Die Wunder des Morgenlandes

Der Islamwissenschaftler Ralf Elger legt eine Neuübersetzung und -kommentierung von Ibn Battutas „Reisen durch Afrika und Asien“ vor

Von Behrang SamsamiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Behrang Samsami

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Ich befand mich einmal beim Sultan von Indien, als zwei der Jogis eintraten, deren Köpfe mit Tüchern verhüllt waren. […] Der Sultan erwies ihnen große Ehrerbietung und sprach:,Dies ist ein Fremder. Zeigt ihm etwas, das er noch nie gesehen hat.‘ Und er deutete dabei auf mich. Da sagten die beiden: ,Ja.‘ Einer von ihnen kauerte sich auf den Boden in Form eines Würfels und erhob sich dann in die Luft, bis er über unseren Köpfen schwebte. Ich war so verwundert und erschrocken, dass ich ohnmächtig zu Boden sank. Der Sultan befahl, mir von einer Medizin zu geben, die er bei sich hatte. Als ich zu Bewusstsein kam, mich aufsetzte, schwebte der ,Würfel‘ immer noch in der Luft. Dann nahm sein Gefährte eine Sandale von jemandem, der mit ihm gekommen war, und schlug damit auf den Boden, als sei er zornig. Da stieg die Sandale empor, bis sie dem Kauernden gegenüber in der Luft verharrte. Dann schlug die Sandale diesem auf den Nacken, worauf er langsam bis zu seinem ursprünglichen Platz heruntersank. Der Sultan erklärte mir, dass der Kauernde in der Luft ein Schüler des Mannes mit der Sandale sei. ,Wenn ich keine Angst um deinen Verstand hätte, würde ich ihnen befehlen, dir noch etwas Besseres zu zeigen.‘ Mich befiel wegen dieses Vorfalls ein Herzklopfen, so dass der Sultan mir eine Arznei zu geben befahl, nach deren Einnahme die Krankheit vorüberging.“

Die Geschichte mit den schwebenden Jogis ist eine von zahlreichen Anekdoten, die dem aus dem marokkanischen Tanger stammenden Ibn Battuta zugeschrieben werden. Dieser, der auch der „Marco Polo des Orients“ genannt wird, ist Verfasser eines Mitte des 14. Jahrhunderts entstandenen, berühmten Berichts, in dem er seine Leser von seinen Reisen durch die damals bekannte Welt mit Ausnahme Europas, von seinen Abenteuern und Begegnungen mit berühmten Persönlichkeiten seiner Zeit, von Wundern und anderen denkwürdigen Erlebnissen unterrichtet. Allerdings ist ebenso wie im Falle seines venezianischen Zeitgenossen Marco Polo (1254-1327) nach wie vor unklar, ob der muslimische Gelehrte seine als Pilgerfahrt nach Mekka begonnene Reise tatsächlich auch bis Indien und China ausgedehnt hat. Möglicherweise handelt es sich – wie auch bei Polos „Il Milione“ (um 1300) und dem um 1360 entstandenen Reisebuch des Ritters John Mandeville in Betracht gezogen wird – um einen fiktiven Text, um das Zusammenspiel der Lektüre fremder Schriften und der eigenen bunten Phantasie. Nun widmet sich der Frage nach der Entstehung und Überlieferung, der Authentizität und Rezeption von Battutas Text der Islamwissenschaftler und Arabist Ralf Elger in einer Neuausgabe der „Reisen durch Afrika und Asien“. Er hat den arabischsprachigen Reisebericht neu übersetzt, ausführlich erläutert und mit einem umfangreichen Nachwort versehen.

