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Isabel Rohner legt die erste Biografie der radikalen Feministin Hedwig Dohm vor, die frei von Fantastereien bleibt

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Jahre 1831 wurde eine der bedeutendsten Feministinnen geboren. Man muss nicht lange rätseln, wer das wohl gewesen sein mag: Hedwig Dohm natürlich. Dohm ist unter ihren feministischen UrenkelInnen zwar längst keine Unbekannte mehr, doch haben sich diese bisher immer falsche Vorstellungen von ihr – zumal von ihrem Leben – gemacht. „Dabei bergen Archive und Bibliotheken in Bezug auf Hedwig Dohm wahre Schätze“, klagt Isabel Rohner, der es zu danken sein wird, wenn all die gängigen Irrtümer über Dohm nun endlich einmal auf dem Kehrrichthaufen der Frauenbewegung entsorgt werden. Denn Rohner hat unter dem Titel „Spuren ins Jetzt“, eine lebendig geschriebene, akkurat recherchierte und stets quellenkritische Biografie vorgelegt, die nicht wie bisherige Lebensbeschreibungen der frühen Feministin deren Roman „Schicksale einer Seele“ mit ihre Memoiren gleichsetzt und einfach alle lebensgeschichtlichen Aussagen über die Protagonistin auf die Autorin selbst überträgt. Auf solche Fantastereien verzichtet Rohner ganz grundsätzlich. Stattdessen hat sie in den Tiefen der Archive hierzulande und in Übersee nachgeforscht und so manch bislang unbekannten Schatz gehoben.

Das ist ihr auch früher schon gelungen. Denn Rohner ist eine der beiden maßgeblichen Dohm-ExpertInnen unserer Tage. Die andere ist Nikola Müller, die vor einigen Jahren eine kommentierte Bibliografie Dohms erarbeitet hat, die noch immer im Buchhandel erhältlich ist. Gemeinsam geben Müller und Rohner seit dem Jahr 2006, in dem sich der Geburtstag Dohms zum 175. mal jährte, die erste kommentierte Gesamtausgabe der Feministin heraus. Inzwischen liegt der vierte Band mit „Briefe[n] aus dem Krähwinkel“ vor. Die Autorin der nunmehr vorliegenden Biografie wurde 2008 zudem mit der Arbeit „In Litteris Veritas – Hedwig Dohm und die Problematik der fiktiven Biografie“ promoviert und hat im gleichen Jahr ganz nebenbei den Krimi „KunstmörderIn“ veröffentlicht. Ebenso wie bereits in ihrer Dissertation wendet sich Rohner auch in der vorliegenden Arbeit nicht nur gegen „allzu autobiographische Rezeption[en]“ der Romane Dohms. Rohner nimmt sogar Selbstaussagen, die Dohm in ihre Polemiken einflocht, durchaus nicht immer für bare Münze. Denn oft, so argumentiert sie, dienten sie Dohm vor allem dazu, ihre Beweisführung zu stützen. Da mag sich die begnadete Polemikerin schon manches Erlebnis ausgedacht haben.

Gelegentlich macht Rohner ihrer gerechten Wut über die Unzulänglichkeiten bisheriger Biografien und biografischer Behauptungen Luft. Dass Hedwig Dohm die Öffentlichkeit gescheut und an den Aktivitäten der organisierten Frauenbewegung nie teilgenommen habe, nennt sie „geradezu lächerlich“. Solche Behauptungen „zeugen nicht gerade von großen Kenntnissen der Frauenbewegung“, schimpft sie zu recht. Wahr ist nur soviel, dass Dohm „[e]rst in den späten 1880er Jahren“ „Schwestern im Geiste“ findet, denen sie sich zugesellen kann. Es ist die Zeit, in der sich der radikale Flügel der Frauenbewegung bildet. Dohms publizistische Tätigkeit nimmt nun „schlagartig“ zu. Waren es bis 1895 nicht mehr als vier Aufsätze, die sie in Zeitschriften veröffentlicht hatte, so sollten nun bis zu ihrem Tode über 80 weitere hinzukommen. Doch auch schon in früheren Jahren schrieb Dohm „Bücher, die in der Radikalität ihrer Thesen etwas völlig Neues darstellen“. Sie „verknüpft ihre brisanten Themen mit radikalen Forderungen und verpackt sie in brillante Polemik“. Dohm wollte eben „als Philosophin das ganze System des Denkens und Handelns revolutionieren.“ Noch heute wirken ihre Schriften nicht nur jung und jugendlich-frisch, sondern immer wieder ausgesprochen aktuell. So erkannte sie etwa bereits 1896, dass es keine „Natur des Weibes“ gibt, sondern die Frau ebenso wie der Mann „ein durch bestimmte soziale Bedingungen historisch Gewordenes“ ist. „Von biologistischen Pseudoerklärungen“, merkt Rohner treffend an, „hielt Dohm wahrlich nichts“.

