Weder Kairos noch Wiederkehr

Matthias Bickenbach zeigt „Das Autorenfoto in der Medienevolution“ in der Nahaufnahme

Von Sandra MarkewitzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sandra Markewitz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Man kennt die Baudelaire-Imago auf den Fotografien von Nadar (alias Felix Tournachon), die lässige Haltung mit der Distanz im Blick, die skeptisch auf den Betrachter schaut: Er wird mich nicht erkennen. Nicht zufällig und zu Recht lautet der Untertitel der Kölner Habilitationsschrift von Matthias Bickenbach „Anachronie einer Norm“: Das Auge hat sich daran gewöhnt, Verbindungen vom Werk zum Autor herzustellen, die dem fotografischen Abbild einen Status der Unmittelbarkeit geben könnten, der jedoch in der Zeit des Trugbild-Charakters des Mediums nicht mehr ohne Weiteres gegeben ist.

Anachronie bedeutet: etwas ist nicht nur „veraltet“, sondern zeitlich unangemessen. Etwas die Eisenbahn, in heutigen Texten einer Zeit zugeordnet, als es sie noch gar nicht gab, das technische Gerät außerhalb des Kontexts seiner initiierenden Funktion (hier bezeichnet als „Beharrungsvermögen nach erworbenem status quo“). Diese Funktionsstelle ist mit der kommunikativ abgesicherten Legitimität des Zugriffs auf das technische Gerät verbunden.

Insofern ist die Eröffnung der Studie mit dem einleitenden Kapitel „Die Begegnung von Fotografie und Autorschaft“ folgerichtig. Gegenwärtig wird hier vom Autor her gefragt, auf den Spuren der alten intentio auctoris – sie verschiebt sich in das Gesetz der Serie und der gleichzeitig unbestimmten, formalen Qualität dieser Anordnung: „Die vorliegende Arbeit hatte sich der Vielfalt der Fotografie und ihrer Serialität zu stellen. Sie kann sich nicht auf einen oder einige Autoren konzentrieren, sie schreibt keine Werkgeschichten, ebenso wenig wie einzelne Stile oder FotografInnen hier im Vordergrund stehen sollen. Diese Arbeit will keine Geschichte des Autorenfotos als Verlaufsgeschichte entlang fotografischer Stilistik etwa von Naturalismus und Piktoralismus, Neuer Sachlichkeit, Avantgarde und Popart schreiben, sondern vielmehr die Frage nach der Form von Mediengeschichte stellen. Die Technik des Mediums geht in das Reden über dieses Medium ein. Es geht um Wege der Überlieferung, die mit der harmonischen Geschlossenheit des Überlieferungszusammenhangs der Hermeneutiker brechen und gleichsam jede neue mediale Übertragungsform als Einschnitt begrüßen helfen, der der Überlieferung von Mediengeschichte das hinzufügt, was man früher „widerständiges Moment“ genannt hätte. Die Form einer Überlieferung muss nicht mit der „Geschichte“ zusammenfallen. Die Form von Mediengeschichte hat sich vielmehr den Medien (oder dem Medialen) zu stellen: Was bedeutet die Evidenz des Mediums der Fotografie formal für die Überlieferung dieser Bilder, insofern sie Überlieferung ist? Die Betonung des Form-Aspekts verwirft die bloße Auflistung von Stilen als eher lexikalisches Verfahren.

