In Goebbels’ Schatten

Stefan Krings legt die erste Biografie von Hitlers Pressechef Otto Dietrich vor

Von Daniel KrauseRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniel Krause

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In den Nachkriegsjahrzehnte erschienen mehrere ambitionierte Hitler-Biografien. Zumal Alan Bullock und Joachim C. Fest haben sich um das Genre verdient gemacht, und Sebastian Haffner hat dem Hitler-Bild allerlei fahle essayistische Glanzlichter aufgesetzt. Mit Ian Kershaw scheint die Hitler-Biografik einen vorläufigen Höhe- und Endpunkt erreicht zu haben: Fürs Erste scheinen die großen Fragen, Hitler betreffend, beantwortet zu sein. Das Erkenntnisinteresse hat sich seither verschoben. Die zweite und dritte Reihe der nationalsozialistischen Führung kommt in den Blick: Alfred Rosenberg, Heinrich Himmler und Werner Best sind Gegenstand großangelegter Studien geworden. Michael Wildts ‚kollektive Biografie‘ über die „Generation des Unbedingten“ im Reichssicherheitshauptamt (2002) kann – nach grandiosen Vorarbeiten Christopher Brownings – als ein Glanzstück erweiterter Täterforschung gelten, die nicht mehr den einen ‚Ver-Führer‘ betrachtet, dem gutwillige Deutsche, Lemmingen gleich, in den Abgrund folgen, sondern die selbst verantworteten kriminellen Aktivitäten zahlloser Deutscher in den Mittelpunkt rückt und an Einzelfällen exemplarisch zur Darstellung bringt.

Die alte Entgegensetzung funktionalistischer Darstellungen des nationalsozialistischen Staates (Hans Mommsen, Martin Broszat) – auf die Wirkungsweise seiner Institutionen abhebend und Deutschlands Vernichtungspolitik nicht so sehr als Ausfluss absichtsvoller Planung seitens des ‚Führers‘ auffassend, vielmehr als Effekt „kumulativer Radikalisierung“, die von den Akteuren in letzter Konsequenz nicht überschaut werden kann – und andererseits intentionalistischen Sichtweisen (Eberhard Jäckel, Karl Dietrich Bracher), die auf bewusste Willensakte Hitlers abheben, scheint vor dem Hintergrund besagter Akzentverschiebung der Forschung veraltet: Stück um Stück verfertigt die mittlere und jüngere Generation der Historiker eine ‚kollektive Biografie‘ jener Funktionäre des nationalsozialistischen Staates, die dessen „polykratisches Herrschaftsgefüge“ ‚mit Leben erfüllten‘ und je eigenen Karriereabsichten dienstbar zu machen versuchten. Stefan Krings’ Biografie über „Reichspressechef“ Otto Dietrich – die erste überhaupt – fügt unserem solcherart erweiterten Bild vom Nationalsozialismus ein weiteres wertvolles Element hinzu.

Dietrich stand damals wie heute im Schatten von Joseph Goebbels, dessen genialisches Demagogentum ihm fehlte. Wer sich Dietrichs erinnert, hat meist einen einzigen seiner Auftritte im Gedächtnis: Im Oktober 1941 verkündet er Vertretern der internationalen Presse auf Hitlers Geheiß, der Krieg im Osten sei entschieden, die Zerschlagung der letzten sowjetischen Einheiten stehe unmittelbar bevor. Wenige Wochen danach ist die deutsche Armee vor Moskau zum Stehen gekommen und die Glaubwürdigkeit deutscher Propaganda vor der Weltöffentlichkeit irreparabel beschädigt. Hitler bringt nun ein ‚Bauernopfer‘, nötigt Dietrich, sich für besagte Fehleinschätzung verantwortlich zu erklären. War dieser zuvor im Milieu deutscher Reporter wegen substanzlosen Großsprechertums verschrien und beim begabteren Hetzer – und Wettbewerber um die Gunst Hitlers –, Goebbels, schlecht angesehen, ist Dietrich künftig mit dem Stigma des Narren versehen. Goebbels spricht vom „schwersten propagandistischen Fehler“, der jemals begangen worden sei. Wenn Dietrich trotzdem im Amt blieb, so nicht zuletzt deshalb, weil die Kontinuität für die Außendarstellung des nationalsozialistischen Deutschlands gewahrt bleiben sollte.

