Visionäre Kreuzfahrt

David Foster Wallaces „Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich“ wirft einen Blick auf die Absurditäten unserer Welt

Von Bettina LaudeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Bettina Laude

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Warum sollte man ein Buch lesen, das bereits vor 13 Jahren in den USA erschienen ist und vor acht Jahren in der deutschen Übersetzung? Weil der Autor David Foster Wallace heißt und sich 2008 umgebracht hat. Klingt makaber, wirft aber einen völlig neuen Blick auf sein Werk. Denn vor seinem Tod galt Wallace wahlweise als Geheimtipp, schräger Vogel der amerikanischen Literaturszene oder Seismograf der Gegenwart. Aber immer als grandioser Beobachter mit subversivem Witz. Heute, da die Journalisten der Feuilletons sein Leben, Leiden und Sterben beleuchtet haben, gilt er als visionär. „Unendlicher Spaß“, ein 1.500-Seiten-Wälzer, der zu Wallaces Lebzeiten als unlesbar galt, ist postum ins Deutsche übersetzt worden und schaffte es sogar auf die Bestseller-Listen. Doch wer David Foster Wallace und seinen Blick auf unsere absurde Welt noch einmal etwas kompakter erleben möchte, ist bei „Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich“ bestens aufgehoben.

Eigentlich sollte es nur eine Reportage werden. Ein amerikanisches Magazin hatte Wallace auf eine Kreuzfahrt durch die Karibik geschickt, um über diese Form des Reisens zu berichten. Vor allem amerikanische Rentner lieben die kurzen Karibik-Cruises. Siebenmal täglich Essen gehen, dazwischen Bingo und Bordgymnastik und wer ganz mutig ist, wagt sich auch mal allein auf einen Landgang. Für alle anderen stehen Reisebusse und Begleiter bereit. Tja, die Amerikaner, wird mancher jetzt denken und überlegen lächeln. Nichts da. Auch in Deutschland boomt die Kreuzfahrtindustrie. Jedes Jahr erreicht sie zweistellige Wachstumsraten. Die Reedereien geben ein Schiff nach dem anderen in Auftrag. Wusste Wallace das? Hat er es vielleicht geahnt? Fakt ist, dass er auf seiner Tour so viel Material fand, dass er beschloss, daraus ein Buch zu machen. Das Ergebnis ist ein Meisterstück der literarischen Reportage. Ein amüsanter Lesegenuss. Darin sezieren Blick und Sprache unsere täglichen Albernheiten so kristallklar, dass es schon fast wehtut. Doch was beinahe genauso schmerzt, ist die Erkenntnis, dass dieser weise, witzige Text, der so leicht wie ein Schönwetterwölkchen daherkommt, von jemandem verfasst wurde, der unter starken Depressionen litt. Und daran zugrunde ging.

Titelbild

David Foster Wallace: Schrecklich amüsant - aber in Zukunft ohne mich.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Marcus Ingendaay.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2004.
185 Seiten, 8,90 EUR.
ISBN-10: 3462033883
ISBN-13: 9783462033885

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