Bickenbach operiert also „in Absetzung von Fortschritts- und Revolutionsgeschichten“; der Überlieferungszusammenhang ist Evolution, nicht Auflehnung, sondern in Funktionen intergrierte Auflehnung, ist Anpassungs- und Einordnungsgeschehen (und das passive „Einrücken“ in diesen Zusammenhang mitnichten zurückhaltend). Charles Darwin statt Karl Marx. Diese Evolution wird nun aber, auf den ersten Blick anders als bei Darwin, begriffen über ihr formales Moment. Die Stabilisierung einer Ausdrucksform (des menschlichen Körpers, einer Funktion in Gebrauch) führt vom Inhalt weg, von dessen offensichtlichen Zufälligkeiten, die in der Zufälligkeit der Form zu einem spezifischen Zeitpunkt weitergetragen werden. In einer Geschichte der Form kämpfen somit zwei Momente miteinander: Das Autorenbild, das die Überlieferung evolutionär stabilisiert, reduziert sich in diesem Vorgang des Weitertragens auf die potentiell je neu besetzbare Bild-Stelle. Der konkrete Inhalt wird zum Platzhalter, deshalb – jenseits von Nadar – sagt das Bild auch nicht, was es abbildet, sondern mehr und anderes (im Sinne des perspektivierenden Mottos der Einleitung: „Das Kaleidoskop muß zerschlagen werden“, von Walter Benjamin). Die Kraft, eine Überlieferung anzustoßen, kommt aus der Substituierbarkeit der abgebildeten Protagonisten, die der Relativität der überliefernden Medien entspricht, die je neu in ihrer Medialität aufgerufen werden, sobald sie sich zu wahrnehmbarem „Sinn“ verdichten. Diese Austauschbarkeit und produktive Unsicherheit (die heute so beliebte „Unzuverlässigkeit“) sichert als Möglichkeit, etwas Abgebildetes potentiell stetig zu rekontextualisieren.

In der „neuzeitlichen Gattung des Portraits“, die Bilder als Zeugnisse von Individualität zu verstehen beginnt (der „Charakter“ ist ein bis heute nahezu unbefragtes Idol autonomen Selbstausdrucks, der als anschlussfähig an den neuzeitlichen Subjektdiskurs goutiert wird), verbinden sich der Anblick des Dichters und der Vorgriff auf die kommende Tradierung seines Werks: Der 2005 verstorbene Dichter Thomas Kling steht vor Oskar von Wolkensteins Relief in Brixen in gleicher Pose, so knüpft demonstrative Imitatio an ihr diskurseröffnendes Vorbild an.

Der erste Teil der Arbeit widmet sich der Nachzeichnung der Annahme, eine Theorie der Intermedialität behaupte „den Bezug zwischen Medien als conditio sine qua non von Medialität“ und sucht diese These historisch zu belegen. Im Zwischenraum jenseits der medialen Festlegung geschehe die wesentliche Konstituierung. Der medienevolutionäre Ansatz beobachtet einen Prämierungs- und Stabilisierungsdiskurs von der Technik (als „bloßer“ techné) zum Mediensystem. Schrift, Buchdruck und Computer, Zäsuren, die als Erfolgsgeschichten revolutionär einsetzten, um sich dann kleinteilig in die Lebenswelten festzusetzen, werden jenseits der „Revolutionsfigur des Umsturzes“ betrachtet. Gegen die Gewohnheit, in einer „Rhetorik des Neuen“ die Erfindungen mit Epochennamen korreliert zu sehen (Schrift-Buchdruck-Computer oder Literalität-Gutenberg-Galaxis-Turing-Universum), wobei die widerständigen evolutiven Prozesse an den Schnittstellen der Erzählungen von den großen Entwürfen gleichsam ausgeblendet werden, setzt die evolutionäre Perspektive ihre Leitbegriffe in die Diskussion ein. Evolution bedeutet dabei nicht im oberflächlichen Sinne Fortschritt und teleologische Struktur; dass „das Wissen um die Abfolge von Leitmedien“ mit „der Medienevolution“ in der Außenwahrnehmung zusammenzufallen drohe, wird als Problem erkannt. Es geht so zum einen um die Rechtfertigung der Ausgangsthese, die evolutionäre Perspektive auf mediale Entwicklungen einem eindimensionalen Revolutionsparadigma entgegenzusetzen, und zum anderen um die Legitimierung der Verwendung der Begriffe des evolutionären Paradigmas. Dessen problematische Seiten sind seine Verwandtschaft mit dem Vorurteil, eine evolutionäre Sichtweise habe befriedende Tendenz, ohne auf die revolutionären Indizien zu achten, die in Auswahl- und Stabilisierungsprozessen den Fortbestand der Gattung garantieren. Denn die Gewalt gegen das, was nicht fortgeführt wird, begleitet das evolutionäre Geschehen als Möglichkeit revolutionärer Umkehr. Die Prüfung der Evolutionsthese, die im Blick auf mediale Ausprägungen von Wirklichkeitskonstitution viel verspreche, fordert nicht zuletzt die sprachliche Klärung. Das Ondit liest Evolution als Erfolgsgeschichte; das soll hier gerade nicht geschehen. Gezeigt werden soll, dass „die Entwicklungslogik von Leitmedien und ihrer Stellung innerhalb weiterer medialer Systeme und Einzelmedien weder in der technologischen Chronologie von Erfindung und Erfinder noch in kausalen Erfolgsgeschichten“ aufgehe. Als Hilfsmittel empfiehlt sich die Einbeziehung der intermedialen Konstellationen – aus dem Zwischen, dem Wahrnehmen einer Differenz, erwächst das Tradierbare, es wirkt auf die Übetragungsprozesse der Überlieferung (und deren legitime Kanäle) ein. Die Anachronie als Norm vermag diese Überlieferung jenseits der Linearperspektive zu sichern. Ihr Normatives erhält sich durch fortgesetztes Aus-der-Zeit-Fallen; von dieser Seite kommt die nichtintentionale Stabilisierungsleistung einer umfassenden Möglichkeit, sich an die Umständen anzupassen und sie durch das anachrone Potential aufzubrechen.

