Sexuelle Revolution statt Sex von der Stange

Myrthe Hilkens kritisiert „die Pornofizierung unserer Gesellschaft“

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Hält man ein Buch des Orlanda Verlags in der Hand, darf man getrost ein feministisches Werk erwarten. Eine Annahme, die bislang wohl noch nie enttäuscht worden sein dürfte. Jedenfalls wird sie durch Myrthe Hilkens’ von den Berliner Verlegerinnen jüngst herausgebrachten Band über „Die Pornofizierung unserer Gesellschaft“ bestätigt, den die Niederländerin unter dem auf ein 1994 vom Magazin „Mademoiselle“ geführtes Interview zurückgehenden Titel „McSex“ verfasst hat.

Ein gelindes Stirnrunzeln ruft allerdings der Umstand hervor, dass die langjährige Musikjornalistin zu Beginn des Buches von Rap und Hiphop schwärmt – Musikstile, die für ihren Frauen- und Homosexuellenhass ebenso bekannt wie berüchtigt sind. Für die Autorin „symbolisiert“ vor allem letzterer allerdings, „gegen den Strom zu denken, politischen Protest, Widerstand und eine Anti-Estabishment-Haltung“. Doch konnte auch ihr nicht entgehen, dass zumindest im Mainstream seit längerem Texte und Videoclips vorherrschen, „bei denen Rapper, Zuhälter oder Pimps die Chefs sind und Frauen, Huren oder Hoes vor allem als unterwürfige wesenlose Objekte dienen, deren höchstes Ziel es ist, den mit Gold behangenen Herren mit ihren sexy Körpern gefällig zu sein“.

Ein „äußerst konservative[s] Männer-/Frauenbild“ also, das von dem jungen Publikum der Musiksender MTV und Viva auch noch ohne weiteres angenommen wird. So sagten etwa die „jugendliche[n] Täter“ nach einer von ihnen begangenen Gruppenvergewaltigung aus, sie hätten sich durch MTV-Videos zu dem Verbrechen „inspiriert gefühlt“. Sollte Pornografie also doch die Theorie und Vergewaltigung die Praxis sein? Für einige wenige zumindest? Schuldig fühlten sich die jungen Männer der Autorin zufolge jedenfalls keineswegs, da sie nicht verstanden, „was verkehrt sein kann am abwechselnden Penetrieren eines minderjährigen Mädchens, das explizit zu verstehen gibt, dies nicht zu wollen, auch nicht im Tausch für eine Dieseljeans“.

In dem vorliegenden Buch klagt sich Hilkens nun an, selbst bis vor einigen Jahren zu jenen gehört zu haben, die dazu schwiegen, „dass sogenannte P.I.M.P.s wie Snoop Dogg und 50 Cent ein krankes und entstelltes Bild von Mann-Frau-Beziehungen und Sexualität im Allgemeinen vermitteln“.

Das von Cécile Speelman aus dem Niederländischen übersetzte und von Mithu M Sanyal, der Autorin des 2009 erschienen Buches „Vulva“, bevorwortete Buch arbeitet zwar mit zahlreichen Studien und Erhebungen, die ausführlich zitiert werden, doch ist es in einem meist angenehm zu lesenden lockeren Stil geschrieben. Dazwischen geschaltet sind immer wieder kleine Kapitel mit Selbstaussagen über Sexualerfahrungen und -empfinden, meist von Frauen sowohl der jüngeren wie auch der älteren Generationen. Das da nicht jedes Wort auf die Goldwaage gelegt werden kann, versteht sich und ist kaum zu monieren.

Anders verhält es sich hingegen mit den Unschärfen, zu denen die Autorin gelegentlich durch ihre flotte Schreibweise verführt wird. So ist es nicht Linda Lovelace, die „entdeckt, dass sie nicht auf die gängige Art und Weise zum Orgasmus kommt, weil sich ihre Klitoris anscheinend in ihrer Kehle befindet“, sondern die von ihr in „Deep Throat“ verkörperte Figur. Auch wird nicht immer ganz deutlich, ob Hilkens eine Meinung nur referiert, mit ihr übereinstimmt oder gerade ihre ureigene bekundet. Zudem unterlaufen ihr gelegentlich nicht ganz unbedenkliche Parallelisierungen etwa zwischen dem „christliche[n] Korsett“, das Frauen angelegt wurde, und dem „neuen Maßanzug für die Frau“, den feministische „Extremistinnen“ entworfen hätten und der ihnen verbiete, „mit Männern [zu] schlafen“ und „von Pornos scharf [zu] werden“.

Auch ist nicht gerade schön, dass sie die feministische Kritik an Pornografie in die irrationale Ecke verbannt. Die „Antipornofeministinnen“, unterstellt Hilkens, seien „von Angst getrieben“. Gerade so, als hätten sie keine Analyse der Pornografie zu bieten und keine rationalen Argumente gegen sie vorzubringen. Doch nicht nur die in den 1970er-Jahre aktiven KritikerInnen der Pornographie, sondern auch die „älteren Pornographieverteidiger“ werden von der Autorin attackiert. Letztere, da sie „häufig aus Unkenntnis heraus argumentieren“.

