Datt Sprachrohr von Kulturstadt Pott

Frank Goosens „Radio Heimat“

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

2010 ist das Jahr, in dem man auf die Kultur des Ruhrgebiets schaut. Es ist keine Hymne an „Rote Erde“ und auch kein Sammelsurium von Weisheiten des Ruhrgebiets, die Goosen vorlegt. Er schreibt über „Heimat Ruhrpott“. Ob das nun sein Beitrag zum „Kulturgedöhns“ ist oder nicht, dies macht „Radio Heimat“ weder besser noch schlechter. Vielleicht macht es das Buch aber ein wenig bekannter, und das sei ihm auch zu wünschen. Denn Goosen hat nicht nur ein unterhaltsames kleines Stück Literatur produziert, das den Leser auf das erfreulichste unterhält, sondern er hat auch ein wichtiges Stück Kulturgeschichte geschrieben. Es ist eine persönliche Kulturgeschichte seiner Heimat, seiner Jugend und seines kulturellen Umfeldes, seiner Region – ohne im einengenden Sinne regional zu sein.

Der Erzähler beginnt seine Geschichte mit kleinen Bonmots und Anekdoten aus seiner Vergangenheit. Diese Vergangenheit ist die eines Heranwachsenden Ende der 1970-, Anfang der 19880er-Jahre. „Es war 1983, alles zuckte im Takt der abebbenden Neuen Deutschen Welle. Im Frühling war Major Tom durch die Wolken gebrochen, und der Hasenzahn aus Hagen hatte 99 Luftballons steigen lassen. Robin Gibb wimmerte um Juliet, und man wippte den Sunshine Reggae.“ Dazu rekapituliert er die Motivation, die den Ureinwohner des Ruhrgebiets begeistert, seine Kultur den „Fremden“ mitzuteilen: „Wir im Ruhrgebiet laden Auswärtige gern ein, zu uns zu kommen, um ihren Begriff von Schönheit zu erweitern.“ Aus seinen ironisch-humorigen Formulierungen und aus seiner Sprache wird seine Sympathie für seinen Erzählgegenstand deutlich. Er liebt seinen „Pott“ „Oder wie es mein Oppa auszudrücken pflegte: ‚Ach, woanders is auch scheiße!‘“ Goosen berichtet aus „seinem Revier“, aus Bochum, in dem schon seit Anfang der 1970er-Jahre kaum mehr Kohle abgebaut wird, sich trotzdem aber die Legende von einer Bevölkerung hält, die noch vom Bergbau lebt. Humorig gestaltet er die Vorurteile, widerlegt und pflegt sie, weil es denn auch so nett war, damals.

Goosen ist ein Meister der Erinnerung. Es collagiert, erzählt, setzt zusammen und lässt ganze Panoramen der Kultur aus dem Nichts entstehen. Es wird ein „kollektiver Erinnerungsort“ errichtet, der vor allem auch aus Sprache besteht und den speziellen Besonderheiten des Menschenschlags aus dem Ruhrgebiets. Dabei räumt er auch die Möglichkeit von Wahrnehmungsverschiebungen ein: „In meiner Kindheit war ich umgeben von alten Leuten. Jedenfalls hatte ich damals den Eindruck. Alte Männer in Unterhemden und alte Frauen in Haushaltskitteln.“ Egal, was Goosen erzählt, er trifft den richtigen Ton, vermittelt den Eindruck einer authentischen Region und definiert damit auch den Begriff Heimat für sich und für die Gegenwart neu. Heimat ist für ihn vor allem vielfältig – und skurril. Etwa wenn Goosen einen Taxifahrer zitiert, zeigt er sogar auf den mythischen Urgrund des Ruhrgebiets, leitet den Leser zum „Heart of Darkness“ des Potts: „Und, bisse dat erst Mal in Bochum? Ach, du wohnz hier? Is nich schön, ne? Abba sollich dir ma watt sagen? Woanders is au scheiße! Bin ich ma gewwsesen, kannze vergessen! Weisse eigentlich, datt im Ruhrgebiet der Tod die häufigste Ursache is, datt die Menschen sterben? Datt muss man sich ma vorstellen, datt glauben die jungen Leute ja übbahaupt nich. Kumma, mein Schwager, ne? Dem hammse getz datt linke Bein abgenommen, dabei hat der nie geraucht! Na ja, war auch n Aabeitsunfall, abba wer weiß datt schon so genau! Andererseits: Watt machen wir getz mit die ganzen Aabeitslosen? Bei denen is doch nix los, die hamm ja nich ma Unfälle! Watt machen die den ganzen Tach? Hasse eigentlich watt gegen Ausländer? Ich meine watt, watt wirklich hilft? Der is gut, ne? Zwölffuffzich, abba denk dran, ich hab Familie!“

Und selbst den neuesten Trends kommt Goosen entgegen, wenn er dem Leser einen aktuellen Einblick in die Trink-, Koch- und Rezeptkultur seines favorisierten Kulturgebietes gibt. In diesem Fall ist es ein exquisites Spezialgetränk, welches dem Leser vorgestellt wird: „Wodka Wick-Blau wird folgendermaßen hergestellt: Man leere eine 1-l-Flasche Cola, Fanta, Sprite, Lift oder sonst was, spülte sie gründlich aus, kippe 0,7 l Wodka hinein und gebe eine Tüte Wick-Blau Hustenbonbons hinzu. Das Ganze lasse man ein paar Stunden stehen und schüttele es von Zeit zu Zeit gut durch – fertig!“ Bei diesen kulinarischen Hinweisen könnten einen leichte Zweifel kommen, wie es um die Ess- und Trinkkultur von Goosens Heimat bestellt ist, aber wenn man dann die nachfolgenden Zeilen zu diesem Rezept liest, vor allem den Teil mit den „kleinen Tierchen“ – wird man sofort eines besseren belehrt und man weiß sofort, hier hat man etwas für das Leben gelernt.

Titelbild

Frank Goosen: Radio Heimat. Geschichten von zuhause.
Eichborn Verlag, Frankfurt a. M. 2009.
163 Seiten, 14,95 EUR.
ISBN-13: 9783821860725

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