Komplett offline, total out?

Alex Rühle schreibt in seinem Buch über einen sechsmonatigen Selbstversuch ohne Internet

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Alex Rühle ist Journalist und er schreibt vor allem für die „Süddeutsche Zeitung“. Bekannt für seine einfühlsamen Reportagen und oft ungewöhnlichen Blickwinkel hat er in seinem neuen Buch kein abwegiges Thema gewählt, sondern einen Jedermann betreffenden Gegenstand. „Jedermann“ meint allerdings in diesem Fall alle Personen, die sich eines elektronischen Gerätes bedienen, um damit am weltweiten Internet „teilzunehmen“. Für alle diese potentiellen „Internetjunkies“ ist das Buch gedacht. Und da Rühle sich natürlich, selbstkritisch wie man als Journalist ist, auch zu diesen potentiell Abhängigen zählt, hat er einen Selbstversuch unternommen. Ein halbes Jahr versuchte er sein Privatleben und seinen Arbeitsalltag ohne Internet zu organisieren.

Der Versuch wird in einem Tagebuch dokumentiert. Was sind die Besonderheiten am analogen Alltag? Gibt es prägnante Unterschiede? Ist man wirklich süchtig nach dem Netz? Oder nach Informationen? Oder ist es ein Bedürfnis nach einer immerwährenden Möglichkeit – was auch immer zu tun? Rühle begibt sich auf eine schwierige Suche. Und auf seltsame Entdeckungsreisen, die immer irgendwo zwischen Banalität und allumfassender Erkenntnis lavieren. Problematisch bei den Aussagen über und den Erkenntnissen zum Internet ist, dass sich offensichtlich Jedermann mit diesem Thema auskennt, jeder mitreden kann und offensichtlich auch jeder eine Meinung hat. Und dabei verhält es sich wie mit dem Internet: das Problem ist nicht, das man etwas nicht findet – das Problem ist das Überangebot an Informationen. Genau diesem Phänomen scheint Rühle zumindest partiell zu entkommen. Analoge Gewohnheiten schleichen sich in seinen Alltag ein – und man hat das Gefühl, nicht zum Schaden seines eigenen privaten Alltags. Wenn seine Ambitionen von seiner Frau ernüchternd kommentiert werden, wird man auf den Kernpunkt des Experiments verwiesen: Was soll das eigentlich?

So stellt sich zum Ende des Erfahrungsberichts sowohl beim Autor als auch beim Leser eine leichte Ernüchterung ein. Eigentlich hat man es gewusst: Am Ende des Entzugs fällt man zurück in die alten Gewohnheiten: „Ich würde ja so gerne ein paar kernige Tipps am Ende geben. B. meint, ich solle einfach jedes Mal überlegen, ob ich jetzt wirklich ins Netz müsse oder nicht, und dann frei entscheiden. Ich nicke, als sie das sagt, gute Idee, aber insgeheim bin ich ratlos. Der freie Wille ist bei uns Junkies ausgeleiert wie ein altes Gummiband.“ Aber trotz dieser partiell deprimierenden Schlusserkenntnisse ist schon allein die Entstehung des vorliegenden Buches ein Zeugnis analoger Kultur – ebenso die Lektüre. Zusammenfassend ein amüsant zu lesender Bericht, wie man es von Rühle gewohnt ist, über ein Thema, das einen zwar angeht, das aber eigentlich auch nicht richtig interessant ist. Man muss sowieso schon zu viel im Netz verweilen. Lesen Sie doch lieber mal ein Buch.

Titelbild

Alex Rühle: Ohne Netz. Mein halbes Jahr offline.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2010.
223 Seiten, 17,95 EUR.
ISBN-13: 9783608946178

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