Anhand der Geschichte der Fotografie – bezeichnet im „kulturellen Gedächtnis“ als Daguerres Coup – wird die Überlagerung kultureller, dezentral organisierter Anerkennungsakte nachgezeichnet, die dazu führten, dass uns heute die Fotografie selbstverständlich ist. Dem Modell der Kette der Wesen (Lovejoy) wird dabei eine Absage erteilt: Mithin sei das Handwerk der Fotografie „Produkt eines Romans“. In dem Abenteuerroman „Giphantie“ (1761) beschreibt der Autor Tiphaigne de la Roche „erstmals ein automatisch hergestelltes, täuschend echtes Bild“. So ist die Perspektive der Intermedialität gesetzt, die Bickenbachs Arbeit prägt. Zwischen den Medien ist eine Praxis aufgespannt; das intermediale Paradigma sei relevant „als basale Relation aller Medien und nicht nur als künstlerische Praxis“. In der Tat hat die Ausrichtung auf Intermedialität Konjunktur. Viele Themen von Tagungen und Sammelbänden zeugen davon. In der Perspektive der Medienevolution wird so ein „Jenseits der Ästhetik“ ausgemacht, das von der Fixierung revolutionärer Umbrüche (die Medien als Marksteine dieser Umbrüche betrachten und in passende „Galaxien“ ordnen) zur Beschreibung der allmählichen Verfestigung heterogener Linien führt. Die Kettenmetapher wird eben abgewiesen, die Verbindung über die Zeiten darf nicht zu zwingend sein, das Paradigma von Auswahl und Stabilisierung besetzt gleichsam einen Zwischenraum. In der intermedialen Strukturierung eines Mediums liege dann sein Freiheitsmoment: Die Freiheit fällt mit dem Konstitutionsort der Medien zusammen. Sie ist so frei, wie die späteren Medien in ihrer Benutzung (in der sie als Mediales mit den Gebrauchsweisen des Mediums in Beziehung treten), es ist eine Freiheit in der Bindung. Das Fotografische sei der „Prüfstein“ der Intermedialitätstheorie. An diesem Beispiel wird sichtbar, wie weit die Bindung gehen kann und außerdem kann man so erkennen in welchen Figuren des Denkens sich ein Freiheitsversprechen noch realisieren kann.

