Jenseits des female-streams

Gudrun Ankele hat in „absolute Feminismus“ Texte von den Rändern des Feminismus zusammengetragen

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die philosophische Disziplin der Erkenntnistheorie hat bereits einige Jahrhunderte auf dem Buckel. Daher ist es wenig erstaunlich, dass sich im Laufe der Zeit etliche miteinander konkurrierende Erkenntnistheorien herausgebildet haben. Man sieht also, der Terminus Erkenntnistheorie fungiert einmal im Singular als Oberbegriff, der eine Disziplin bezeichnet und sodann im Plural als Unterbegriff, für die in dieser Disziplin entstandenen einzelnen Theorien über das Wesen und das Zustandekommen von Erkenntnis.

Ganz ähnlich verhält es sich mit dem Ausdruck Feminismus. Auch er fungiert als Oberbegriff und Unterbegriff. Allerdings nicht für eine philosophische oder wissenschaftliche Disziplin, sondern für eine grundsätzliche Haltung, die sich gegen jedwede Diskriminierung von Menschen richtet, die damit begründet wird, dass es sich um Frauen handele, und der mit dieser Haltung einhergehenden wissenschaftlichen Theorien. Ziel dieser Theorien ist es unter anderem, den Ursachen von Frauenfeindlichkeit auf den Grund zu gehen und die erfolgsversprechendsten Praxen zu deren Überwindung zu erarbeiten. Auch wenn der Feminismus vielleicht noch nicht ganz so alt ist wie die Erkenntnistheorie, so hatte er doch reichlich Zeit, zahlreiche Feminismen auszubilden. Einige von ihnen sind erst relativ neuen Datums wie etwa der dekonstruktive Feminismus, andere gibt es schon recht lange und haben im Laufe der Jahrzehnte an Leuchtkraft verloren wie etwa der sozialistische Feminismus. Im Rahmen dieser Entwicklungen haben sich auch feministische Mainstream-Stränge herausgebildet, während andere Feminismen ein eher randständiges Dasein führen.

Da nun letztere nicht unbedingt auch die am wenigsten plausibelsten sind, ist es zu begrüßen, dass Gudrun Ankele unter dem Titel „absolute Feminismus“ einen Reader mit „radikalen und unkonventionellen“ Texten zusammengestellt hat, die allerdings nicht immer ganz so „abseits des klassischen feministischen Kanons“ liegen, wie der Klappentext des Buches glauben machen will. So weist die Herausgeberin selbst darauf hin, dass es sich bei Olympe de Gouges „Déclaration des droits de la femme et de la citoyenne“ um einen „zentralen Text“ aus der Historie des Feminismus handelt. Und er ist nicht der einzige dort abgedruckte, der dieses ruhmvolle Prädikat verdient. Zu nennen wären beispielsweise auch die Texte von Monique Wittig, Audre Lorde, Donna Haraway und Judith Butler. Texte anderer Verfasserinnen wiederum sind nicht ganz so feministisch, wie man angesichts deren Aufnahme in das Buch erwarten dürfte. So bleibt etwa schleierhaft, was Valentine de Saint-Points „futuristische[s] Manifest der Wollust“ für den Ehrentitel feministisch qualifizieren soll.

Etliche Texte und ihre Autorinnen jedoch sind tatsächlich den Randgebieten des Feminismus zuzurechnen und zu Unrecht vergessen oder kaum mehr rezipiert, wie etwa diejenigen der noch immer viel zuwenig beachtete Helene Druskowitz und ihrer Schwester im Geiste Valerie Solanas, deren Forderungen im „Manifest zur Vernichtung der Männer“ allerdings „überzogen bis absurd scheinen und keiner eindeutigen Logik folgen“. Das findet zumindest die Herausgeberin. Annie Sprinkle wird von ihr hingegen als „Paradefall einer sexpositiven Feministin“ gerühmt.