Neben ihrer umfangreichen publizistischen Tätigkeit knüpfte Dohm in dieser Zeit ein illustres über feministische Kreise hinausreichendes Netzwerk. Fritz Mauthner gehörte ihm an, Gabriele Reuter, Karl Kautsky, die Feministinnen Minna Cauer, Anna Pappritz, Helene Stöcker – und natürlich der 30 Jahre jüngere Maximilian Harden. Auch lud sie sich Gelehrte ein, die in ihrem Hause Vorträge hielten. Unter ihnen Eugen Dühring und Rudolf Steiner. Und sie belegte an der Humboldt Universität ein Seminar über Sozialismus, womit sie das heute so beliebte SeniorInnen-Studium vorwegnahm.

Zu Beginn des Ersten Weltkrieges gehörte sie zu den wenigen, welche die allgemeine Kriegsbegeisterung nicht teilten. Sogar viele der gemäßigten Feministinnen stimmten in den allgemeinen Kriegsjubel mit ein. Im radikalen Flügel der Frauenbewegung stand Dohm allerdings nicht alleine da. So teilten etwa dessen Führerinnen Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann oder auch Helene Stöcker Dohms Kriegskritik. Das Ende des Krieges sollte Dohm noch erleben. Auch das Frauenwahlrecht, für das sie solange gestritten hatte. Freuen konnte sie sich allerdings nicht mehr so recht darüber: „Zu spät, zu spät“, soll sie geklagt haben.

All dies und weit mehr lässt sich in Rohners Dohm-Biografie nachlesen, deren „Spurensuche“, die sie „mancherorts“ – genauer gesagt in Rom – selbst thematisiert, notwendigerweise „nur unvollständig bleiben“ kann. Dies räumt die Autorin auch freimütig ein. Dennoch ist beeindruckend, was Rohner alles zutage gefördert hat. Darunter auch manche Kuriosa wie etwa die nicht weniger als vier Geburtsurkunden Hedwig Dohms. Und sie räumt insbesondere mit einem über fast ein Jahrhundert hinweg virulenten Vorurteil auf. Es gilt Hedwig Dohms Ehemann Ernst, von dem es in früheren Arbeiten unter anderem heißt, „[e]r habe seine Frau vom Tag der Hochzeit an betrogen, habe sie immer wieder gedemütigt und für dumm gehalten“.

In einem „EMMA“-Porträt der frühen Feministin wird er Ende 2008 gar als „Alkoholiker und arbeitsunfahig“ bezeichnet. „Ein Versager und übler Zeitgenosse also soll dieser Mann gewesen sein“, fasst Rohner die dort und andernorts verbreiteten Verleumdungen zusammen und widerspricht all dem mit überzeugenden Argumenten und biografischen Hinweisen. Die „furchterregenden Geschichten“ über Dohms Ehemann „entpuppen“ sich also „als Erfindungen und Hirngespinste“. Ebenso wie diejenigen über Dohm selbst gründen auch sie in „einer allzu biografischen Lesart des Romans ‚Schicksale einer Seele‘.“ Doch Rohner zufolge tritt in Sachen Ernst Dohm noch ein Zweites hinzu. Sie sieht dessen Negativcharakterisierung als „Folge einer Wiederentdeckungskultur, die der Autorin die Ehe nur dann verzeihen kann, wenn ihr Ehemann wenigstens den schlimmsten Vorurteilen entspricht.“

1883 wurde Hedwig Dohm im Alter von nur 51 Jahren Witwe. „Das Schreiben“ wurde ihr nun mehr und mehr „zum Beruf“. Und es lässt sich wohl sagen, dass sie auch im hohen Alter noch rund um die Uhr beschäftigt war. Die Themen ihrer späten Werke aber sind nicht zuletzt „Alter, Tod und Funktionslosigkeit“. 1919 starb Hedwig Dohm hochbetagt.

Ebenso wie dem „Mythos Ernst Dohm“ ist auch den vier Töchtern Hedwig Dohms ein eigenes Kapitel gewidmet, in dem Rohner kleine biografische Abrisse von Gertrude Hedwig Anna, Ida Maria Elsbeth, Marie Pauline Adelheid und Eva, bietet. Dass von Dohms jüngster Tochter nur der Rufname überliefert ist, zeigt schon an, dass über das Leben der vier nicht immer allzu viel ausfindig zu machen war. Im Falle von Marie Pauline Adelheid und Eva nicht mal die genauen Lebensdaten.

Beschlossen sei die Rezension mit drei Empfehlungen. Eine für FeministInnen, eine für HistorikerInnen und eine für LiteraturwissenschaftlerInnen. Und es ist jedes Mal dieselbe: Kaufen, lesen! Daher noch eine vierte Empfehlung für alle anderen. Doch auch sie kann nur lauten: Kaufen, lesen – weiterempfehlen!

Titelbild

Isabel Rohner: Spuren ins Jetzt. Hedwig Dohm - eine Biografie.
Ulrike Helmer Verlag, Sulzbach Taunus 2010.
152 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783897412996

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