Mordskunst

Über den Vorrang von Kunst oder Leben gibt es im Kriminalroman kein Vertun – James Pattersons und Lisa Marklunds „Letzter Gruß“

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Zusammenarbeit zweier renommierter Krimischreiber über den Atlantik hinweg ist dem Feuilleton einige Aufmerksamkeit wert gewesen, primär, weil es sich mit James Patterson und Liza Marklund um bekannte Autoren handelt. Vielleicht spielt auch ein bisschen mit, dass man sich von der Kooperation etwas verspricht, was bei Unternehmensfusionen Synergieeffekt genannt wird, dort allerdings meist verpufft. Allerdings wird man dem Gemeinschaftsprojekt Pattersons und Marklunds vieles nachsagen können, nicht jedoch, dass es sich bei ihrem Krimi um einen Fehlschlag handelt. Eher im Gegenteil, und vielleicht doch deshalb ein Manko, denn die Zusammenarbeit hat anscheinend grandios funktioniert. Ein bisschen zu gut möglicherweise, denn auf der Suche nach dem Haar in der Suppe findet sich lediglich der Eindruck, dass „Letzter Gruß“ am Ende doch vor allem routiniert und glatt geschrieben ist, also sich eigentlich kaum von der Durchschnittsschreibe schwedisch-amerikanischer Erfolgsschriftsteller unterscheidet.

Aber immerhin haben die beiden Autoren mit diesem Krimi eine Art Positionsbestimmung versucht, in einem Problem schließlich, das Autoren und Künstler schon seit langem beschäftigt und bei dem sie in der Regel das Nachsehen haben. Was nämlich ist vorrangig: Kunst oder Leben?

Dass sie das Leben für vorrangig halten, hängt dabei vor allem daran, dass ihr Roman vom Tod handelt, sogar von möglichst vielen Toten, die auf das Konto eines jungen Paares gehen, das durch Europa reist und andere Paare ermordet. Bewusstlos gemacht und ein glatter Schnitt durch die Kehle, danach nett arrangiert, abfotografiert – fertig.

Auf der Spur des gerissenen Pärchens, das trotz der vielfältigen Bemühungen der lokalen Polizeikräfte lange unerkannt bleibt, hat sich ein New Yorker Ermittler gesetzt, dessen Tochter eines der Opfer ist, ermordet in Rom, auf einer Reise mit ihrem Mann, die ihnen der Vater geschenkt hat.

In Schweden trifft er auf eine Polizeireporterin, die zufällig in das Spiel gerät, das das Killerpärchen mit den Verfolgern zu treiben scheint. Und jetzt endlich ist der Moment gekommen, in dem die Ermittler den Killern auf die Spur kommen und sie festnageln.

Dabei fallen dem New Yorker Polizisten Jacob Kanon und der schwedischen Reporterin Dessie Larsson die Arrangements auf, die auf den Polaroids erkennbar sind, die die Mörder von ihren Opfern machen. Arrangements, die offensichtlich Vorbilder haben, berühmte Gemälde, wie sie nach und nach herausfinden, die mit den Leichen nachgestellt werden.

Mit diesem Erkenntnisschritt, den auch die Leser mitmachen dürfen, sind wir dann schließlich im Kunstthema angekommen, das die Folie von „Letzter Gruß“ bildet. Denn es ist die Kunst, die hier zum Mord führt. Das Killerpärchen wird als Geschwisterpaar erkannt, dessen Eltern vor Jahren unter geheimnisvollen Umständen umgekommen sind (ein Schnitt durch die Kehle, wie wir erfahren).

Als junge Erwachsene haben sie dann Kunst studiert, wurden aber wegen eines skandalösen Happenings von ihrer Kunsthochschule relegiert: Ein öffentlicher inzestuöser Beischlaf hat immer genügend Provokationskraft, um auch liberale Kunsthochschulen dazu zu bringen, Studenten auszuschließen.

Immerhin wird daran sichtbar, dass die beiden ihre Kunst ernst meinen, genauer gesagt, dass ihr Kunstverständnis sich mit dem eingefriedeten Bereich, den der Kunstbetrieb ihnen zuweist, nicht zufrieden geben kann. Statt aber klein beizugeben, gehen sie einen Schritt weiter.

Ihre Kunst durchbricht die Schranke zwischen Kunst und Leben, mehr noch – als hätten sie brav Thomas Mann gelesen – die Kunst demonstriert ihren Willen zum Tode. Schönheit, so schrieb Mann 1925, trage immer schon den Tod, das Sinnlose, der Abgeschlossene in sich.

Kunst, die Leben werden will, wie dies Künstler immer wieder gern anvisieren, muss also zum Mord kommen. Und in der Tat: Auch wenn Patterson und Marklund ihrem Täterpärchen im Schlussteil noch einen pathologischen Hintergrund verpassen, im Kern des Ensembles steht der Wille zur echten und wirklichen Kunst als Wille zum inszenierten Mord.

Dass dies Krimischreiber in der Regel so nicht akzeptieren können, ist naheliegend, spätestens dann, wenn sie als Agenten der gesellschaftlichen Ordnung angesehen werden, die den Mord als Verstoß sieht und die Mörder sanktionieren muss. Insofern ist Pattersons und Marklunds Position kaum eine Überraschung. So amoralisch, dass sie um der sensationellen Schreibe willen, den literarischen Mord als Kunstwerk feiern, sind sie nicht. Und so finden am Ende alle Beteiligten ihr gerechtes Ende, und der lebensmüde Vater Kanon in der schwedischen Ermittlerin eine lebensbejahende und vitale neue Partnerin. Ende gut, alles gut. Mörder tot, Ermittler glücklich. Das ist immerhin etwas – vor allem aber etwas zu wenig für einen wirklich guten Thriller.

Titelbild

James Patterson / Liza Marklund: Letzter Gruß. Thriller.
Limes Verlag, München 2010.
351 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783809025856

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