Ankele hat die Texte in vier „Move[s]“ genannte Teile zusammengefasst, die unter den Titel „Komplizierte Kollektive“, „Exklusive Eutopien“, „Body Moves“ und „Auflösungen und neue Gemeinschaften“ stehen. Jedem dieser Teile hat sie einleitende Bemerkungen in Form „historische[r] Essays“ vorangestellt, die kursorisches zur feministischen Ideen- und Problemgeschichte enthalten. Außerdem stellen sie die oft nur auszugsweise dokumentierten Texte kurz vor. Das kann durchaus informativ sein, wenngleich manches zu pauschal ausfällt, wie etwa die Behauptung, für „die Feministinnen des 19. Jahrhunderts“ habe „das Wir, das, was sie unter ‚Frauen‘ verstehen, aus weißen, christlichen, bürgerlichen Frauen, die keine Lohnarbeit leisten und gebildet sind“, bestanden. Es sei hier nur an die wunderbare Victoria Woodhull (1838-1927) erinnert, auf die das ganz gewiss nicht zutraf. Auch bleiben die Reflexionen der Essays gelegentlich recht allgemein und geraten manchmal sogar ein wenig oberflächlich. Zudem unterläuft Ankele auch schon mal ein kleinerer Widerspruch. So lässt sie die „Geschichte des Feminismus“ im Jahre 1791 mit Olympe de Gouges’ Erklärung „Die Rechte der Frau“ beginnen, entdeckt jedoch mit Christine de Pizzas „Buch von der Stadt der Frauen“ eine „feministische Utopie“, die um einige Jahrhunderte älter ist. Sie wurde 1405 geschrieben.

Eröffnet wird der Band jedoch nicht mit einem historischen oder zeitgenössischen Dokument aus der feministischen Theoriegeschichte, sondern mit einer Diskussion, an der neben der Herausgeberin die Politikwissenschaftlerin und Ökonomin Gabriele Michalitsch, die Journalistin Elfriede Hammerl, die Philosophin und Aktivistin Sushila Mesquita teilnahmen und das unter der Fragestellung „Feminismus heute?“ stand. Zwar ist das Gespräch insgesamt interessant und so manche Argumentation der Disputantinnen bedenkenswert, doch ist keineswegs alles, was dort geäußert wird, überzeugend. So kann man einigen Statements nur zugute halten, dass sie nun mal eben so unscharf formuliert – und dann auch abgedruckt – wurden, wie dies bei der Flüchtigkeit des gesprochenen Wortes eben so ist.

Erfreulich und nicht nur unter den Gesprächsteilnehmerinnen uneingeschränkt zustimmungsfähig ist die allen gemeinsame Kritik an Charlotte Roches literarischem Versuch „Feuchtgebiete“. Elfriede Hammerl bringt die „äußerst reaktionäre Botschaft“ von Roches Arztroman auf den Punkt, wenn sie konstatiert: „Papi und Mami lassen sich scheiden, das macht die Tochter kaputt, aber anschließend ist die Welt wieder in Ordnung, sobald die Protagonistin selbst eine Liebesbeziehung eingeht“.Gabriele Michalitsch bezeichnet die Haltung von Roches Text denn auch völlig zurecht als „das Gegenteil von Radikalfeminismus“.

Zwar hält Sushila Mesquita fest, dass die Gesprächteilnehmerinnen nicht „alle den gleichen Begriff von Feminismus haben“, doch sind sie sich mindestens in einer weiteren Frage einig: Feministische Utopien tun Not. Dies nun allerdings ist nicht nur ganz grundsätzlich keineswegs so konsensfähig wie die Kritik an Roche, auch einigen der Statements beziehungsweise Forderungen zur Utopie-Frage mangelt es an Überzeugungskraft. Mesquita etwa meint, es sei „wichtig“, Utopien „auf die anderen Ebenen runterzubrechen“ und sie „im Kleinen zu haben, zu leben, zu teilen“, „weil wir alle auf unterschiedlichen Ebenen arbeiten und aktiv sind und versuchen Sachen zu verändern – in meinem persönlichen Umfeld auch durch Kunst, durch Feiern von Partys“. Außerdem verlangt sie, die „eigenen Privilegien aufzugeben“, denn „dann wären eben der Platz und der Weg breiter für Utopien. Wir könnten überlegen, wie wir zusammenleben, wenn es ein Bleiberecht für alle gibt“. Und wenn sie weiter ausführt, dass sie Utopien für „extrem notwendig“ hält, „weil sonst bleibe ich immer nur in der Kritik hängen“, stellt sich die Frage, ob das nun bloß ein ganz persönliches Bekenntnis ist oder ob diese Aussage Allgemeingültigkeit beansprucht. Als letztere wäre sie ganz offenbar falsch. Die Herausgeberin versteht Mesquitas Statement aber genau so: als allgemein gültig. Und sie pflichtet ihr bei: „Ich bin auch fest davon überzeugt, dass es diese utopische Energie braucht, um einen politischen Aktivismus im Jetzt anzutreiben“. Damit spricht sie Utopie-SkeptikerInnen und -kritikerInnen implizit ab, überhaupt im feministischen Sinne politisch aktiv sein zu können.

