Ein Täter wider Willen?

Ingrid Buchlohs Versuch einer Exkulpierung von Goebbels Star-Regisseur Veit Harlan überzeugt nicht

Von Klaus-Jürgen BremmRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus-Jürgen Bremm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wie war es möglich, dass ein liberal geprägter und vormals mit vielen Juden befreundeter Künstler und Regisseur mit dem Film „Jud Süss“ das berüchtigtste antisemitische Machwerk des Dritten Reiches geschaffen hat? In der jetzt vom Schöningh Verlag herausgebrachten knappen Biografie über Veit Harlan ist dies die zentrale Frage. Nachdem die Autorin Ingrid Buchloh rasch auf wenigen Seiten die Jugend, familiäre Verhältnisse und die ersten Karriereschritte ihres Protagonisten abgehandelt hat, widmet sie sich ausführlich dem filmischen Werk Veit Harlans unter Adolf Hitler und Joseph Goebbels. Wie die meisten Kulturschaffenden des Dritten Reiches, die den Mut oder die Konsequenz zur Emigration nicht aufbrachten, geriet auch Harlan, glaubt man der Verfasserin, schon nach wenigen Jahren einer scheinbaren künstlerischen Unabhängigkeit in das ideologische Fahrwasser eines totalitären Regimes. Wer als Regisseur oder Schauspieler mit Goebbels Ministerium kooperierte, genoss zahlreiche Vorzüge und wurde mit Ehrungen, Preisen und Geld überhäuft. Genau dies aber korrumpierte viele Künstler und machte sie schließlich erpressbar. Als mehr oder weniger gefügige Komparsen der Goebbels´schen Propagandamaschine spielten sie ihre zweifelhafte Rolle in einer eigenartigen Scheinwelt buchstäblich bis in die letzten Tage des Dritten Reiches.

Auch Harlan, der laut Buchloh schnell zu Goebbels Starregisseur aufgestiegen war, konnte sich angeblich den Zumutungen seines obersten Dienstherrn immer weniger entziehen und sah sich bei Kriegsausbruch sogar gegen seinen ausdrücklichen Willen buchstäblich genötigt, die tragische Geschichte des württembergischen Geheimen Finanzrates Joseph Süss Oppenheimer zu verfilmen. Der Film über den schließlich im Februar 1738 hingerichteten Aufsteiger aus dem jüdischen Ghetto sollte nach dem Willen Hitlers der Film zur geplanten Endlösung der Juden werden und war daher mit allen erdenklichen antijüdischen Klischees zu versehen.

Glaubt man der Autorin Ingrid Buchloh, schien es für die Betroffenen praktisch unmöglich, sich der Mitwirkung an diesem „ersten echten antisemitischen Film“ des Dritten Reiches zu entziehen. Harlan sah sich und seine Familie mit dem Konzentrationslager oder gar noch Schlimmeren bedroht und konnte von dieser wackeligen Version schließlich sogar das Hamburger Gericht überzeugen, das nach Kriegsende zweimal wegen Aufwiegelung zum Rassenhass gegen ihn verhandelte. Weshalb aber gelang es namhaften Akteuren wie Emil Jannings, Gustav Gründgens, Gustav Knut oder Paul Dahlke, sich in diesem Fall dem „kriegsdienstlichen Befehl“ des allmächtigen Propagandaministers zu entziehen? Wieso drängte Goebbels so vehement darauf, ausgerechnet den angeblich widerstrebenden Veit Harlan für ein so wichtiges Projekt zu verpflichten? Dass Ingrid Buchloh wiederholt ihren Protagonisten als unverzichtbaren Starregisseur des Regimes bezeichnet, beantwortet die Frage nicht wirklich. Wenn Harlan tatsächlich jene innerliche Distanz zum Nationalsozialismus einnahm und sie zum Teil auch offen zeigte, konnte er in keinem Fall die erste Wahl für einen so prestigeträchtigen Film sein, zumal Goebbels mit Regisseuren wie Wolfgang Liebeneiner, Erich Waschneck und Fritz Hippler mindestens drei bewährte Alternativen zur Hand hatte.

Es bleibt dem Leser dieser Biografie nur der Schluss, dass Harlan durchaus nicht so unmissverständlich zur Regie gezwungen werden musste, wie er es später in seinen nach dem Krieg verfassten Selbstzeugnissen darstellte. Erklärungsbedürftig bleibt dann auch, wie ein von scheinbar so widerstrebenden Akteuren gestalteter Film zu einem regelrechten Kassenschlager werden konnte, der bei 20 Mio. Zuschauern allein im Reich fast 7 Mio. RM einspielte. War es tatsächlich nur das professionelle Selbstverständnis Harlans, das ihn schließlich dazu brachte, sich ohne Vorbehalte und mit vollem Einsatz der neuen Aufgabe zu widmen? Kann man es dann noch als einen Akt der Obstruktion bezeichnen, wenn Harlan akribisch bestrebt war, alle offenen antisemitischen Diffamierungen nach der primitiv pöbelnden Art eines Julius Streicher zu vermeiden? Gewann doch gerade dadurch der Film erst seine perfide propagandistische Wirkung. Hätte es nicht für einen Regisseur eine Fülle von Möglichkeiten gegeben, ein angeblich ungeliebtes Projekt nachhaltig scheitern zu lassen? Ausufernde Kosten, Erkrankungen von Schlüsselpersonal, misslungene Szenen oder schlicht missgestimmte Schauspieler bedeuteten schon für so manchen Film das frühzeitige Aus.

Ingrid Buchlohs Argumente passen hier einfach nicht zusammen und können sich letztlich nur auf Harlans nachträgliche Selbstzeugnisse, auf die Nachkriegsmemoiren seiner Weggefährten und auf die Hamburger Prozessakten berufen. Kaum verlässlich erscheinen indes nach ihrer Ansicht Goebbels Tagebucheintragungen, dessen ständige Eingriffe in die Filmarbeiten sie gleichwohl zur Entlastung ihres Protagonisten erwähnt. Es sei allerdings vermerkt, dass sich darin auch keinerlei Hinweise auf eine grundsätzliche Ablehnung des Projektes durch Harlan finden.

Nach dem heutigen Forschungsstand über das Dritte Reich würde es insgesamt auch sehr verwundern, wenn sich anders als bei Wehrmacht, Wirtschaft und Diplomatie ausgerechnet in der hoch privilegierten Filmbranche eine Kultur des Widerstandes herausgebildet hätte, zu deren Protagonisten dann auch der philosemitische Harlan gezählt haben würde. Genau diese Frage aber klärt Ingrid Buchloh nicht. Ein kritisches Porträt des deutschen Films im Dritten Reich hätte letztlich auch zu einer überzeugenderen Sicht auf Harlan geführt.

So aber entartet ihr Text zu dem einseitigen und beinahe schon peinlichen Versuch einer Exkulpation ihres Helden. Obwohl sie jede nur dokumentarisch greifbare Wohltat Harlans an rassisch oder politisch Verfolgten zu dessen Entlastung heranzieht, kann sie den Hauptvorwurf der willentlichen Kooperation im Fall „Jud Süss“ kaum glaubhaft entkräften. Aus dem Täter wider Willen wird somit in ihrer Biografie ein tragisches Opfer, das schließlich an der verleumderischen Unversöhnlichkeit einer angeblich verhetzten Nachkriegsgesellschaft scheitert und früh verstirbt.

Titelbild

Ingrid Buchloh: Veit Harlan. Goebbels' Starregisseur.
Schöningh Verlag, Paderborn 2010.
328 Seiten, 34,00 EUR.
ISBN-13: 9783506769114

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