Opernkitsch

„Der Bajazzo“: Regula Venskes Versuch eines heiteren Krimis

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Jaja, so sind sie, die (Opern-)Kerle, ewige Hallodries, lassen keinen Rock aus, den sie fassen können, sind arrogant und verletzend ohne Ende, dabei aber mit einer betörenden Stimme gesegnet, die Teile der Damen- und Herrenwelt dahinsinken lässt. Das führt zum einen dazu, dass diejenigen Autorinnen und Autoren, die sich solche Helden gewählt haben, über die Ungerechtigkeit sinnieren, die einen charakterlosen Kerl mit einer solchen Gottesgabe gesegnet hat. Zum anderen sind diese Götterknaben die prädestinierten Opfer von Krimis, die in der Opernwelt spielen.

Das führt naheliegend zu zahlreichen Verdächtigen: die Ehefrau, die ehemalige oder derzeitige Geliebte, ein Nebenbuhler, ein Agent, der ums Geld geprellt wurde, ein Opernfan, der seinem Idol nahe sein will und den Operntod realistisch nachahmt – das alles in Varianten und verschiedenen, austauschbaren Besetzungen macht den Opernkrimi aus, Hauptsache prominentes Opfer.

Und so ist es auch in diesem von Regula Venske erfundenen Fall, der mit der Leiche anfängt, die ein wenig vor sich hinsinniert. Natürlich nur im übertragenen Sinn. Denn sie ruht schon eine Weile in ihrem Lieblingskostüm, dem Bajazzo, und ist mittlerweile völlig verdörrt, weil sie hinter der Heizungsanlage in einem Schloss verborgen liegt, in einer Ecke, in die über vierzig Jahre niemand kommt.

Deshalb wird die Leiche nach dieser langen Zeit gleich von mehreren Akteuren gefunden: Ein junger Palästinenser, der angeblich vor einer Zwangsheirat fliehen muss und sich in der Mehrgenerationen-WG einfindet, die die Mutter einer Freundin mit betreibt. Dass er die Leiche findet, weil er sich im Keller des Hauses, in den er sich unentdeckt eingeschlichen hat, erleichtern muss, gehört freilich in die Slapstickabteilung dieses Buches.

Neben dem jungen Mann versuchen noch eine Krimischriftstellerin mittleren Alters, der um sie werbende Arzt, eine Neunzigjährige, die schon seit Jahrzehnten im Haus wohnt und das Opfer kannte, sowie ein paar Jugendliche ihr Glück an dem verschrumpelten Opernhelden.

Die einen wollen dann auch gern aufklären, wer den Mann umgebracht hat – denn dass er umgebracht wurde, ist offensichtlich. Die anderen wollen ihn am liebsten gleich loswerden und verbuddeln ihn auch, so schnell sie können. Das alles ließe sich noch ganz gut an, allerdings werden die Recherchebemühungen wieder mit einigem Ernst betrieben – der allerdings gleichfalls wieder in den Slapstick abdriftet, gewollt oder nicht. So finden sich alle Rechercheure samt Schwester des Opfersohnes irgendwann mal in den verschiedenen Zimmern der Wohnung des zeitweise Hauptverdächtigen (ehemaliger Lateinlehrer) eingesperrt, woraus sie schließlich erst jene Dame befreit, die weiß, wie sich damals alles zugetragen hat.

Das ist vielleicht witzig gemeint, aber nicht gelungen, zumal dicht neben der Slapstickabteilung bei Regula Venske die Sozialkitschkiste zu stehen scheint, aus der sie sich fleißig bedient. Die verschiedenen Originale der Hausgemeinschaft, die sich streiten wie die Kesselflicker und sich dann wieder vertragen, die ihre Abneigungen pflegen, aber ohne die anderen nicht sein können, fügen sich zu einem Gesamtbild á la „Tisch unter Pflaumenbäumen“, an die doch bitte alle kommen mögen. Das ist hübsch, aber eben Kitsch.

Auch die Klischees bleiben da nicht aus, von den Ehe- und eheähnlichen Zwisten bis hin zu den Wendungen, die die routinierte Schreiberin verraten, aber auch ihre ausbaufähige Originalität. Da wird aus Betten gesprungen des Morgens, da hat’s wache, lebendige Augen und ausdrucksstarke Gesichter – und, um das Buch zu zitieren, es ist immer an der Zeit, über sprachliche Spitzfindigkeiten nachzudenken. Zumindest wäre es dann möglicherweise nicht zu den dräuenden Inneren Monologen gekommen, diesmal nicht des Täters, sondern derjenigen, die weiß, wie sich alles zugetragen hat.

Aber auch an dieser Figur lässt sich mäkeln: Eine der wichtigsten Regeln des Krimis verpflichtet die Schreiber darauf, ihre Täter aus dem Kreis der vorgestellten Figuren zu nehmen und nicht aus dem Abseits herbeizuzaubern (vulgo Deus ex machina). Das aber geschieht hier, trotz der vielen Texteinschübe aus dem Jenseits des Handlungsraums, mit denen man anfangs nicht wirklich etwas anfangen kann (zumeist dem Täter vorbehalten, finden sich in solchen Textteilen gern Motivation und Hintergrund).

Das mag konzeptionell begründet sein – denn kein Verbrecher lässt sich dazu zwingen, in einem Roman schon einmal vorgekommen zu ein, bevor er/sie entlarvt wird. Es ließe sich also so etwas wie Kontingenz als Modernemetapher vermuten? Ein etwas großes Kaliber für den kleinen Roman. Stattdessen scheint es, als ob Venske einen amüsanten Krimi habe schreiben wollen, kurzweilig und witzig. Das jedoch ist ihr nicht gelungen.

Titelbild

Regula Venske: Der Bajazzo. Kriminalroman.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2009.
272 Seiten, 7,95 EUR.
ISBN-13: 9783518461174

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