In seinem Vorwort geht der Herausgeber auf die Genese und Autorschaft des Reisebuchs ein. So ist Ibn Battuta nach eigenen Angaben 1325 aufgebrochen und 1353 wieder in seine Heimat zurückgekehrt. Zwei Jahre später ist der Text im Auftrag des marokkanischen Sultans Abu Inan (gestorben 1358) nach den mündlichen Reiseerzählungen Ibn Battutas von Abu Abd Allah Muhammad ibn Dschuzayy niedergeschrieben worden. Danach verliert sich Battutas Spur. Verschiedene Quellen geben 1368 und 1377 als sein Todesjahr an. Die Textgrundlage der vorliegenden Neuausgabe ist indes ein anderes, dreihundert Jahre später entstandenes Manuskript. Es handelt sich um eine Zusammenfassung, die der aus dem syrischen Aleppo stammende Gelehrte Muhammad ibn Fath Allah al-Bailuni (gest. 1674) von Battutas Bericht angefertigt hat. Elger begründet ihre Verwendung damit, dass die Bailuni-Fassung eine „wohlabgewogene Auswahl“ daraus böte, zudem eine, „welche nicht von einem heutigen Übersetzer stammt, sondern eine, die ihrerseits ein vollständiges ,Original‘ darstellt“. Schließlich mache, das betont der Herausgeber, die neue vollständige Übersetzung von Bailuni „erstmals einen repräsentativen deutschen Auszug aus Ibn Battutas Text zugänglich“. So würden nicht mehr nur einige Teile, sondern die gesamte Reise des maghrebinischen Gelehrten abgedeckt werden.

Zweiundzwanzig Jahre alt ist Ibn Battuta nach eigenen Angaben, als er sich auf eine Pilgerfahrt gen Mekka aufmacht. Doch gilt der später niedergeschriebene Bericht nicht nur den Heiligen Stätten des Islam, die er auf seiner Reise in den Süden der arabischen Halbinsel aufsucht. Die Ausdehnung der Reise in andere Teile der Welt, wo auch Muslime leben, geht zurück auf Weissagungen zweier frommer Scheiche, die er in Alexandria und in Munyat ibn Murschid trifft und die seiner Reise einen höheren Sinn zusprechen. Die erste Prophezeiung kündet Ibn Battuta an, dass er drei heilige Männer in Sind, Indien und China treffen werde. Die zweite entspringt einem Traum von ihm. Darin bringt ihn ein Vogel in weit entfernte Länder. Der zweite Scheich deutet den Traum als Ankündigung der folgenden Reisen und spricht von einem Mann, der Ibn Battuta in Indien aus einer Gefahr retten werde, wodurch ihm signalisiert wird, dass er unter dem Schutz einer höheren Macht stehe.

Wenn Ralf Elger von einer „frommen Struktur“ des Textes spricht, so ist ihm in der Hinsicht zuzustimmen, dass der Besuch des Reisenden bei bedeutenden Gelehrten, Derwischen und Mystikern seiner Zeit eine zentrale Rolle im Bericht von Ibn Battuta spielt. Dieser befragt die von ihm verehrten Männer, eignet sich neues Wissen an, lässt sich belehren und Tipps geben. Genauso macht er aber auch weltlichen Herrschern in den von ihm besuchten Ländern seine Aufwartung. Er wird oft als islamischer Richter für eine Gemeinde angestellt, von den Machthabern als Sekretär da behalten oder als einer ihrer Diplomaten beziehungsweise Botschafter zu Verhandlungen in Nachbarreiche geschickt. Er bekommt Häuser und Geldgeschenke und ehelicht einheimische Frauen, mit denen er auch Kinder zeugt. Doch so leicht, wie er diese weltlichen Dinge erhält, so schnell verliert er sie auch wieder – und zwar infolge von Unwettern, Seestürmen und dem Kentern der mit seinen Reichtümern beladenen Schiffe, aber auch infolge von Überfällen und seiner Gefangennahme durch nichtmuslimische Räuber. So gesehen, mahnt der Text die Leser, dem Materiellen keinen allzu großen Wert beizumessen beziehungsweise den Wechsel von Glück und Unglück als eine Prüfung anzunehmen, die einem jedem immer wieder gestellt werden könne.

Die Besuche bei geistlichen Persönlichkeiten und weltlichen Herrschern wechseln ab mit Informationen über die fremden Länder. Ibn Battuta beschreibt mal mehr mal weniger ausführlich ihre Völker und Religionsgemeinschaften, die dortige Vegetation und das Klima, die Art des Anbaus und Handels, die Größe und Einwohnerschaft der Städte. Genaue Angaben macht er auch über seine Routen, die Transportmittel, die er nutzt, und die Zollabgaben, die zu entrichten sind. Wie Marco Polo berichtet auch Battuta von dem Papiergeld der Chinesen und davon, dass die dortigen Wirte Listen über ihre Gäste führen. Passagen mit religiöser Erbauung werden so ergänzt mit Nachrichten über die politischen und sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Verhältnisse in Vorder-, Zentral- und Ostasien, im Persischen Golf und Indischen Ozean, im Golf von Bengalen und dem Chinesischen Meer. Schließlich werden ab und an auch Wundergeschichten und ungewöhnliche Ereignisse in den Bericht eingeflochten, die seine Struktur auflockern und zugleich die „exotischen“ Bedürfnisse der heimatlichen Leser respektive Zuhörer befriedigen. So ist der Charakter von Ibn Battutas Text überaus mehrschichtig und multifunktional angelegt. Er soll den Rezipienten in seinem Glauben stärken, ihn mit neuem Wissen aus verschiedenen Bereichen beliefern, ihn zugleich aber auch unterhalten.

