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John Farrow lässt im pharmazeutischen Gewerbe ermitteln

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Wettbewerb in der pharmazeutischen Industrie ist enorm. Medikamente und Therapien sind gerade bei den modernen Pandemien begehrt und wer den Durchbruch, etwa in der Aidstherapie schafft, scheffelt damit Milliarden. Kein Wunder also, wenn sich die pharmazeutische Industrie zu semikriminellen Methoden hinreißen lässt, was dann irgendwann zu Mord und Totschlag führen muss.

Das oder wenigstens etwas Ähnliches ist die Prämisse von John Farrows neuem Roman „Treibeis“. Und wie jede Prämisse (etwa was die Mordquote im Immobiliengewerbe angeht), ist sie vor allem dazu da, das Verbrechen, um das es immerhin im Krimi geht, plausibel zu machen.

Dass es sich dabei eben auch um eine veritable, aber nicht notwendig realistische auf die der Welt handelt, ist dabei offensichtlich. Immerhin hat die Prominenz solcher Gewerbe nicht dazu geführt, dass Immobilienmakler keine Kunden mehr hätten oder dass Leute keine Medikamente mehr nehmen (böse Menschen machen keine moralisch guten Geschäfte).

Aber das muss einen Krimischreiber nicht stören. Auch und gerade er darf sich die Welt so drehen, dass sie ihm einen guten Plot abgibt. Lassen wir ihm das.

Der berühmte Detective Émile Cinq-Mars – wir befinden uns in Kanda – wird zu einem zugefrorenen See bestellt und muss dort erleben, wie eine Frau in ihrer Angelhütte, die anscheinend unter dortigen klimatischen Verhältnissen einigermaßen sicher auf Seen platziert werden kann, eine Leiche findet, die im Angelloch der Hütte versenkt worden ist. Der Mann ist erschossen worden. Da das Loch aber zu klein ist, um ihn dort versenkt zu haben, liegt es nahe, dass der Tatort anderswo ist.

Dieser Mordfall steht – mindestens durch die Exposition des Krimis nahegelegt – in einem engen Zusammenhang mit einer Serie von Todesfällen in New York. Dort sind mehr als vierzig Aidskranke an Medikamenten gestorben, die ihnen von zwei geheimnisvollen Kanadierinnen verabreicht worden sind, die wiederum – wie die Leser des Krimis wissen – von einer pharmazeutischen Firma losgeschickt worden sind.

Was wenigstens eine der beiden Frauen nicht ahnte, ist, dass die Medikamente den Aidskranken nicht helfen, sondern eine spezifische körperliche Reaktion auslösen sollten, die fast zwangsläufig zum Tod der Probanden führt. Mit den Ergebnissen der Blutanalysen sollen bahnbrechende Fortschritte in der Aidsforschung erreicht werden. Die Opfer sind aus der Sicht der Betreiber gerechtfertigt, weil dadurch endlich ein Heilmittel in Reichweite kommt – und weil enorme Gewinne winken, die dann in die richtigen Hände kommen.

Als weitere Spieler treten im Plot neben dem Ermittler und den Akteuren des kanadischen Pharmakonzerns militante Indianer auf, die die Grenze zu den USA kontrollieren, und kriminelle Motorradgangs, die im Pharmakonzern das Ruder übernehmen, weil sie das Ganze finanzieren.

Viel hilft also viel, und so kommt eine verwickelte Handlung in Gang, in der so mancher Akteur hinter anderen Akteuren her ist, und in deren Verlauf sich die anfangs so überlegten Pharmamanager zu angstgetriebenen und gehetzten Menschen entwickeln. Dass unter solchen Bedingungen kein wirklich perfektes Verbrechen mehr möglich ist, kann man sich denken.

Deshalb braucht der berühmte Ermittler auch nur lange genug im Trüben zu fischen und im Dunklen zu stochern, bis ihm die Lösung in den Schoß fällt und die Täter entlarvt werden.

Seine Genialität lässt sich am Ende auch genau darauf reduzieren: Auf seine Hartnäckigkeit und seine Unnachgiebigkeit, bei der sich nur die Frage stellt, ob er das überleben wird. Denn wer den Gangs, den Indianern und der Pharmaindustrie so auf die Pelle rückt, der muss mit Konsequenzen rechnen. Was dann am Ende auch zu Problemen im Privatleben der Ermittler führt. Ehefrauen arrangieren sich oder drohen ihren Männern damit, sie zu verlassen. Und der Held trinkt Whiskey mit einem Priester – damit er sich mal so richtig aussprechen kann. Naja.

Lässt man die Zutaten dieses Krimis Revue passieren, dann wird erkennbar, dass Farrow von vielem zu viel in sein Gebräu mischt. Das mag ihm die Seiten füllen. Das mag Handlung vortäuschen. Aber im Wesentlichen ist Farrows Krimi eigentlich nur voll, um nicht zu sagen zu voll.

Auch ist er für ein gelungenes Exemplar der Gattung zu kompliziert angelegt. Und am Ende in seinen Motivationen zu banal. Die Geschichte jagt eins ums andere Mal um Ecken – böswillig formuliert –, um das Ganze nicht ganz so dünn erscheinen zu lassen.

Und schließlich ist das wahre Böse, das nicht bei den Indianern oder bei den Gangs beheimatet ist, vor allem wegen seiner schlechten, in diesem Fall pubertären Erfahrungen (brutaler Vater, natürlich) so wie es ist. Aus dem Bösem entsteht doch immer das Böse, weshalb Obacht angesagt ist, liebe Eltern. Bitte aufpassen, also, sonst ziehn Sie den nächsten Serienkiller heran oder gar durchgeknallte Pharmamanagerinnen.

Titelbild

John Farrow: Treibeis. Thriller.
Übersetzt aus dem Englischen von Friederike Levin.
Droemersche Verlagsanstalt, München 2010.
566 Seiten, 8,95 EUR.
ISBN-13: 9783426635131

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