibt undatierte Episode, Beobachtung, Deutung, die sich zu einer Art Charakterbild fügen: Entstanden ist ein freundliches Bild, aus dem der Respekt und die Verehrung eines Schülers sprechen, der sich indes nicht als ein „Jünger“ Brechts verstanden wissen will. Man könnte dennoch behaupten: Es ist ein Brechtporträt im Brecht‘schen Sinn – tatsächlich können diese Darstellungen Frischs gewissermaßen als autorisiert gelten: So bestätigt der Meister, nach einem „kleinen Schreck vor dem Beschriebenwerden“, den Protagonisten „selber flüchtig kenne[n]“ zu wollen. Das wundert den Brechtleser wenig, denn obgleich Frischs Brecht zuweilen ein klägliches Bild abgeben mag („Ein Lagerinsasse mit Zigarre“, dem man „ein dickes Halstuch schenken mö[chte]“), so tritt er, in Gesprächen wie in Theaterangelegenheiten, als unangefochtene Autorität auf. Brechts Methoden sind „schlicht-schlauer“, etwa, wo er sich im Disput nicht als „Debatteur“, sondern als „Zuhörer“ positioniert, oder wenn er „seinen Zorn beherrschte, […] bis er sich in Witzen ausdrücken konnte.“ Auch in der Beschreibung der Brecht‘schen Regiearbeit trifft Frisch den rechten Ton: „Probieren: Forschen“, und am Ende ist es der unscheinbare Beobachter „im hinteren Parkett“, den man „hellauf lach[en]“ hört.

„Brecht, wenn man sich einließ, baute jeden um.“ Diese Einsicht Frischs verhindert ein gemeinsames Projekt und zeigt vor allem eines: Der jüngere Kollege hat, auch wenn er an Brechts Grab einräumen wird: „Wir haben ihn nicht gekannt“, die Brecht‘sche „Denkart“, die dieser das ‚Denken in anderen Köpfen‘ genannt hat, so gut verstanden wie wenige. Darum geht seine Darstellung über das Anekdotische hinaus, das die oben besprochenen „Begegnungen mit Brecht“ mehrheitlich kennzeichnet. Sie hält, während jene biografischen ‚Schmankerl‘ ungefährlich und bedenkenlos konsumierbar sein mögen, eine Warnung an die „Brechtianer“ bereit: Gemeint sind weniger die oben zitierten Brechtfans als die Interpreten, die ihn allzu wörtlich nehmen wollen. Brecht‘sche Äußerungen seien als Demonstration einer Methode zu lesen, als „Therapie“, durch die er, bei voller Überzeugung, „sich selbst [überzeugte]“. Die Missachtung dieses Hintersinns, zugleich der sprichwörtliche ‚Zweck der Übung‘, sei gefährlich: Diese Sorte „Brechtianer […] perfektionieren die Therapie gegen ein Genie, das sie nicht haben.“

 

Titelbild

Erdmut Wizisla (Hg.): Begegnungen mit Brecht.
Lehmstedt Verlag, Leipzig 2009.
399 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783937146775

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Titelbild

Max Frisch: Erinnerungen an Brecht.
Friedenauer Presse, Berlin 2009.
32 Seiten, 9,50 EUR.
ISBN-13: 9783932109621

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