Die Anwesenheit der Toten in uns

Doris Dörrie reflektiert über die Vergänglichkeit im Filmbuch zu „Kirschblüten Hanami“

Von Claudia GremlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Claudia Gremler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Kirschblüten Hanami“ gilt vielen Rezensenten zu Recht als Höhepunkt in Doris Dörries fast dreißigjähriger Karriere als Filmemacherin. Die Geschichte vom alternden bayerischen Ehepaar Rudi und Trudi, denen man die Jahrzehnte symbiotischer Vertrautheit, die sie mit einander verbracht haben, schon an den Namen ablesen kann, ist ein kleines Meisterwerk über die zeitlos universellen Themen Liebe, Leben, Tod und Vergänglichkeit.

Das Publikum folgt den beiden auf ihrer Reise aus dem Allgäu nach Berlin, wo sie ihre erwachsenen und ihnen entfremdeten Kinder treffen wollen. Es soll ein Abschiedsbesuch werden, denn, wie nur Trudi weiß, ist Rudi unheilbar erkrankt und hat nur noch kurze Zeit zu leben. Tatsächlich ist es überraschenderweise dann jedoch die Frau, die unerwartet verstirbt, ohne ihren jüngsten Sohn besucht zu haben, der seit Jahren in Japan lebt, dem Land ihrer Sehnsucht. Von Schmerz und Trauer überwältigt muss Rudi erkennen, dass seine Frau ihm zuliebe ihre Träume nicht gelebt hat, und so macht sich der in der deutschen Provinz verwurzelte Beamte, für den zuvor „der Fuji am Ende auch nur ein Berg“ war, auf nach Tokio, wo er eine Bewusstseinserweiterung erlebt, die ihm seine verstorbene Frau so nahe bringt wie nie zuvor.

„Kirschblüten Hanami“ ist ein Film, der aufgrund seiner stillen Emotionalität und seines melancholischen Humors fortwirkt und mit dem man sich nach dem Kinobesuch gern weiter beschäftigt. Cineasten werden sich daher freuen, dass neben der vor wenigen Tagen erschienenen Special Edition der DVD mit zahlreichen Extras außerdem auch ein Filmbuch erhältlich ist.

Das Buch enthält als wichtigen Bestandteil das von Dörrie selbst verfasste Drehbuch – erst bei ihrem jüngsten Werk, „Die Friseuse“, ist die Regisseurin davon abgegangen, eigene Stoffe zu verfilmen, was sich leider nicht zum Vorteil ausgewirkt hat. Abgespeckt auf eine lesefreundliche Variante, die neben dem Dialog nur einige wenige Regieanweisungen enthält, gewährt das Skript auch interessante Einblicke in die Entstehung des Films. Insbesondere lässt sich erkennen, wie – sehr zum Gewinn des Films – in der Endfassung auf einige allzu deutliche Dialogpassagen zugunsten einer subtileren visuellen Darstellung verzichtet wurde. So bleibt Trudis Einschätzung, dass möglicherweise Rudis „wirkliches Leben ganz woanders stattfindet“ unausgesprochen – und teilt sich zugleich auf andere Weise viel wirkungsvoller mit, wenn wir dem Witwer auf seiner Sinnsuche folgen.

Auch das Filmbuch stellt die visuelle Komponente stark in den Vordergrund. Doppelt so viel Raum wie das Drehbuch nimmt die an eine Fotostory erinnernde Nacherzählung der Handlung anhand von Standbildern und Screenshots ein, die den Leser auf ähnliche Weise nah an das Geschehen heranholt wie die Verwendung einer winzigen HDTV-Kamera bei den Dreharbeiten das unauffällige Eintauchen des Filmteams in die Umgebung gestattete.

Als kleines visuelles Extra und quasi materialisierter Subtext ist in der rechten Ecke des Drehbuchs als Daumenkino eine winzige Variante des Fotobuchs abgedruckt, das im Film Trudi als Butoh-Tänzerin zeigt. Es ist zugleich Symbol der Ausgrenzung, die Trudis Faszination für Butoh in ihrer Ehe erfuhr und Beweis für ihre fortwährende Präsenz über den Tod hinaus – „die visuelle Anwesenheit der Toten in uns“, wie Dörrie es ausdrückt.

Dieses Zitat ist dem schriftlichen Hintergrundbeitrag von Dörrie entnommen, der den Abschluss des Buches bildet. Hier berichtet die Regisseurin zum einen von ihrer persönlichen Beziehung zu Japan und beschreibt unter anderem die Schwierigkeiten, hinter der „Attrappe für westliche Langnasen“ dem ‚wahren‘ Japan auf die Spur zu kommen. Zudem spricht sie über ihre Beziehung zum Ausdruckstanz Butoh und würdigt den Einfluss von Yasujiro Ozu auf ihr Werk, der besonders klar in der Darstellung der Generationenkonflikte zwischen Rudi und seinen Kindern erkennbar ist. Zum anderen geht die Regisseurin in diesem kurzen Essay auf die großen Themen des Films und ihre cinematografische Umsetzung ein. Erläuterungen über die Abbildung der Kirschblüte als zentrales Vergänglichkeitssymbol sowie die Darstellung der epiphanen Wirkung des Fuji nehmen dabei verständlicherweise die Hauptrolle ein.

Am Ende hat man viel über den Film und seine Entstehung erfahren, und wenngleich man sich einen etwas größeren Materialreichtum wünschen könnte, bietet der vorliegende Band dennoch eine willkommene Ergänzung zur DVD und ist ein kleines Begleitbuch zu einem kleinen Meisterwerk.

Titelbild

Doris Dörrie: Kirschblüten - Hanami. Ein Filmbuch.
Diogenes Verlag, Zürich 2008.
212 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783257066579

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