Zuchtmeister der Genauigkeit

Zur Briefausgabe von Adolph Menzel

Von Klaus-Peter MöllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus-Peter Möller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Am 25. November 2009 konnten Herausgeber, Mitarbeiter und Verlag ihre nach langjährigem Ringen endlich zum Abschluss gebrachte Ausgabe der Briefe von Adolph von Menzel präsentieren. Sie erschien im Deutschen Kunstverlag als Band 6 der „Quellen zur deutschen Kunstgeschichte vom Klassizismus bis zur Gegenwart“, in einer Reihe mit dem Briefwechsel von Ernst Rietschel und Carl Schiller, Anselm Feuerbachs „Vermächtnis“, den Jugenderinnerungen von Anton von Werner, der Autobiografie von Wilhelm von Bode sowie einem Band über Ludwig Justi, kurz im Herzen der jüngeren deutschen Kunstgeschichte.

Der Deutsche Verein für Kunstwissenschaft verantwortet diese Reihe; er hätte für die Edition der Briefe Menzels keine besseren Herausgeber finden können. Claude Keisch und Marie-Ursula Riemann-Reyher sind durch ihre berufliche und wissenschaftliche Tätigkeit als Kenner dieses Künstlers ausgewiesen, sie haben große Ausstellungen organisiert und mit Aufsätzen und Publikationen über Menzel, sein Leben und sein Werk wesentliche Beiträge zur Erforschung der Kunst im 19. Jahrhundert geleistet. Nun also haben sie mit der Ausgabe der Briefe Menzels noch einmal einen zentrales Projekt der Kunstwissenschaft realisiert.

Band 6 der Quellen-Reihe besteht aus vier gewichtigen Bänden, in denen die Herausgeber 2.200 Briefe von und an Menzel zu sammen getragen haben, soweit sie sich in Bibliotheken, Archiven und Sammlungen finden ließen. Darüber hinaus wurden aber auch sämtliche Briefe verzeichnet, die nicht überliefert oder verschollen sind und nur durch Hinweise in verschiedenen Quellen erschlossen werden konnten. Die Ausgabe ist somit Briefverzeichnis, Bestandsnachweis und Edition in einem. Auch die Antwortbriefe von Menzels Korrespondenzpartnern wurden berücksichtigt. Sie wurden meist zusammenfassend oder in Auszügen wiedergegeben. Erschlossen ist das Material durch sinnvoll eingerichtete Register und Verzeichnisse. Die einleitenden Bemerkungen und das Curriculum Vitae erleichtern auch Benutzern, die nicht vom Fach sind, den Zugang. Die Bände sind ansprechend gestaltet und, wenn man einmal davon absieht, dass sie auf den Buchrücken deutlicher hätten unterschieden werden können, leicht zu handhaben.

Wer diese Edition rezensiert, kommt nicht um Superlative herum. Sie ist ein Meilenstein für die Kunstgeschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts, mit weit reichenden Folgen und Anregungen auch für Forschungen über die Zeitgenossen, nicht zuletzt über Theodor Fontane und den Freundes-Kreis um das Rhytli sowie deren literarische und künstlerische Bestrebungen und Projekte, den Verein Berliner Künstler, das gesellschaftliche Leben – fokussiert natürlich stark auf Berlin als eines der bedeutenden Zentren von Kunst und Literatur jener Zeit. Der wissenschaftliche Wert der neuen Edition steht außer Zweifel – bei einer Figur wie Menzel, einem „Jahrhundertkünstler“, wie Claude Keisch schrieb, einer Zentralgestalt der deutschen Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts.