Zudem gibt sie sich in ihrer Selbstkritik auch nicht eben zimperlich und erklärt während ihrer Studienzeit ein „Female Chauvinist Pig“ gewesen zu sein. Das Wort geht auf den Titel eines Buches von Stine Jensen zurück, mit der Hilkens das Manifest „Sex muss wieder Haute Couture werden“ verfasst hat, das zumindest in den Niederlanden für einiges Aussehen sorgte. Die dritte im Bunde der Verfasserinnen ist Sunny Bergmann. Man kann das Manifest nun in dem vorliegenden Buch auch auf Deutsch nachlesen. Hilkens, Jensen und Bergmann erklären darin, die Frau, „die wir uns erträumen“, sei weder ein „humorloses Symbol neuer Prüderie“, noch „Hure oder Bitch“.

Doch noch einmal zurück zur Frage der Pornografie. Hilkens bekennt, dass es ihr „schier unmöglich“ sei, „eine glasklare Beschreibung softer und harter Pornografie zu geben. Oder Pornografie im Allgemeinen zu beschreiben“. Denn die Definition von Pornografie hänge mit „individuellem Geschmack und persönlichen Einstellungen“ zusammen. Damit scheint ihrem zentralen Begriff, dem der Pornofizierung, das Fundament zu fehlen. Doch dann ringt sie sich immerhin zu dem Statement durch, bei Pornografie und Pornofizierung gehe es ebenso wie bei der Prostitution „zum großen Teil um Macht“.

Dennoch bleibt Hilkens' Verständnis der Begriffe Pornografie und Pornografisierung eher vage. Sie legt es in Abgrenzung zum Begriff Sexualisierung dar, der das „Phänomen ‚Sex‘“ problematisiere. Sex aber sei „für sich genommen […] nicht verkehrt“, womit sie zweifellos Recht hat. Wogegen sie sich wendet, ist, dass eine „einst obskure und nun kommerzielle, lukrative Milliardenindustrie“ – gemeint ist die Porno-Industrie – „unser Alltagsleben beeinflusst“. Das ist allerdings keine Definition dessen, was Pornografie ist, sondern setzt das Wissen darum schon voraus. Zur Veranschaulichung nennt sie noch einige Beispiele der Pornografisierung: die „kahlgeschorene Vagina als Modetrend, den Stringtanga in Kindergrößen, Stangentanzkurse für Kinder oder Sexspielzeug in Drogerieregalen“. Kurz: Es gehe ihr um „Sex als Konsumartikel“.

Allerdings produziere „eine wachsende Zahl Regisseurinnen“ Filme, die sie „feministische Pornos“ nennen. „Um phobische Reaktionen abzumildern“, merkt die Autorin an, dass damit „Sexfilme“ gemeint seien, „die menschen- und frauenfreundlich sind, oder vielleicht auch sexfreundlich“. Sie böten zudem „Raum für körperliche Unvollkommenheit“, und „Gefühle wie Liebe, Unsicherheit oder Verlegenheit“ gingen in ihnen „Hand in Hand mit Geilheit und Lust“. Gelegentlich versuchten die Macherinnen sogar, „eine idealistischere Botschaft zu verbreiten.“ Nachdem, was sie zuvor über das Verhältnis von Pornografie und Macht sagte, dürfte sie diese Filme allerdings schwerlich als pornografisch gelten lassen. Doch sie spricht sogar von „frauenfreundlichen Websites“, die „Sex, Erotik und Pornografie“ böten, „ohne dass es an Respekt fehlt oder Stereotypen bedient werden“. Sie benutzt also ihre zentralen Begriffe alles andere als konsistent. Das ist nicht eben hilfreich.

Tatsächlich hängt die Frage, ob es feministische Pornos oder überhaupt Pornos gibt, die nicht sexistisch sind, davon ab, wie man den Begriff der Pornographie definiert. Und da gibt es die alte, immer noch belast- und brauchbare Definition, der zufolge das Wesen eines pornografischen Werkes darin besteht, die RezipientInnen mittels der sexuellen Erniedrigung eines (meist weiblichen) Menschen erotisieren zu wollen, wie dies, um ein Beispiel zu nennen, nur allzu oft in ganz gewöhnlichen Werbeanzeigen geschieht, die über die Erotisierung natürlich ein weiteres Ziel verfolgen, nämlich das angebotene Produkt an den Mann zu bringen. Folgt man dieser Definition, müssen Sexfilme zwar nicht per se pornografisch sein, doch ganz sicher gibt es dann keine feministischen Pornos. Zudem bedeutet diese Definition keineswegs, dass die Sexualisierung der Gesellschaft unkritisch hinzunehmen wäre. Beinhaltete diese doch oft genug die Degradierung (wiederum meinst weiblicher) Menschen zu bloßen Sexualobjekten.

Hilkens befasst sich jedoch nicht nur mit der gegenwärtigen Pornografisierung, sondern wirft auch einen Blick zurück in die mitteleuropäische Kulturgeschichte der Sexualität etwa seit Mitte des 20. Jahrhunderts. Dabei zeigt sich zwar, dass sich in den letzten 50 Jahren „die sexuelle Landschaft in Westeuropa völlig verändert“ hat, füher aber keineswegs ,alles besser’ war, wie sie anhand der Geschichte ihrer Oma verdeutlicht. Beides ist zwar wenig überraschend. Letzteres bekommt man aber nur selten so deutlich und rasant vor Augen geführt wie hier. Jedenfalls beklagt die Autorin in diesem Zusammenhang, dass die sexuelle Revolution „dem Kommerz überlassen“ worden und daher „unvollendet“ geblieben sei. Entsprechend fordert sie eine „neue sexuelle Revolution“.

Titelbild

Myrthe Hilkens: McSex. Die Pornofizierung unserer Gesellschaft.
Übersetzt von Cecile Speelman.
Orlanda Verlag, Berlin 2010.
208 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783936937725

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