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Zu Jo Nesbøs Harry-Hole-Thriller „Leopard“

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein Leopard schleicht sich an seine Beute an, nimmt den Rhythmus des Atems der Jagdbeute an, um von dieser unbemerkt zu bleiben, um sie zu erlegen, zu töten. Es ist eine treffende Metapher die der Titel des Buches anspricht, um die Vorgehensweise des Täters in dem neuen Roman von Jo Nesbø zu beschreiben. Es ist der achte Band mit dem ebenso abgewrackten wie liebenswerten Ermittler der norwegischen Polizei Harry Hole. Holes Auftritt ist allerdings überraschend. Er war in dem „Vorgängerbuch“ fast dem Täter erlegen. Ein Serienmörder hatte seine Familie angegriffen und letztendlich damit die Beziehung zu seiner Freundin und ihrem Kind zerstört. Hole tauchte ab und zu Beginn des neuen Buches befindet er sich in Hongkong. Er ist komplett abgestürzt, trinkt, hat Schulden und sich selbst aufgegeben. Motiviert durch eine Kollegin wird sein Ehrgeiz als Ermittler geweckt, um einem seltsamen Mord auf die Spur zu kommen, dessen Besonderheit ein ungewöhnliches und grausames Mordwerkzeug ist.

Hole ermittelt in Hongkong, im Kongo, in den Schneewüsten Norwegens und im düsteren Leipzig. Kritische Blicke auf seine eigenen und die Ermittlungen seiner konkurrierenden Mitstreiter lassen die Handlung immer wieder neue Wendungen nehmen. Dabei werden die philosophischen Aspekte des Lebens nicht außer Acht gelassen, wenn Hole sich lapidar zu fundamentalen Lebenssituationen äußert: „;Liebe ist eine Killermaschine‘, murmelte Harry.“ Diese persönlichen Befindlichkeiten sind zwar Nebenschauplätze, aber sie definieren die Atmosphäre und prägen den Habitus der Charaktere. Dieser zeichnet sich vor allem durch eine Komplexität und gebrochene Vielschichtigkeit aus, die Figuren und Handlung fast in die Nähe eines klassischen Epos bringen.

Nach und nach wird das verbindende Element der Taten deutlich und Zweifel kommen auf, ob es sich überhaupt um einen Serientäter handelt. Der Leser jagt dem Rätsel der Morde ebenso nach wie Hole. Das Motiv des Mörders wird zunächst nie richtig deutlich. Dabei nähert man sich mit den Ermittlern in Kreisbewegungen um den – vermeintlichen – Täter, den Leopard. Aber als man kurz vor der Aufklärung des Falls ist, lösen sich die Fakten in Luft auf. Die Spur wird erneut aufgenommen, immer wieder bereichert und gestört durch die Gebrochenheit und beschädigte Komplexität der Hauptfigur. Auch der zweite „Kreis der Annäherung“ scheitert, um letztendlich in einem dritten, letalen Versuch zu enden. Interessanterweise unter Einbeziehung des Serienmörders aus dem Vorgängerbuch. Immer wieder läuft es dem Leser kalt über den Rücken, wenn er die beängstigenden und bedrückenden Wirklichkeitsbeschreibungen aus dem Blickwinkel des Täters miterleben darf: „Ich erinnere mich nicht mal mehr an ihren Namen, als ich einen Brief von ihr bekam, in dem sie mir schrieb, sie sei schwanger und bräuchte Geld. Sie hat sich mir in den Weg gestellt, Lene. Ich habe alles genau geplant. Das Auto mit Plastik ausgekleidet und eine unbeschriebene Postkarte aus dem Kongo mitgenommen, die ich noch zu Hause hatte. Ich habe sie gezwungen, einen Text auf die Karte zu schreiben, der ihr Verschwinden erklärte. Dann habe ich ihr das Messer in den Hals gestochen. Das Klatschen des Blutes auf dem Plastik, Lene […] das ist etwas ganz Spezielles.“ Ein großartiges Stück Kriminalliteratur, das Jo Nesbø hier vorgelegt hat.

Titelbild

Jo Nesbø: Leopard. Kriminalroman.
Übersetzt aus dem Norwegischen von Günther Frauenlob und Maike Dörries.
Ullstein Verlag, Berlin 2010.
70 Seiten, 21,95 EUR.
ISBN-13: 9783550087745

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