Vergessene Romane einer vergessenen Revolution

Ulrich Kittstein und Regine Zeller leisten mit ihrem Sammelband „Friede, Freiheit, Brot“ literaturwissenschaftliche Erinnerungsarbeit

Von Ines SchubertRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ines Schubert

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der 9. November – kaum ein historisches Datum ist den Deutschen so präsent. Die Erinnerungskultur dieses symbolträchtigen Tages bewegt sich an der Wende zum 21. Jahrhundert zwischen dem Gedenken an die Opfer der Reichspogromnacht und der Feier des Mauerfalls. Die Gegensätzlichkeit zwei solch prägender Ereignisse gleichen Datums könnte größer nicht sein. Oftmals übersehen wird dadurch, dass sich die Rede vom 9. November als dem ,Schicksalstag der deutschen Geschichte‘ auch aufgrund eines weiteren historischen Wendepunktes etabliert hat. Der 9. November 1918 und mit ihm die Novemberrevolution scheinen aus dem kollektiven Gedächtnis der Deutschen weitgehend verschwunden.

Versuche, das historische Geschehen der Jahre 1918/1919 mit literarischen Mitteln im kollektiven Gedächtnis zu verankern, gab es hingegen nicht wenige. Neunzehn von ihnen widmet sich der von Ulrich Kittstein und Regine Zeller herausgegebene Sammelband „,Friede, Freiheit, Brot!‘ Romane zur deutschen Novemberrevolution“.

Der Fokus der Romananalysen liegt dabei erkennbar auf dem komplexen Zusammenhang von Geschichtsdeutung, politisch-ideologischer Wirkungsabsicht und den hierfür angewandten literarischen Strategien. Dieser die Beiträge des Sammelbandes einende Interpretationszugang erweist sich als besonders aufschlussreich hinsichtlich der sich wandelnden erinnerungskulturellen Funktion, die der Literatur hier zugewiesen wird. So werden die Texte der Weimarer Zeit als Zeugnisse aktueller parteipolitischer und ideologischer Konfrontationen über die jüngste Vergangenheit der Republik aufgefasst, während in den nach 1933 entstandenen Romanen zur Novemberrevolution die Autoren bereits – so die die im Sammelband plausibel entfaltete Lesart – gegen das fortschreitende Vergessen der Revolution anschreiben.

Bemerkenswert gut wird der Leser über die historischen Zusammenhänge und Hintergründe der deutschen Novemberrevolution, die möglichen Ursachen ihres Vergessenwerdens, aber vor allem in die ,Links-rechts-Dichotomie‘ der literarischen Revolutionsbilder mit ihren vielfältigen Erzählstrategien und Deutungsmustern informiert. Neben dieser gewinnbringenden Einführung unterstützen auch die in den einzelnen Beiträgen sehr differenziert vorgenommenen Einordnungen der jeweiligen Romane in ihren Entstehungs- und Rezeptionszusammenhang das erklärte Ziel des Bandes, die Text-Kontext-Beziehungen der Novemberrevolutionsromane näher zu beleuchten. Einzig zu bemängeln wäre, dass etwa die knappe Hälfte der Beiträger, diesen, wie betont, sehr sinnvollen Einordnungsanspruch ihrer Herausgeber viel zu stark auf die Biografie der Autoren und Autorinnen gemünzt oder aber unnötig lange Inhaltsangaben der Romantexte verfasst hat – der literaturwissenschaftliche Sinn solcher Unternehmungen scheint zumindest zweifelhaft.

Nicht nur die Revolution selbst ist in Vergessenheit geraten, gerade auch die literarischen Auseinandersetzungen mit der Novemberrevolution sind in der Forschung bisher nur auf begrenztes Interesse gestoßen. Diesem Zustand schafft der Sammelband in sehr zufriedenstellender Art und Weise Abhilfe. Darüber hinaus leistet der Band aufgrund seiner konzisen konzeptionellen Ausrichtung, die nach der literarischen Gestaltung von Geschichtsbildern und Wirkungsintentionen fragt, literaturwissenschaftliche Erinnerungsarbeit in einer zwar oft eingeforderten, aber nur selten eingelösten Qualität.

Titelbild

Ulrich Kittstein / Regine Zeller (Hg.): "Friede, Freiheit, Brot!". Romane zur deutschen Novemberrevolution.
Rodopi Verlag, Amsterdam 2009.
368 Seiten, 98,99 EUR.
ISBN-13: 9789042027107

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch