Nicht mehr überflüssig

In einer Ausgabe der „Neuen Rundschau“ äußern sich begeisterte Schriftstellerkollegen zu Alfred Döblin

Von Ursula HomannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ursula Homann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im vergangenen Jahr widmete die „Neue Rundschau“ dem Schriftsteller Alfred Döblin ein eigenes Heft – nicht von ungefähr, denn genau neunzig Jahre zuvor, also 1929, hatte Döblin in der „Neuen Rundschau“ seinen Akademie-Vortrag „Der Bau des epischen Werks“ veröffentlicht, der die literarische Moderne des 20. Jahrhunderts nachhaltig beeinflussen sollte. Döblin habe hierin, schreibt Jörg Feßmann, der Vorsitzende des Kuratoriums der Alfred-Döblin-Stiftung, im Editorial der neuen Ausgabe, nicht nur eine Poetologie des modernen Romans entworfen. Dieser Text sei „auch so etwas wie der Urtext für die in den darauf folgenden Jahren entstehenden Theorien in den anderen Gattungen“ gewesen , beispielsweise für Bertolt Brechts Theorie des epischen Theaters und für Gottfried Benns Poetologie der modernen Lyrik. Zudem habe er mit diesem Vortrag „über die Neubestimmung des Epischen“ einen Roman vorbereitet, der schon kurz nach seinem Erscheinen zum Welterfolg wurde – „Berlin Alexanderplatz“ –; so dass jeder, wenn er den Namen Alfred Döblin hört, sofort an diesen Roman denkt. Dennoch blieb der Schriftsteller, trotz seiner rund vierzig Bücher, in denen sein Werk heute für uns greifbar ist, ein Fremdling. Kaum eines seiner Werke ist außer „Berlin, Alexanderplatz“ ins allgemeine Bewusstsein gedrungen, bedauert Günter Grass, der sich schon früh für ihn eingesetzt hat und den Autor in einem Atemzug mit Thomas Mann und Brecht nennt.

Obwohl Döblin für Grass und für viele seiner Kollegen, wie auch dieses Heft zeigt, bis in die Gegenwart hinein ein wegweisender Künstler geblieben ist, hat ihn das allgemeine Lesepublikum bis jetzt nicht erkannt, geschweige denn gewürdigt, ganz im Gegensatz zu Döblins Schriftstellerkollegen, die ihm eine außerordentliche Wertschätzung entgegengebracht haben wie Brecht, Musil und Broch. Auch Wolfgang Koeppen, Ernst Kreuder und Arno Schmidt holten sich bei ihm Rat und beriefen sich ausdrücklich auf ihn. Selbst für einen Lyriker wie Peter Rühmkorf war Döblin eine prägende Instanz. Ähnliches gilt für Uwe Johnson, Alexander Kluge, Stefan Schütz, Katja Lange-Müller und für viele andere. Besonders ausdrücklich bezieht sich Günter Grass auf ihn, angefangen mit seiner großen Akademie-Rede zum 10.Todestag von Döblin im Jahr 1967, in der er sich „zu seinem Lehrer Döblin“ bekannt hat bis hin zur Stiftung des Alfred Döblin-Preises und des Alfred-Döblin-Hauses in Wewelsfleth für Berliner Stipendiaten. Jüngere Autoren bekennen sich ebenfalls zu Döblin. „Wenn ich einen literarischen Patron benennen sollte, dann wäre das Alfred Döblin. Ich kenne keinen anderen Autor, der mich als Leser von Buch zu Buch derart zu überraschen vermag“, meint Ingo Schulze, und von Dietmar Dath erfahren wir: „Wenn ich seine Bücher lese, erinnern sie mich daran, was tiefe, großzügige, episch ausgreifende Literatur ist, was sie vermag, wie sie geht.“ “Er wollte die Dinge zum Sprechen bringen“ sagt Wilfried F.Schoeller im Gespräch mit Günter Grass und Ingo Schulze, das in der „Neuen Rundschau“ unter der Überschrift „Ich habe einen Bahnhof in mir; von dem gehen viele Züge aus“ wiedergegeben ist.

