Coole Socken

Robert B. Parkers „Alte Wunden“ zeigt den modernen Ermittler in seiner wahren Schönheit

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Krise der Männlichkeit (als fixes Rollenbild) hat zu einem merkwürdigen Kompensationsphänomen geführt, das sich in immer neuen Varianten durch das 20. Jahrhundert zieht. In dem Moment, in dem Männer die im bürgerlichen System vorgesehene Rolle des Ernährers nicht mehr spielen können und in dem die individuelle Wirkungsmacht in der Vielfalt der sich überkreuzenden Handlungen verschwindet, tauchen jene melancholischen Helden auf, die zwar alles können, aber nichts mehr dürfen.

Sylvester Stallone ist im Film der paradigmatische Darsteller dieser Repräsentanten einer verfallenen Männlichkeit geworden, die nicht in Intellektualität, sondern in der körperlichen Präsenz ihren Platz findet.

Im Krimi haben Dashiell Hammett und Raymond Chandler den Männern in der Krise Gestalt gegeben, und sie insbesondere in jenes unscharfe Verhältnis zum andern Geschlecht und zur Gesellschaft gestellt, in dem ihre Fragilität besonders deutlich erscheint.

Moderne Männer an ihrem Platz, soll heißen, dorthin, wohin niemand gehören will. Seitdem das hard boiled-Genre entworfen wurde, zieht sich dieses Schema durch den Kriminalroman und hat sich in vielerlei Spezies ausdifferenziert, die sich allerdings auf einige Dinge immer verlassen können: auf ihre Kanone oder Fäuste und ihr cooles Mundwerk.

Zuschlagen oder schießen zu können ist das eine, aber auch noch in jeder Situation einen coolen Spruch auf Lager zu haben – Humphrey Bogarts Gesicht gehört heute untrennbar dazu. Und genau diese letzte Eigenschaft macht den Unterschied zu den Helden aus, die Stallone kreiert hat, auch wenn er – wie sie – erst aufhört, wenn alles vorbei ist: „It ain’t over till it’s over“.

Einer der legitimen Nachkommen der Marlowes und Spades, für die es ein neuer Umstand war, dass Männer nicht mehr einfach nur Männer sind, sondern Buchhalter, Cowboys, Zeitungsmagnaten, Polizisten, Gangster oder arbeitslos, ist nun jener Spenser, den sich Robert B. Parker ausgedacht hat und den er seit 1973 fleißig ausgeschrieben hat.

Er ist auch dem deutschen Publikum, soweit es sich dafür interessiert, hinreichend bekannt. Wer also zu Spenser-Romanen greift, will die coolen Sprüche hören, weiß um die Qualitäten seines Helden und seiner Nebenleute.

Allerdings unterscheidet die neuen Hartgesottenen von den alten ihr Verhältnis zum anderen Geschlecht, oder genauer gesagt zu denen, die sie lieben. Susan etwa, Spenser Lebensgefährtin, ist keine femme fatale, aber auch kein Hausmütterchen. Sie ist eine hoch qualifizierte Psychologin, die ihr eigenes Leben lebt. Im Verhältnis zwischen den beiden gibt es wenig Geheimnisse. Dass Spenser Leute umlegt, ist Susan klar. Dass seine Assistenten alles Kriminelle sind, weiß sie genausogut. Dass er ein brutaler Schläger ist, ist ihr bekannt. Und so weiter. Hier gibt es nichts zu verheimlichen und hier hält der Held nicht hinter dem Berg mit sich und seiner Wahrheit, um die Frau zu schützen.

Auch ist seine Beziehung nicht dauerhaft gefährdet durch seinen Job. Dass es das Böse gibt, weiß Susan, dass Spenser ein Guter ist, ist aber ebenso klar. Leute wie er sind es, die die Welt bewahren und davor schützen, zerstört zu werden. Da sind Späne erlaubt.

Das ist auch in diesem Krimi Parkers der Fall. Eine Schauspielerin, Daryl, bittet Spenser, den Mord an ihrer Mutter vor 28 Jahren aufzuklären. Die Mutter war in einen Banküberfall geraten und wurde dabei erschossen. Eine linksradikale Gruppe namens Dread Scott Brigade bekannte sich zu dem Überfall, die Täter wurden jedoch nie gefasst.

Spenser beginnt nun zu ermitteln und stößt auf eine merkwürdige Interessengemeinschaft von Mafia, FBI und ehemaligen Hippies, die anscheinend alle ein Interesse daran haben, dass sich keiner mehr so genau mit der Sache befasst.

Das kann Spenser natürlich nicht auf sich beruhen lassen, vor allem als sich nach kurzer Zeit die Drohungen gegen ihn und dann auch gegen seine Lebensgefährtin zu häufen beginnen und der eine oder andere Anschlag auf ihn verübt wird.

Selbstverständlich rührt er solange in der trüben Suppe, bis sie sich klärt. Aber vor allem eins ist aufschlussreich in der Konstruktion, die Parker hier zusammengezimmert hat: Denn am Ende stehen sich zwei Bewahrer und Ideologen der Familie als Solidargemeinschaft gegenüber, die gegensätzlicher nicht sein könnten, und machen einen Deal. Was den Rahmen nun doch deutlich erweitert, in dem sich diese Männer bewegen. Family Values auf beiden Seiten der Krimi-Demarkationslinie? Immerhin.

Aber dass das weitgehende Auswirkungen auf das Gesamtbild männlicher Rollenvarianten hat, bleibt davon unbenommen, ob man solche Haltungen schätzt oder nicht. Im Kern der männlichen Krise steht – so gesehen – nichts anderes als die Aufgabe, das Herz sozialen Zusammenhangs zu konstituieren und zu schützen. Bleibt nur die Frage, ob das, was die kriminellen und semikriminellen Männer auf Teufel komm raus schützen wollen, von ihren Praktiken nicht korrumpiert wird.

Titelbild

Robert B. Parker: Alte Wunden.
Übersetzt aus dem Englischen von Emanuel Bergmann.
Pendragon Verlag, Bielefeld 2010.
224 Seiten, 9,95 EUR.
ISBN-13: 9783865321589

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