Wohlgelitten war Dietrich in Kreisen der nationalsozialistischen Führung jedenfalls nicht. Das zunehmend distanzierte Verhältnis zu Hitler war gleichwohl geeignet, Dietrichs Wirkungsmöglichkeiten als „Reichspressechef“ noch zu vergrößern: Wenn überhaupt, gab Hitler nur in dürren Worten Inhalte der Berichterstattung vor. Die „konkrete Ausformulierung“ (Krings) lag im Ermessen Dietrichs, der Hitler als treuer Lakai in die jeweiligen ‚Führerhauptquartiere‘ folgte. Im Allgemeinen war er es, nicht Goebbels, der ‚Tagesparolen‘ für deutsche Presseorgane ausgab und mithin das Alltagsgeschäft der Manipulation betrieb.

Der ‚Gleichschaltung‘ der deutschen Journalisten widmet Krings ein eigenes Kapitel: einer Selbst-‚Gleichschaltung‘ kommt sie recht nahe. Hitler war „auf den Tag genau erst drei Monate Kanzler, als auch die delegierten Vertreter der nichtnationalsozialistischen Presse für Otto Dietrich als Vorsitzenden stimmten und mehrheitlich den Ausschluss ihrer jüdischen und marxistischen Kollegen befürworteten. Die Herrschaft der Nationalsozialisten hatte sich zu diesem Zeitpunkt noch keineswegs stabilisiert und das im Aufbau befindliche Propagandaministerium erst damit begonnen, konkretere und längerfristige Maßnahmen zur inhaltlichen Medienlenkung zu entwickeln.“

Auch für Dietrichs persönliche Schuld findet Krings deutliche Worte: „Dietrich war nicht der ‚Postbote‘ Hitlers, als der er sich später ausgab. Über seine Tagesparolen hinausgehend brachte er sich vom Führerhauptquartier aus regelmäßig auch mit eigenen Presseartikeln und Interviews in das politische Geschehen ein.“ „Das nationalsozialistische Deutschland […] habe der Welt ‚immer wieder den Frieden angeboten‘ und auch England ‚immer aufs neue die Hand zum Bündnis gereicht‘.

Stefan Krings’ Prosa ist trocken und spröde, doch sorgfältig artikuliert und frei von Stilblüten, Phrasen und rhetorischem Rankenwerk. Auf Quellennachweise und einen zünftigen Apparat wurde gesteigerter Wert gelegt. Der Haupttext bietet dem Laien keine Verständnisschwierigkeiten, zielt jedoch nicht auf belletristisches Lesevergnügen oder geistesprühende essayistische Extravaganz. Dies erklärt sich aus dem Format: Es handelt sich um Krings’ Dissertation, verfertigt am Institut für Journalistik der Universität Dortmund. PD Dr. Lutz Hachmeister firmierte als Betreuer. In seinem Vorwort schreibt er kluge Worte, die unter anderem die operettenhaften Züge des nationalsozialistischen Politikbetriebs, zumal der ewigen Konkurrenz zwischen ‚Dr. Goebbels‘ und ‚Dr. Dietrich‘ hervorkehren. Sie könnten ebenso am Schluss der Lebensdarstellung Dietrichs stehen: „Am 31. März 1945 hatte es Goebbels dann endlich geschafft: Weil er dem ‚Führer‘ klar machen konnte, dass ‚Dr. Dietrich ein ausgesprochener Schwächling (ist), der der augenblicklichen Krise nicht gewachsen‘ sei, habe sich der darüber sehr zornige Hitler ‚stehenden Fußes‘ entschlossen, ‚Dr. Dietrich sofort von seinem Amt zu beurlauben‘, wie Goebbels seinem Tagebuch anvertraute.“ Und weiter: „Otto Dietrich wurde […] im Wilhelmstraßen-Prozess 1949 zu sieben Jahren Haft verurteilt. Davon saß er nur einige Monate in Landsberg ab, bevor er im August 1950 von US-Hochkommissar McCloy begnadigt wurde. Ein langes Leben war ihm nicht mehr beschieden, Dietrich starb im November 1952 in Düsseldorf, wo er noch eine gewisse Zeit für die ‚Deutsche Kraftverkehrsgesellschaft‘ als Werbefachmann gearbeitet hatte.“

Titelbild

Stefan Krings: Hitlers Pressechef. Otto Dietrich (1897-1952). Eine Biographie.
Wallstein Verlag, Göttingen 2010.
543 Seiten, 58,00 EUR.
ISBN-13: 9783835306332

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