Auch Michalitsch glaubt, „dass eine Utopie ganz zentral ist für die Ausrichtung einer politischen Praxis“, gibt dann aber zu bedenken, „vielleicht sollten wir es nicht Utopie, sondern Heterotopie nennen“. Dem scheint ein differenzierterer Utopiebegriff zugrunde zu liegen. Doch verliert sie sich in einer an Allgemeinheit kaum zu überbietenden Banalität: „die Möglichkeit, die Gestaltbarkeit die Änderbarkeit von Gesellschaft, das muss unser Denken bestimmen“. Das hat allerdings genuin weder etwas mit Utopie noch mit Heterotopie zu tun. So dürfte es auch schwerlich möglich sein, nur eine einzige PolitikerIn von – beispielsweise CDU oder FDP – zu finden, die ihr darin widerspräche. Letztlich zeigt sich nur Elfriede Hammerl Utopien gegenüber etwas zurückhaltender. Sie gibt zu bedenken, „dass die Utopien immer Utopien bleiben“, ohne sie darum allerdings abzulehnen.

Nicht nur in der Gesprächsrunde geht es um Utopien. Die Herausgeberin befasst sich im dritten der die „Moves“ einleitenden Essays noch einmal mit dem Thema und freut sich, dass „utopische Gesellschaftsentwürfe, die sich nicht an realpolitischen Möglichkeiten orientieren oder sich darauf beschränken, […] auch im 21. Jahrhundert noch nicht aus der Mode“ seien. Nun, so richtig en vogue sind sie aber auch nicht. Und dass Charlotte Gilman Perkins’ „Herland“ auf einer Insel angesiedelt ist, trifft nun ganz sicher nicht zu. Die Frauengesellschaft residiert vielmehr auf einem unerreichbaren Hochplateau.

Noch einmal zurück zur einleitenden Diskussionsrunde. Ähnlich problematisch wie die Statements zur Utopie-Frage sind diejenigen zum Begriff gender, von dem Ankele meint, er sei „komplett entpolitisiert“ und „erledigt“, da er „nur mehr [als] eine deskriptive Kategorie angewendet“ werde. Das ist gleich doppelt problematisch. Weder wird der Begriff rein deskriptiv benutzt, noch fehlt ihm angesichts des biologistischen back lash die politische Brisanz. Nun sieht zwar auch die Herausgeberin, dass die Neurobiologie die Definitionsmacht darüber beansprucht, „wie unterschiedlich Männer und Frauen empfinden und handeln und so Verhaltensweisen, die man mit dem Begriff gender fassen wollte und als soziale Effekte kritisierte, an den Körper [bindet]“, doch schließt sie gerade daraus – wie die Historikerin Joan W. Scott bereits während einer Rede 1999 –,dass Gender heute für kritische Ansätze kaum relevant sei. Radikale Kritik jedenfalls, darin ist sich zumindest die Mehrzahl der Disputantinnen einig, sei heute viel eher von der queer theory zu erhoffen, deren, wie Ankele betont, „radikale Kritik am Konzept einer stabilen Identität“ die große Herausforderung für einen aktuellen Feminismus sei.

„Das Wissen um die Geschichte des Feminismus als emanzipatorische Praxis kann helfen, die Aufmerksamkeit für gesellschaftliche Hierarchisierungen und Ungerechtigkeiten zu schärfen und Zorn zu hegen, um sich für ein besseres Leben zu engagieren“, erklärt die Herausgeberin im letzten ihrer Essays. Genau so ist es. Und da der vorliegende Band – ungeachtet einiger kontroverser Positionen der Herausgeberin und der Disputantinnen – diesbezüglich einiges zu bieten hat, sei er zum Kauf empfohlen. Statt auf die „visionäre[n] Denker_innen“, die Ankele sich wünscht, wäre aber vielleicht doch eher auf scharfsinnige und gerne auch geistreiche zu setzen.

Titelbild

Gudrun Ankele: absolute Feminismus.
Orange Press, Freiburg i. Br. 2010.
224 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783936086485

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