Es mag von editionswissenschaftlichem Standpunkt eine Reihe schwerwiegender methodischer Einwendungen geben, die Textkonstitution betreffend, die Kennzeichnung des unterschiedlichen Autorisierungsgrades der überlieferten Texte oder Textfragmente, die Behandlung der Gegenbriefe, die Darbietung der überlieferten Wort-Bild-Kompositionen. Mir scheint das pragmatische Verfahren ein Vorzug dieser Ausgabe zu sein, die Konzentration auf das Sinnvolle und Machbare. Die Probleme, vor die sich die Herausgeber gestellt sahen, waren beträchtlich. Allein das Quellenmaterial, das für dieses editorische Großprojekt gesichtet werden musste, ist kaum zu bewältigen. Die Briefe Menzels wurden in etwa 90 Bibliotheken weltweit nachgewiesen, nicht wenige davon in privaten Sammlungen. Darüber hinaus wurden Auktionskataloge, Editionen, Archivbestände, Verlustlisten, Sammlungs-Beschreibungen ausgewertet.

Wie schwierig die Dechiffrierung der Handschrift Menzels ist, zeigt sich bereits daran, dass eine der Postkarten Menzels aus dem Bestand des Theodor-Fontane-Archivs bereits zweimal fehlerhaft ediert worden war, wobei weder die eine noch die andere Edition eine sinnvolle Lesart ergab. Nun kann man in der Brief-Ausgabe erstmals die richtige Transkription lesen: „Rh: fällt heut aus. Ueber 8 Tage kocht A. M.“ (Nr. 1282) Die Karte datiert vom 12. Februar 1886. „Rh“ ist Abkürzung für das Rhytli, dem Menzel über viele Jahre angehörte, und die Formulierung „über 8 Tage kocht A. M.“ bedeutet, dass Menzel selbst Gastgeber („Hospes“) für die nächstfolgende Sitzung sein würde, dann auch für den Kaffee zu sorgen hatte. Kürzer geht es nicht. Ohne die erläuternden Texte der Herausgeber, die wohltuend präzise formuliert und angeordnet sind, blieben diese knappen Botschaften in vielen Fällen zusammenhanglos und unverständlich.

Schon beim ersten Blättern in der neuen Ausgabe der Briefe fällt auf, wie reich die vier Bände mit Abbildungen ausgestattet sind. Jeder Band zeigt auf dem vorderen Deckel eines der Selbstporträts Menzels. Die Vorsatzblätter bieten Faksimiles der Handschrift des Künstlers. Die Textbände sind übersät mit Reproduktionen der charakteristischen originellen Kompositionen von Bild und Text. Der Registerband präsentiert in einem umfangreichen Abbildungsteil eine große Zahl von Bilddokumenten, die für das Verständnis unverzichtbar sind, leider alle nur in schwarz-weiß. Trotzdem, wie dürftig erscheint das Mittel des Beschreibens, wenn man sehen kann! Durch seinen eigenwilligen Lapidarstil und den sperrigen Schriftduktus charakterisiert sich die Künstlerpersönlichkeit Menzels auf sinnfällige Weise selbst. Es überrascht daher nicht, dass in den Rezensionen zu dieser Ausgabe über Genuss und Staunen bei der Lektüre zu lesen war, über das „ungeheure Blätter-Vergnügen“. Über die Schwierigkeiten, die Gattungen Zeichnung und Brief von einander abzugrenzen, referiert Claude Keisch in seinem editorischen Bericht. Am Ende wird man bei der Edition von Künstlerbriefen kaum ohne eine umfassende oder sogar vollständige Reproduktion der Original-Handschriften auskommen, denn das Verhältnis der Schrift zum Raum und zu grafischen Elementen des Schreibmaterials oder des Briefes selbst ist, wie man den ausgewählten Beispielen entnehmen kann, auf eine viel stärkere Weise sinntragend als bei Briefen, die sich auf das Medium der Sprache beschränken.

