Atempausen zwischen Flucht und Ankunft

Saids großartiger neuer Gedichtband „ruf zurück die vögel“

Von Joachim SengRSS-Newsfeed neuer Artikel von Joachim Seng

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dieses Buch ist ein Glücksfall. Zwischen zwei taubenblauen Buchdeckeln, auf gut hundert Seiten, findet der Leser Sprache statt Gerede, vielsagende Verse statt wortreiches Geschwätz. In der Welt der Blogger, der ,Copy-and-Paste-Literatur‘, freut man sich über Zeilen wie diese: „das gedicht / ein bedürfnis nach einem ort / stumme landschaft der zeit / ein nötiger zwischenraum / ohne abwort gottes“.

Der Dichter, der diese Zeilen verfasste, weiß, wovon er spricht. Die iranische Heimat verließ Said 1965 als 17jähriger. Er kam nach Deutschland, um zu studieren und dem Schah-Regime zu entfliehen, und er blieb bis heute im selbstgewählten Exil, weil auch unter der Chomeini-Diktatur im Iran kein Leben als ,freier‘ Schriftsteller möglich war. Heimisch wurde Said in Deutschland, dem Gastland, dessen Staatsbürger er seit 2004 ist. Doch zur Heimat wurde ihm vor allem die deutsche Sprache, die Fremdsprache, die ihn gastlich aufnahm, wie er einmal bekannte. Seit 1981 schreibt und publiziert Said auf Deutsch, Gedichte, Prosa, Essays und Theaterstücke, und lotet – auch in seinen neuen Gedichten – die Zwischenräume zwischen Mutter- und Fremdsprache aus. Said, ein „geborener Flüchtling“, dichtet und lebt in der fremden Sprache, nimmt die Spannungen zwischen den Wörtern bewusster wahr als viele Muttersprachler.

Nicht umsonst steht das „Wort“ im Zentrum des ersten Zyklus’, den Said „kleines inventar“ überschrieben hat; das Wort als „die verlängerung meiner hände“ und damit als Aufruf zum Handeln und zum Misstrauen. Denn der Dichter kennt den täglichen Missbrauch des Wortes, „dieser lausigen zufallshure“, wie es in einem Gedicht heißt, aus eigenen Erfahrungen, die er als Menschenrechtsbeauftragter des deutschen PEN, zuletzt als sein Präsident, sammeln konnte. So vereinen Saids Gedichte scheinbar Gegensätzliches. Sie sind engagiert und poetisch, leidenschaftlich und rational zugleich. Er betreibt keine Weltflucht, er vertraut auf die Macht der Poesie, auf das Wort, das den Täter „belauert“.

Die Möglichkeiten des Gedichts beurteilt er in seinem neuen Gedichtband, bei allem Realitätssinn, vorsichtig optimistisch: „ein wortleib / ausgeworfen / von einem anderen ufer / bewaffnet mit flitter / das gedicht ein köder / der mit der kälte flüstert / bis das licht stillsteht“. Das erinnert ein wenig an den Dichter Paul Celan, mit dem sich Said einig weiß im Glauben an die für die Gegenwart des Menschlichen zeugenden Majestät des Absurden, an das „Gegenwort“, das zugleich ein Akt der Freiheit ist.

Saids Gedichte kennen verschiedene Tonlagen. Jene des zweiten Zyklus’, die Verfolgten, Verzweifelten, Exilierten gewidmet sind, tragen den Ton der Trauer, teilweise der Resignation. Dem im Exil lebenden türkischen Sänger Fuat Saka widmet er die Verse, die dem Band den Titel geben: „ruf zurück die vögel / sie werden nicht mehr berichten / vom lehm und unseren gewesenen stunden / das meer ist eingepackt / und die sonne ausgezählt / beides kann man kaufen / hier / wo man alles kaufen kann / bis auf den staub unserer gassen“.

Aber Said, dessen als Pseudonym gewählter Name im Arabischen „der Glückliche“ heißt, wäre nicht Said, ließe er im letzten Zyklus seines Buches nicht wieder Hoffnung aufkeimen. Der Sprache sind die Gedichte gewidmet und der Liebe: „ich glaube an die überlieferung des todes durch die poesie / und an die zunge als die letzte instanz für liebende“. Das Gedicht wird hier zum Gedächtnisort und zum Liebeswort, aufgeschrieben in den Atempausen zwischen Flucht und Ankunft. Selten ist in jüngster Zeit die sanfte Macht der Poesie zärtlicher beschrieben worden als in der Schlussfrage des Gedichtbandes, die den Leser berührt, aber gestärkt zurücklässt:

wenn du aus deinem versteck herauskommst
um mich zu lieben
sind wir dann nicht bewaffnet gegen den tod
mit unseren küssen
und mit der zeit
die auf unseren händen ruht?

In einer Welt der Gewalt, des Geschäftes, des Geredes, welch ein Gegenwort, welch ein Gedicht.

Titelbild

SAID: Ruf zurück die Vögel. Neue Gedichte.
Verlag C.H.Beck, München 2010.
110 Seiten, 16,95 EUR.
ISBN-13: 9783406598425

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