Indes äußert der Herausgeber in seinem Nachwort Skepsis darüber, ob Ibn Battuta die von ihm so vollständig beschriebene Welt wirklich auch selbst kennengelernt habe: „So scheint es doch ungewöhnlich, dass ein einzelner Reisender, und sei er noch so lange unterwegs, tatsächlich alle großen Herrscher seiner Zeit traf, dass er zu allen bedeutenden Flüssen gelangte und so ziemlich alle Regionen der islamischen Welt bereiste. Ibn Battuta richtet es so ein, dass er alle vier sunnitischen Rechtsschulen irgendwann einmal erwähnen kann. Auch die wichtigsten Sufiorden kommen bei ihm vor und dazu eine breite Auswahl Mirabilia wie Gog und Magog und der Vogel Ruchch, die in den Kosmologien der Zeit zum standardmäßigen Inventar gehören.“

Im Anschluss hieran führt Elger die schriftlichen Quellen auf, die das „Autorenteam“ Ibn Battuta und Ibn Dschuzayy sehr wahrscheinlich für seinen Text verwendet hat. Als formales Vorbild wie auch als Quelle für Zitate und Plagiate wichtig für beide, so der Herausgeber, ist neben dem Pilger-Reisebericht von Abu l-Husain Muhammad ibn Ahmad ibn Dschubair (1145-1217) der von Muhammad al-Abdari und vermutlich auch die große Anthologie „Masalik al-absar fi mamalik al-amsar“ von Shihab a-Din Ahmad al-Umari (1301-1349/84). Elger stellt Vergleiche zwischen diesen Werken an und stützt sich bei seiner These auch auf ältere Untersuchungen beispielsweise von John Nicholas Mattock, der im Falle von Battuta ebenfalls von Anleihen bei früher entstandenen Quellen spricht. Letztlich bleiben viele dieser Behauptungen aufgrund fehlender Beweise in der Forschung genauso Spekulation wie die Frage des Herausgebers, ob es nicht eventuell möglich sei, dass der aus dem Maghreb stammende Gelehrte in seiner China-Beschreibung seinen venezianischen Kollegen Marco Polo kopiert habe. Elger betont in diesem Zusammenhang neben den „vielen inhaltlichen Parallelen“ auch die „doppelte Autorschaft der beiden Berichte“.

Wenn es auch für die letzte Annahme keine schriftlichen Zeugnisse gibt, so kann dem Islamwissenschaftler in dem Punkt zugestimmt werden, dass in beiden Kulturkreisen die gleichen Themen Anklang gefunden haben: „Man mag von einer mittelalterlichen Globalisierung sprechen, in der ein gemeinsamer Schatz an Wissen über die Welt, an Erfahrungen aus fremden Ländern existierte. Und Muslime und Christen mochten die gleichen Abenteuergeschichten. Im globalisierten Mittelalter existierte anscheinend ein Milieu von Literaten mit gleichen Interessen und Ausdrucksformen, das über die Kulturgrenzen hinwegreichte. Ob sich seine Vertreter kannten, kann man nur vermuten; die Möglichkeit dazu hatten sie jedenfalls. Sie bereisten dieselben Routen, teilweise auf denselben Schiffen. Irgendwann müssen sie sich getroffen, vielleicht auch ihre Berichte voneinander abgeschrieben haben.“

Titelbild

Ibn Battuta: Die Wunder des Morgenlandes. Reisen durch Afrika und Asien.
Nach der arabischen Ausgabe von Muhammad al-Bailuni ins Deutsche übertragen, kommentiert und mit einem Nachwort versehen von Ralf Elger.
Verlag C.H.Beck, München 2010.
256 Seiten, 24,95 EUR.
ISBN-13: 9783406600685

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