Es ist nie zu spät, ein anderer zu sein

Asaf Schurrs erster Roman erzählt von einer ungleichen Freundschaft zwischen zwei jungen Männern

Von Winfried StanzickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Winfried Stanzick

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Schon seit dem Erscheinen des vorliegenden Buches im Jahr 2008 gilt der mit dem Levy Eshkol Prize und dem Israeli Prime Minister’s Award ausgezeichnete Autor Asaf Schurr als die absolute Neuentdeckung der israelischen Literatur. „Motti“ ist der erste auf deutsch erschienene Roman des 1975 in Jerusalem geborenen und als Literaturkritiker und Übersetzer arbeitenden Schriftstellers.

Es ist die Geschichte von Motti und Menachem, zwei jungen Männern, wie sie ungleicher nicht sein könnten: „Motti liebte Menachem wie einen Bruder. Das heißt, er hatte keine Wahl. Gut möglich, dass sie sich in der Armee kennengelernt hatten. Zum Beispiel. Bei Israelis nichts Ungewöhnliches.“ Egal, wo es nun genau war, „war ihr Kräfteverhältnis von vornherein geklärt: Wenn Menachem einem freundschaftlich auf die Schulter klopfte, hatte er einen schon in der Hand.“

Motti lebt mit seiner Hündin Laika zusammen und träumt stets von Ariella, einem jungen Mädchen das mit ihm im gleichen Haus wohnt, wie sich bald herausstellt. Gesprochen haben sie noch nie miteinander, doch er richtet seinen Alltag so ein, dass er sie immer wieder im Treppenhaus oder vor dem Haus trifft. Seine Fantasien über ein Leben mit Ariella und seine Liebe zu ihr gehen weit in die Zukunft, so etwa, wenn er ihre beiden Kinder schon selbst Kinder bekommen sieht.

Diese Fantasien werden immer intensiver und retten ihm dort sozusagen das Leben, als Motti ins Gefängnis kommt. Wie schon so oft hatte Menachem ihn abgeholt und er war widerstandslos mit seinem Freund um die Häuser und durch die Kneipen gezogen. Auf der Heimfahrt hatte Menachem betrunken eine Frau überfahren. Von der Polizei befragt, gibt sich Motti, ohne lange zu überlegen, als der Fahrer aus, was Menachem ohne ein Wort des Widerspruchs geschehen lässt. Für Motti ist jener Dienst nur konsequent, seine Beziehung zu Menachem, lässt gar kein anderes Handeln zu. Er geht für Menachem ins Gefängnis und verlangt von diesem lediglich, dass er sich um seine geliebte Hündin kümmert.

Und so sitzt Motti im Gefängnis, denkt an ein Leben mit Ariella nach seiner Haft und sorgt sich um Laika. Menachem, der dies alles geschehen lässt und sein schlechtes Gewissen mehr und mehr in Aggression verwandelt, wenn er Motti zunächst wöchentlich, dann aber immer spärlicher im Knast besucht, kommt mit Mottis Opfer nicht zurecht.

Motti hört sich derweil die langen Erzählungen seiner Wärters an und wartet geduldig, bis er wieder draußen ist. Mit „Draußen. Dazwischen. Drin“ und noch einmal „Draußen“ sind auch die vier Teile des Romans überschrieben, der die Politik von einer wohl schon während des gemeinsamen Militärdienstes begründeten ungleichen Freundschaft zweier junger Männer erzählt. Es ist eine Geschichte von ungleichen Kraftverhältnissen und dem verzweifelten Versuch, daran etwas zu ändern. Motti fragt sich im Gefängnis mehr als einmal: „Hatte er das getan, um endlich das Kräfteverhältnis umzukehren? Plötzlich würde er die Macht in Händen halten, würde die Schuld sich umkehren, würde alles sich umkehren.“

Doch es gelingt ihm nicht. „Es ist nie zu spät, ein anderer zu sein, so heißt es. Und in einem anderen Leben könnte er ein anderer Mensch sein, nur gibt es kein anderes Leben“, heißt es am Ende des Romans

Titelbild

Asaf Schurr: Motti. Roman.
Aus dem Hebräischen von Ulrike Harnisch.
Berlin Verlag, Berlin 2010.
216 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783827008626

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