Im Transvestitenröckchen über Leichenfelder

Patrick McCabes provokanter Gesellschaftsroman "Breakfast on Pluto"

Von Oliver GeorgiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Georgi

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Patrick Braden, genannt "Pussy", ist das ungewollte Ergebnis eines Triebausgleiches von Pfarrer Bernard und seiner Haushälterin. Die Mutter setzt das Kind auf der Treppe eines Hauses aus, der Junge wächst bei einer Pflegemutter heran, die er "Schnurres" tauft. Diese überlässt ihn herzlos und nachlässig eher sich selbst als ihn zu erziehen.

So wächst Patrick in der von der IRA geprägten, rauen Welt der irischen Kleinstadt Tyreelin auf und erkennt schon bald seine transsexuellen Neigungen. Viel lieber als alles andere verkleidet er sich, trägt die Wäsche seiner Mutter auf und schminkt sich die Lippen blutrot. Schon bald stürzt er sich in sexuelle Beziehungen zu Männern, lebt seine Andersartigkeit voll aus. So sind es zwei Dinge, die Pussys Leben fortan bestimmen: seine Transsexualität und die zunehmende Gewalt der IRA, die sie/ihn mehr und mehr Freunde verlieren lässt. Pussy jedoch interessiert dies nur am Rande, denn sie ist viel zu sehr mit ihren eigenen Zwiespälten beschäftigt, als sich mit politischen Dingen auseinander zu setzen. Sie verlässt die Gerüchteküche der Kleinstadt und geht nach England, um dort auf dem Straßenstrich zu arbeiten. Pussy kehrt erst nach Irland zurück, als Irwin, ein Jugendfreund, der bei der provisorischen IRA vom Ruhm im Kampf träumte, getötet wird. Jetzt kümmert sie sich um Irwins Freundin Charlie, die mittlerweile dem Alkohol verfallen ist.

Letztendlich landet Pussy in der Psychiatrie. Warum dies so ist, wird nicht weiter erläutert - es ist jedoch auch nicht notwendig, denn der Weg dorthin wird durch die Handlung fast unweigerlich vorgezeichnet.

Patrick McCabe hat mit "Breakfast on Pluto" seinen sechsten Roman vorgelegt. Die ersten fünf wurden von der Presse durchweg positiv aufgenommen - mit dem vorliegenden wird es ähnlich sein. Beeindruckend an McCabes Erinnerungen einer irischen Tunte, die in der Psychiatrie auf Drängen eines Arztes geschrieben werden, ist vor allem der Mut, Tabuthemen wie den Transvestismus aufzugreifen und in eine politisch so dunkle Zeit wie den Beginn der Eskalation des Nordirland-Konfliktes zu verlegen. McCabe spielt mit Transvestitenklischees und konfrontiert sie mit der ernüchternden, brutalen Realität der IRA.

Wie in einem Rollenspiel wechselt McCabe oftmals fast unmerklich die Erzählebenen, kontrastiert Erträumtes mit Pussys Realität. Erwähnenswert erscheint in diesem Zusammenhang McCabes sprachliche Gestaltung des Romans: Geschickt verbindet er Szenesprache des Transvestiten- und Strichermilieus mit einer an vielen Stellen brutal anmutenden Lakonik, wenn Kriegsschauplätze der IRA und deren Einbruch in Pussys Traumwelt geschildert werden. So wird an einer Stelle von der Hinrichtung einer Gruppe junger Männer in einer Wohnung erzählt. Und dies klingt im McCabeschen Sprachkosmos dann so: "Es ist eine Sache von Sekunden, danach ist das Wohnzimmer so ziemlich der letzte Ort auf Erden, wo ihr ne Party geben würdet." Ihre Opfer laden die Täter nach dem Mord "auf der Müllkippe" ab. Gerade diese betont knappe, sarkastische Schreibweise erreicht ein hohes Maß an Präzision und eine große Nähe zum Geschehen. McCabes Roman leistet zudem noch ein weiteres: er führt die Zwiespältigkeit eines Menschen vor Augen, der sich in seiner eigenen Haut und in seinem Geschlecht unwohl fühlt und somit zum Außenseiter in der Gesellschaft wird. Wie sehr dieses Problem Pussy betrifft, wird vor allem daran deutlich, dass sie es - trotz politischer Situation und IRA - bis zuletzt nicht schafft, ihr individualisiertes, fast ausschließlich auf Glamour und Träumereien konzentriertes Leben zu beherrschen. Pussys Welt besteht aus Transvestitenröckchen, bunten Schals und der Sehnsucht nach ihrer leiblichen Mutter, die sie jedoch nie findet. Für politische Geschehnisse, und seien sie auch noch so nah an ihrem Leben, hat Pussy keinen Platz. Selbst die Zeit nach ihrer Rückkehr aus England, in der sie sich um Irwins Freundin Charlie kümmert, empfindet Pussy in der Retrospektive als "glücklich", obwohl es "immer noch sehr schwierig war, Charlie ein vernünftiges Wort zu entlocken, denn sie trank nach wie vor." Pussy lebt sich naiv und dickfellig durch ihre Welt. Charakteristisch erscheint da das Zitat: "Heute abend geht ´ne Bombe hoch, und ich hab nichts anzuziehen!"

McCabe ist ein beeindruckendes Buch gelungen. Beeindruckend deshalb, weil er sich nicht scheut, Absurdes herrlich skurril zu erzählen. Der zweite Rezeptionsschritt jedoch ist lehrreicher: der nämlich, dass vieles in "Breakfast on Pluto" so absurd gar nicht ist, sondern von der Konform-Gesellschaft lediglich an den Rand des Außenseitertums gedrängt wurde. Abgedrängt heißt jedoch nicht vergessen. McCabe sorgt mit diesem Buch dafür.

Titelbild

Patrick McCabe: Breakfast on Pluto.
Eichborn Verlag, Frankfurt 2000.
207 Seiten, 18,40 EUR.
ISBN-10: 3821805897

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