Die Rinder, die Menschen

Josh Weils amerikanische Novelle „Herdentiere“

Von Martin GaiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Gaiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die amerikanische Literatur ist um eine junge Stimme reicher. Dabei klingt Josh Weils Debüt gar nicht wie junge Literatur, denn der 1976 in den Blue Ridge Mountains im Osten der USA geborene Schriftsteller bleibt mit seinem ersten Buch ganz seiner Heimat und dem Sujet des Ländlichen verhaftet. Bereits der erste Satz des Buches „Herdentiere“ macht dies deutlich: „Am Ende waren es die Heuballen.“ Darin steckt neben dem Verweis auf das Landleben und dem poetischen Ton, der fast an William Carlos Williams erinnert, noch eine Menge mehr. Da ist zum Beispiel ein Anklang an eine etwas raue Melancholie zu spüren. Weil macht mit diesem Anfang auch klar, dass er kein Fabulierer ist, sondern ein Autor, zu dessen Handwerkszeug die Verknappung, die Lakonie gehört. Im Zentrum dieser, wie es in der Genrebezeichnung heißt, „amerikanischen Novelle“ steht Osby Caudill, ein Mann von nicht näher bezeichnetem Alter, Rinderfarmer und Eigenbrötler. Das wurde er vor allem dadurch, dass sich sein Vater vor kurzem erschoss, weswegen Osby nun ganz auf sich gestellt ist. Wer in einem wortkargen Landstrich keine nennenswerten Sozialkontakte hat und dann seine Hauptbezugsperson verliert, steht schnell alleine da. Das merkt auch Osby, weswegen er auf unsichere Weise versucht, seine Mitmenschen auf sich aufmerksam zu machen. Deb zum Beispiel, die in einem Laden arbeitet und ihn auf die Idee bringt, einen Mieter in sein nun beinahe leeres Haus zu nehmen. Eines Abends, Osby hat schon gegessen, schaut er noch bei ihr im Laden vorbei, wird nervös, kauft sich unsinnigerweise noch ein Sandwich und bemerkt, dass sein Geld nicht reicht. Sie verstrickt ihn in ein Gespräch über Reparaturen im Haus und bittet ihn, ihr zuhause zur Hand zu gehen. Wie sie sich auf das möglicherweise zu Erwartende vorbereitet und wie dieser eigentlich sehr verheißungsvolle Abend endet, ist ein Beleg für Weils grandiose Art der präzisen Beschreibung und der scheinbar so schmuck- und reizlosen Dialoge. Beinahe schon ausufernd wird der Autor dagegen, wenn er die Arbeit des Farmers beschreibt. Hier erinnert Josh Weil an Annie Proulx, die mit ihren Wyoming Stories die ländlich geprägte amerikanische Literatur ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt hat, spätestens durch die Verfilmung ihrer Erzählung „Brokeback Mountain“. David Gutersons Erzählungen „Das Land vor uns, das Land hinter uns“ und natürlich Ernest Hemingways Erzählungen fallen einem ein, wenn man dieses schmale Buch liest. Und man denkt an Robert Olmstead, dessen Buch „Geh nicht fort“ ebenfalls diesen Ton trifft: die Gefühle, die entstehen, wenn man die Vergangenheit mit dem vergleicht, was man im Heute vorfindet; eine Art Wehmut, eine Sehnsucht nach Kindheit und einfachen Verhältnissen. Das vermag Weil hervorragend in der Figur des Carl zu umkreisen. Der wird zwar als Osbys Freund bezeichnet, doch die beiden Männer haben schon seit Jahren kein gemeinsames Bier mehr auf Carls Veranda getrunken. Carl fährt den Schulbus und manchmal nimmt er Osby, wenn er an der Strasse steht, ein Stück mit. Carls Söhnen ist das peinlich und auch Carls Frau Lynne versteht nicht, was ihr Mann an Osby findet, „der von all den Verlierern, die sein Vater als Freunde hatte, der größte war“, wie es Carls Sohn Brian ausdrückt. Und so ist es nur folgerichtig, dass der Autor seinen empfindsamen Protagonisten von den so schwierigen Menschen weg- und zu dessen Rindern hinführt. Denn ein junger Stier ist krank. Sein Vater, denkt Osby, hätte ihm einfach eine Kugel hineingejagt, doch er will sich um das Tier kümmern, gibt ihm Spritzen, beobachtet seine Fortschritte. „Ridge Weather“, so der Originaltitel dieser Novelle, ist ein beeindruckender Text, der in den USA als Teil der Novellensammlung „The New Valley“ erschienen ist. Warum der Verlag nicht das ganze Buch übersetzen ließ und dem deutschen Publikum nur eine von Josh Weils Novellen präsentiert, ist nicht klar. Vielleicht hat man sich für die entschieden, die am besten eine momentane Tendenz in der US-amerikanischen Literatur zeigt, das Leben des Sohnes nach dem Tod des Vaters, das auch bei Gerard Donovan („Winter in Maine“) und Norman Ollestad („Süchtig nach dem Sturm“) ein wichtiges Movens darstellt.

Titelbild

Josh Weil: Herdentiere. Eine amerikanische Novelle.
Übersetzt aus dem Englischen von Stephan Kleiner.
DuMont Buchverlag, Köln 2010.
120 Seiten, 16,95 EUR.
ISBN-13: 9783832195793

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