Wie fruchtbar die Ausgabe der Briefe Menzels für die Erforschung der Korrespondenzpartner des Künstlers ist, soll hier nur an wenigen Beispielen gezeigt werden. Durch seinen Beitrag, den er 1852 zu dem Album Theodor Fontanes beisteuerte (Brief Nr. 292), erwies sich Menzel als Zuchtmeister der Genauigkeit. Dass Fontane so ein Album besaß, ist auch aus anderen Quellen zu entnehmen, leider ist über den Verbleib nichts bekannt. Für die Menzel-Gedächtnisausstellung 1905 stellten die Erben Fontanes zwei Albumblätter leihweise zur Verfügung, von denen sich eines heute im Busch-Reisinger-Museum der Harvard University Cambridge (Massachussets) befindet. Es handelt sich um ein Aquarell, auf dem Johann Gottfried Schadows Standbild Leopolds von Dessau wiedergegeben ist, dessen Sockel ein zudringlicher Besucher erklettert hat, um ein Detail aus Fontanes Gedicht „Der alte Dessauer“ zu überprüfen, in dem es heißt:

Ich will ein Lied euch singen!
Mein Held ist eigner Art:
Ein Zopf vor allen Dingen,
Dreimaster, Knebelbart
Blitzblank der Rock vom Bürsten
Und jeder Knopf wie Gold, –
Ihr merkt, es gilt dem Fürsten,
Dem alten Leopold.

Am unteren Rande seiner Zeichnung notierte Menzel folgenden kurzen Dialog:

Interessent: Sie! Drehen Sie Sich doch mal um! der Monsieur Lafontaine da sagt: der Knebelbart hänge Ihnen bis – – Ach, Sie haben gar Keinen?!

Statue: Nie Keinen. – Scher Er sich. –

Detailgenauigkeit – in der Frage war Menzel Fontane überlegen. Den Spott über den Fehler wird der Dichter sicher gelassen genommen haben. In seinem wenig später geschriebenen Beitrag für die biografische Sammlung „Männer der Zeit“ hob er gerade diese Eigenschaft des grafischen Werks Menzels hervor, ja er erklärte es in Fragen der friederizianischen Zeit zu einem „unersetzlichen Ratgeber“, einem „malerischen Gesetzbuch“.

Das zweite Blatt, das in der Anmerkung zu diesem Brief erwähnte Aquarell „Wirtshaus zur Douglashöhle“, ist womöglich irrtümlich Menzel zugeschrieben. Nirgends im Nachlass Fontanes fand sich bisher eine Spur zu dieser Grafik. In dem 1920 publizierten Sammelband „Theodor Fontanes engere Welt“, in dem Mario Krammer ausgewählte Text- und Bilddokumente aus dem damals noch weitgehend vollständigen Nachlass Fontanes publizierte, ist aber ein Aquarell „Wirthschaft zur Douglashöhle“ abgebildet, das August von Heyden zugeschrieben ist. Auch die Signatur deutet darauf hin, daß dieses Blatt von Heyden stammt.

Am 8. Januar 1899 wendete sich Gustav Dahms mit der Bitte an Menzel, die Reproduktion der Zeichnung zu Fontanes 70. Geburtstag zu genehmigen. Der Brief ist nur regestenförmig in der Ausgabe wiedergegeben: „Die Veröffentlichung durch ‚Herrn Bong‘ sei ‚seinerzeit‘ gescheitert, weil die Witwe des Dichters 250 Mark gefordert habe. Dahms sei jedoch bereit, ihr diesen Beitrag zu zahlen.“ Menzel notierte am Rand dieses Briefes, der in Marbach aufbewahrt wird: „Gern einverstanden. Nur bitte um etwa 6 gute Abzüge. A. Menzel. 9 Jan: /99“. Tatsächlich erschien das bekannte Blatt mit dem fortsegelnden Klapperstorch und der dem Säugling einen Kuss zuhauchenden Muse in der Zeitschrift „Die Woche“ Jg. 1, Nr. 1, 18. März 1899, S. 21 in einem von Dahms verfassten Beitrag mit dem Titel „Aus dem Nachlass eines deutschen Dichters“.

Titelbild

Adolph Menzel: Briefe.
Herausgegeben von Claude Keisch und Marie-Ursula Riemann-Reyher.
Deutscher Kunstverlag, Berlin 2010.
1784 Seiten, 148,00 EUR.
ISBN-13: 9783422067400

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