Meteorologie – spannend wie ein Krimi

Über Giles Fodens Roman „Die Geometrie der Wolken“

Von Monika GroscheRSS-Newsfeed neuer Artikel von Monika Grosche

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

 

Meteorologie und Wettervorhersagen als Themen eines Romans? Das scheint, gelinde gesagt, gewagt, vermutet man doch eher knochentrockene Fakten denn mitreißende Dramatik. Doch der britische Autor Giles Foden belehrt mit seinem neuen Roman „Die Geometrie der Wolken“ alle Skeptiker eines Besseren.

Wie in seinem gefeierten Erstlingsroman „Der letzte König von Schottland“, der die Vorlage zum gleichnamigen oscarprämierten Film war, verbindet Foden auch hier historisch belegte Vorgänge und Personen mit fiktiven Figuren und Ereignissen. Dies gelingt ihm so vortrefflich, dass man statt des erwarteten Wissenschaftsromans in der „Geometrie der Wolken“ auf eine spannende Mischung aus Zeitgeschichte und Psychogramm des Ich-Erzählers trifft, die den Leser nicht eher das Buch aus der Hand legen lässt, bis er sich auch die letzte Seite der fiktiven autobiografischen Erinnerungen des Protagonisten gelesen hat.

Im Blickfeld des Romans steht ein zentrales Ereignis der (Kriegs-)Geschichte des 20. Jahrhunderts. Mit der „Operation Overlord“ planen die Alliierten, dem Zweiten Weltkrieg eine entscheidende Wende zu geben. Eine riesige Armada wartete unter dem Oberkommando von General Dwight D. Eisenhower im Mai 1944 in Südengland auf den Startschuss zur Landung in der Normandie. Doch damit der D-Day kein Desaster wird, benötigte das Militär Wetterbedingungen, in denen drei wichtige Faktoren zusammentreffen: Eine mondhelle Nacht mit leichter Bewölkung soll den Piloten gute Sicht verschaffen, die Flugzeuge aber vor den Blicken der Deutschen verbergen. Gleichzeitig braucht man möglichst wenig Wind, damit kein hoher Seegang die Überfahrt der Schiffe und die Landung erschwert. Und zusätzlich muss in den frühen Morgenstunden Ebbe herrschen, damit man die Panzersperren und Minen an den Stränden räumen kann.

So lastet ein gewaltiger Druck auf den Schultern des internationalen Meteorologenteams, das gemeinsam alles daran setzt, um die enorme strategische und logistische Herausforderung nicht zum Desaster werden zu lassen. Allein schon das Zusammentreffen der Faktoren zuverlässig zu prognostizieren, ist keine Routineaufgabe für sie. Doch diese dann auch noch auf fünf Tage im Voraus vorherzuberechnen, wie die Generäle es verlangen, ist eine nahezu unlösbare Herausforderung.

Abhilfe schaffen könnte allein das meteorologische Genie Wallace Ryman. Dieser  hat ein neuartiges mathematisches System entwickelt, mit dem man hochkomplexe Wetterphänomene berechnen kann. Doch der eigenbrötlerische Quäker, den Giles Foden dem Begründer der modernen Wetterkunde, Lewis Fry Richardson, nachempfunden hat, verweigert sich dem Wissenschaftsbetrieb. Als überzeugter Pazifist hat er sich nach Schottland zurückgezogen und sieht keinerlei Veranlassung, die Militärs bei ihren Unternehmungen zu unterstützen. Vielmehr widmet er sich der Friedensforschung, seinem Garten und skurrilen Berechnungen für nahezu alle Bereiche des menschlichen Lebens. Allein die potenziell kriegsentscheidende „Ryman-Zahl“ scheint den Exzentriker nicht mehr zu interessieren.

So ist jedenfalls der Eindruck des Ich-Erzählers Henry Meadows, einem jungen Meteorologen, der an die schottische Küste geschickt wird, um dem störrischen Kollegen das Geheimnis seiner Zahl zu entlocken. Doch Meadows Aufenthalt entwickelt sich weniger erfolgreich als es seine Vorgesetzten erhoffen. Er gibt sich mehr dem Whisky und amourösen Avancen hin, als dass er mit seinen tolpatschigen Nachforschungen größere Fortschritte vorweisen könnte. Schließlich wird der ungeschickte Heißsporn in einem missglückten Ausbruch von Patriotismus dann auch noch zum Verursacher eines Unfalls, bei dem Ryman auf schreckliche Weise zu Tode kommt. Damit scheint die Hoffnung auf eine verlässliche D-Day-Vorhersage endgültig besiegelt.

Umso schwerer drückt die Last der Verantwortung auf den Schultern der Meteorologen, die Tag und Nacht arbeiten, nur um sich bei endlosen Telefonkonferenzen in widersprüchliche Prognosen zu verstricken. Doch dann entwickelt ausgerechnet Meadows ungeahnte Größe und Kompetenz: Er bemerkt nicht nur scheinbar widersprüchliche Werte einer Wetterstation, sondern es gelingt ihm auch, Rymans Formel darauf anzuwenden, sodass er für den frühen Morgen des 6. Juni 1944 einen kleinen Zeitkorridor mit den erforderlichen Wetterbedingungen findet.

Trotz oder gerade wegen der detailreichen Fakten, die Foden in intensiven Recherchen zu Lewis Fry Richardson und aus den historischen Protokollen der Telefonschaltungen der alliierten Wetterkundler zusammentrug, hat der Autor mit seiner „Geometrie der Wolken“  einen fesselnden Roman geschaffen, der einen spannenden neuen Blickwinkel auf ein historisches Ereignis liefert, von dem man beinahe geglaubt hätte, dass darüber bereits alles gesagt wurde.

Titelbild

Giles Foden: Die Geometrie der Wolken. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Hannes Meyer.
Aufbau Verlag, Berlin 2010.
393 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783351032920

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