Norbert Niemann äußert sich über das Epische in Alfred Döblins Spätwerk und betont, dass sich die Döblin’schen Texte dem „Bedürfnis nach unumstößlicher Einordnung“ entziehen. Jedes seiner Bücher sei eine Flaschenpost, wobei jede Flasche eine andere Botschaft enthält. In den zwischen 1915 und 1933 in Berlin geschriebenen Romanen seien es in erster Linie „die Dynamik der Massen und des Geldes, die Bewegungsgesetze von Maschinen und Armeen, die das Geschehen vorantreiben[…] Im Spätwerk erhalten Geist und Charaktere seiner Figuren bei der Romankonzeption einen höheren Stellenwert.“

Peter Härtling nennt seinen Beitrag in Anlehnung an Döblins Buch „Die drei Sprünge des Wang-Lun“ „Die Sprünge des Alfred Döblin“. Wilhelm Genazino wiederum rühmt „Döblins Mut zur Nachlässigkeit“, und Friedrich Christian Delius bezeichnet in seiner „Rede zur Eröffnung der Alfred-Döblin-Ausstellung in Berlin am 30. August 1987“ den Schriftsteller als einen der „Klassiker unseres Jahrhunderts“.

Hans-Ulrich Treichel wiederum hat Aussagen von „Alfred Döblin über sich selbst“ unter der Überschrift „Bin mir außerdem psychisch ein Rühr-mich-nicht-an“ unter die Lupe genommen und über sie reflektiert. Aufschlussreich ist auch das Gespräch, das Christina Althen mit Döblins jüngstem Sohn Stephan im November 2008 in Berlin geführt hat, in dem der Sohn erzählt, dass sein Vater oft keine Zeit für seine Kinder gehabt hatte. Er habe keinen störenden Kinderlärm, gemocht und sei auch im Exil nicht übermäßig am Alltag eines Kindes interessiert gewesen.

Karl-Heinz Ott berichtet von seinem Besuch in Housseras, wo Döblins Sohn Vincent alias Wolfgang, der sich als Soldat beim Einmarsch der Deutschen in Frankreich das Leben genommen hatte, begraben liegt und wo an seiner Seite auch seine Eltern, zur Linken Alfred Döblin und zur Rechten die Mutter Erna, schließlich ihre letzte Ruhe gefunden haben – unter der Grabinschrift „Fiat voluntas tua“.

Verschiedene Beiträge setzen sich in unterschiedlicher Weise mit Döblins vielfältigem Werk auseinander, zum Beispiel mit dem Wallenstein-Roman, den der Schriftsteller unter dem Eindruck des Ersten Weltkrieges geschrieben hatte. Für Thomas Lehr ist dieser ein „Glanzpunkt der literarischen Kriegsberichterstattung“. Zweifellos sind viele der Döblin’schen Texte heute noch anregend zu lesen. Offensichtlich hatte Döblin Recht, als er einmal in einem Brief an Ferdinand Lion schrieb: „Man lernt von mir und wird noch mehr lernen.“ Allem Anschein nach kann man selbst heutigen Problemen in einer globalisierten Welt mit Döblins Werk literarisch begegnen.

Einige Aufsätze sind allerdings recht eigenwillig oder so fein gesponnen und kreisen so sehr um die eigene ganz persönliche Döblin-Rezeption, dass der Dichter als konkrete Person und sein Werk für unkundige Leser dabei auf der Strecke bleiben.

Auch die Tragik im Döblinschen Leben kommt in dem Band zur Sprache, vor allem seine Rückkehr nach Deutschland unmittelbar nach dem Zusammenbruch des Nazi-Regimes, die, wie Alfred Döblin sich später eingestand, keine Rückkehr war, sondern lediglich ein etwas verlängerter Besuch von etwa sieben Jahren. „Ich bin in diesem Lande, in dem ich und meine Eltern geboren sind, überflüssig“, stellte Döblin am Ende resigniert fest. Musste er doch erkennen, dass die deutsche Bevölkerung durchweg mit ihrer eigenen Situation und ihren eigenen Nöten so sehr beschäftigt war, dass ihr dabei noch gar nicht bewusst geworden war, wie viel Schuld Deutschland unter Hitler, auch gerade gegenüber den Emigranten, auf sich geladen hatte.

Insgesamt ein lesenswerter Band (dem eine Zeichnung von Günter Grass von seinem Lehrer Döblin beiliegt), der sicherlich neugierig macht auf Alfred Döblin und sein Werk.

Titelbild

Hans Jürgen Balmes / Jörg Bong / Alexander Roesler / Oliver Vogel (Hg.): Neue Rundschau 2009/1. Alfred Döblin.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2009.
192 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-13: 9783108090760

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