Königin in schweren Zeiten

Michal Witkowski lässt in seinem Roman „Queen Barbara“ eine markante Stimme von den Wendejahren in Polen erzählen.

Von Bastian SchlüterRSS-Newsfeed neuer Artikel von Bastian Schlüter

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Lucas Cranach der Jüngere hat die polnische Königin Barbara Radziwill in einem imposanten Porträt festgehalten. Über und über mit Perlen, Ketten und Geschmeiden behängt, erscheint die Herrscherin aus dem 16. Jahrhundert auf dem Gemälde, das heute in einem Museum in Krakau ausgestellt ist. Als schönste Adelige ihrer Zeit galt die Fürstin, um die sich viele Geschichten und Legenden ranken. Was für eine Frau – und gerade richtig als Vorbild für einen gewieften Kleinhändler und Geschäftemacher in der polnischen Provinz. Denn Hubert, groß, schwer und kräftig, ein Bild von einem Mann, ist Queen Barbara, umgeben von seinen beiden ukrainischen Hofdamen Sascha und Feluś. Es sind allerdings keine echten Juwelen, mit denen Queen Barbara ihr windiges Leben in den Dekaden des großen Umbruchs zwischen den 1980er- und 1990er-Jahre ausschmückt. Ihre Perlen sind die Produkte der neuen kapitalistischen Warenwelt, die die kollabierende Volksrepublik in sich hineinsaugt. Sie verspricht denen, die sich im real existierenden Sozialismus mit kleinen Tricks und Gaunereien durch die Mängelwirtschaft schlagen mussten, Gewinn und die Teilhabe am neuen Wohlstand. Rasanter Aufstieg und schneller Abstieg wechseln in diesen Jahren einander ab – das Leben ist irgendwie aus den Fugen – und neue Moden und Geschmäcker kreuzen sich umstandslos mit den alten Traditionen und eingefahrenen Gewohnheiten. Michal Witkowski, geboren 1975 in Breslau, wählt für seine Erzählung aus den Wendejahren, die als ein Monolog von Hubert alias Queen Barbara dargeboten wird, eine nur vordergründig extravagante und provokative Art der literarischen Präsentation. Schon seinen Roman „Lubiewo“ aus dem Jahr 2005 hatte er im polnischen Homosexuellen-Milieu angesiedelt, das auch heute noch längst nicht, wie es im europäischen Westen der Fall ist, zwischen Bürgerrechtsbewegung und Lifestyle angekommen ist. Schwule Männer, die sich als Frauen imaginieren, deren größtes Ziel es ist, möglichst derbe und brutale heterosexuelle Männer zu verführen – entlang solcher Konstellationen vermaß Witkowski in seinem Erstling die neuen polnischen Wirklichkeiten. Der Roman löste, kaum verwunderlich, im katholischen und rechtskonservativen Kaczynski-Polen sogleich einen Skandal aus. Wer genauer las, stellte jedoch schnell fest, dass die grelle Provokation nicht das erste Ziel des Autors war. Die Mischung aus proletarischer Kultur und sexueller Abweichung, aus Konsumismus und der Hoffnung, in eine andere Rolle schlüpfen zu können, gab Witkowski die Möglichkeit zu einem subtilen Gesellschaftspanorama. Die von der großen Mehrheit verachtete Tunte in ihrer selbst geschaffenen, oberflächlichen und überzeichneten Rolle konnte geradezu zur symbolischen Figur des gesellschaftlichen Umbruchs vom Sozialismus zum Kapitalismus werden. Die kritische Absicht richtete sich dabei nicht nur auf die eigenen Verhältnisse – das betonte Witkowski selbst. Auch die vermeintlich sehr viel fortschrittlicheren Gesellschaften im Westen und Norden Europas hatte er im Blick. Im internationalen Zauberwort „gay“ spiegeln sich, so der Autor, nicht nur Freiheit und Emanzipation wider, sondern auch die neuen Zwänge aus Körperkult, Konsumorientierung und Markenwahn – jene bis auf weiteres so krisenfesten Ingredienzien des Kapitalismus also, die vielen Menschen in den postkommunistischen Staaten so verheißungsvoll erschienen und weiterhin erscheinen.

In diesen Spuren bewegt sich nun auch Witkowskis neuer Roman, und es spricht für die Könnerschaft und Souveränität des Autors, dass der kritische Blick nicht zur lehrhaften Dominante geworden ist, sondern sich beziehungsreich einfügt in das dichte Geflecht des königlichen Monologs. Queen Barbara kennt die raue Sprache der Kleinkriminellen und träumt sich dennoch sprechend hinein in die hohe und hohle Welt des alten polnischen Adels und seiner gespreizten Rede. Die neuen Freuden der Kosmetikindustrie mit ihren Flacons und Spraydosen funkeln als Markennamen durch den Text – genauso, wie der polnische Katholizismus mit seiner besonderen Art der Volksfrömmigkeit seinen Niederschlag findet. Der Übersetzer Olaf Kühl musste sich zweifellos immer wieder der besonderen Herausforderung stellen, das code switching des Ursprungstextes und seiner zwischen unterschiedlichen Stilhöhen und Lebenslagen mäandernden Passagen adäquat nachzubilden. Es ist ihm mit Erfolg gelungen – dennoch wird, wer sich nur unzureichend im polnischen Alltag der letzten drei Jahrzehnte auskennt, des Öfteren das Gefühl haben, nicht alle Anspielungen zu verstehen. Es ändert ganz sicher nichts daran, auch diesen Roman Witkowskis in seiner markanten und widerständigen Anlage, mehr noch aber in seiner Sprachkraft und Vielschichtigkeit zu den spannenden Exponenten der jungen Literatur Polens zu zählen.

Titelbild

Michal Witkowski: Queen Barbara. Roman.
Übersetzt aus dem Polnischen von Olaf Kühl.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2010.
255 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783518126059

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