Trübsinnige Pathospoesie

Julia Bleskens erster Roman „Ich bin ein Rudel Wölfe“ scheitert an seiner bedeutungsschwangeren Sprache

Von Judith BergesRSS-Newsfeed neuer Artikel von Judith Berges

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine junge Frau verlässt ihr Heimatdorf in Ostdeutschland und fährt nach Berlin. Es ist Winter 1990/91, ein Jahr nach dem Mauerfall, und Berlin ist nicht nur groß, fremd und unübersichtlich, sondern auch im vielzitierten Nachwende-Umbruch begriffen – mit besetzten Häusern und jeder Menge Menschen, die hier ihre Vergangenheit hinter sich lassen wollen. Ein Szenario, dem literarisch nicht leicht Leben einzuhauchen ist, schreit es doch nach Klischees.

Aber Julia Bleskens Heldin ist ohnehin nicht der Typ, der sich ins anarchische Szeneleben stürzt. Sie ist vom Land und vor allem grüblerisch und unsicher: „Noch bevor sie die Universität erreicht hatte, gingen ihr Worte wie Immatrikulation im Kopf umher, und Re wusste, dass sie es nicht schaffen würden.“ Dieser Satz ist leider beispielhaft für das ganze Buch. Die banalsten Dinge werden in eine raunende, mystifizierende, dabei ungenaue Sprache gekleidet, wodurch weder die Geschichte interessanter noch die Protagonistin sympathischer wird. Diese „Re“ – so der Vorname, den, Zitat: „der Großvater ihr gegeben hatte vor langer Zeit, zwei Buchstaben nur, mit einem Stock in den Sand geschrieben“ – zeigt sich in allen ihren spärlichen Lebensäußerungen als ein dermaßen larmoyantes und betuliches Geschöpf, das man schon bei besagtem Satz über die Immatirkulation, der auf Seite 36 von 223 steht, nur sagen möchte: gut, dass du das erkennst, dann können wir uns ja hier verabschieden.

Das Buch will einen inneren Prozess beschreiben, doch der Funke springt nicht über, und das liegt vor allem an der Sprache. Was der Hauptfigur auch begegnet oder ihr „im Kopf umhergeht“, wird auf der Stelle mit trübsinniger Pathospoesie zugekleistert. Nahezu zwanghaft wird allem eine tiefere Bedeutung untergeschoben, und wenn es nur die Sachbearbeiterin im Immatrikulationsbüro ist: „Die Frau ihr gegenüber sah sie an, als wisse sie, dass Re hier nicht hergehörte, dunkle braune Augen. Großmutteraugen.“

Überhaupt die Familie. Diese Familie, die Re in ihrem Dorf zurückgelassen hat „ohne Abschied“, ist ein arges Problem. Sie ist überpräsent, ohne je mehr zu sein als eine obskure Fantasie der Protagonistin. Die Erinnerung an die Familie wird unentwegt bemüht, auch als Erklärung für Res Fremdheitsgefühle und ihre Unfähigkeit, sich in Berlin zurechtzufinden. Man versteht jedoch nicht, warum das irgendjemanden außer der Heldin selbst bewegen sollte.

Auch hier ist die Beschreibung das Manko. Die ostdeutschen Familien-und Dorfszenen bleiben Kulisse. Diese Oberflächlichkeit steht in einem unangenehmen Gegensatz zu den detaillierten Schilderungen von Sinneseindrücken der Protagonistin. Es wirkt, als solle so die literarische Wirklichkeit herbeigezwungen werden, die sich in der Darstellung der Menschen und Orte partout nicht einstellen will. Dabei werden neben der explizit mit Datum benannten historischen Situation weitere komplexe soziale und familiäre Szenarien bemüht, ohne dass je etwas vertieft werden würde. So trägt die Beziehung zwischen Re und ihrem Bruder Züge einer Obsession, doch das ganze ist so unklar, wirkt dabei so gesucht und hart am Kitsch entlang erzählt, dass keine Spannung aufkommt, nur ein vages Gefühl von Absonderlichkeit.

Die Sprache strotzt nur so vor „vielleichts“ und „fasts“ und geraunten Konjunktiven. Wenn jemand still ist, ist er sehr still, und die Postkarte, die ihr Bruder ihr nach Berlin schreibt, wird so kommentiert: „Komm, hatte ihr Bruder geschrieben, und sie war diesem Ruf gefolgt.“ Nichts kann für sich stehen, alles ist „wie“ und „als ob“, und zu oft verhelfen die Vergleiche dem Gegenstand nicht zu mehr Farbe und Facetten, sondern unterstreichen erst recht seine Banalität. Bei aller Anstrengung wird die Erzählung nicht lebendig, so dass man sich am Ende fragt, was all dieser sprachliche Aufwand eigentlich sollte.

Titelbild

Julia Blesken: Ich bin ein Rudel Wölfe. Roman.
Jung und Jung Verlag, Salzburg 2009.
224 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783902497567

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