Wie Sigmund Freud in seinem Text über das Unheimliche schreibt, ist es interessant, die Wirkung zu erfahren, die entsteht, wenn „uns einmal das Bild der eigenen Persönlichkeit ungerufen und unvermutet entgegentritt“. Das Ungerufene birgt vielleicht eine Möglichkeit der Loslösung von einer notwendig erscheinenden Einbeziehung in die Verkettung. Der evolutive Charakter der Medienentwicklung jenseits der großen Zäsuren hat es mit diesem Ungerufenen zu tun, einer leisen Antwort, dem geradezu Beckett’schen Bewusstsein, dass das Sprechen immer weitergeht – ein Wissen, so gut wie ein Schweigen. Literarische Beispiele (Samuel Beckett, Thomas Bernhard, Don DeLillo) knüpfen an die These der Herkunft des Mediums Fotografie aus einem Roman. Diese wirken wenig überraschend, illustrieren wie selbstverständlich – es sind im Fall von Beckett und Bernhard auch Widerstände gegen eine nahegelegte Intermedialität, die sich hier artikulieren. DeLillo illustriert das geläufiger, seine Kritik der Fotografie ist die des alten Künstlers an der Fotografin, deren Jugend gleichsam das Zeitalter der Vervielfältigung gegen seine Singularität als „Charakter“ und Mensch versinnbildlicht. Der Satz aus der Einleitung „Autorenbilder haben ihre Funktion als Teil des kulturellen Gedächtnisses“ verbindet sich mit der Vorstellung der Intermedialität als vorstellungsleitend. Das „kulturelle Gedächtnis“ ist auch eine wuchtige Universalisierung, der gerade das Gefühl des Fotografierten, seiner Innerlichkeit beraubt zu sein, entgegensteht, einem festen Kasten etwas wie Identitätsentzug zu verdanken, der an Johann Wolfgang Goethes Kämpfe gegen die „dunkle Kammer“ erinnert, in der Isaac Newton seine ihm so schrecklich erscheinende Experimente machte und das weiße Licht spaltete.

Diese fortgesetzten Erfahrungen eines Identitätsverlustes, die man indes nicht nur in ein dämonisches Licht rücken sollte, laden die bündige Funktion des kulturellen Gedächtnisses mit dem Widerstand derer auf, an die erinnert wird, die durch eine Technik erinnerbar gemacht werden über ihren Tod hinaus. Zwischen den Medien ist auch der Raum der fortgesetzten Unsicherheit ihres Gelingens, des Gelingens der Übertragungsleistung. Die Angst des Fotografierten ist der immanente Bruch, der in diesem Gelingen liegt; die Gefühle der Abgebildeten erinnern an die Herkunft des Mediums aus einem Zwischenort.

Die Physiognomie verursacht eine „Befremdung“, das zeigt ein weiteres Kapitel. Die Befremdung als Figur gehört in das rhetorische Arsenal einer Zeit. Befremdet ist der Befremdete nicht zuletzt von den im Befremdenden enthaltenen eigenen Anteilen: Der Fotografierte erkennt sich nicht, aber auch nicht ein ganz Unähnliches, er ist auf der Suche nach seiner eigenen Physiognomie im Bild, das bald zum Teil eines ökonomischen Diskurses wurde: Charles Baudelaire wird mit der Äußerung zitiert: „Das Porträt ist eine Verkaufsgarantie“. So verschränken sich ökonomisches Interesse (auch dieses kann eine Maske sein) und Bildlichkeit; das Recht am Bild verbindet sich mit dem Interesse erfolgreichen Eingangs in die Überlieferung.

Sehr einleitend geht das Intermedialitätskapitel dem Unbehagen nach, das die fotografierten Bilder wie reflexhaft auslösten – man war es zunächst noch nicht gewohnt, sich von außen zu sehen wie alle Welt. Genannt wird Thomas Kuhn (Paradigmen zeigen nicht den Erfolg einer „Lösung“ an, sondern erscheinen anfangs noch als Verheißung). Die Erfolgsgeschichte der Fotografie wird hier an ihren Bruchstellen erhellt, an denen sich mannigfaltige Widerstände der Gezeigten als Widerstände der Elemente der Überlieferung ausmachen lassen. Das Mediale, gezeichnet als „ein Widerstand“, widersteht der Einordnung in eine Kette von Einzelmedien mit Zäsurimplikation. Von einer solchen „Erzähltheorie der Medien“ grenzt sich Bickenbach zu Recht ab. Das Re-Entry der Medien in die Medien, auf ihren spezifischen Wegen, ist in Luhmann’schem Vokabular vielmehr eine Variante der Formbildung im Überlieferungsprozess, die gegen die heute unbeliebte Linearität die Frage nach Ausdifferenzierung durch modale Wechsel und Implementierungstechniken setzt.

Doch das Wiedererscheinen eines Mediums in der Form eines anderen gleicht nicht „der Sichtbarkeit, wie sie im Film so evident scheint“. Sichtbarkeit und Sichtbarkeit sind zweierlei, das rekursiv wiedergewonnene Beachten der Selbstreferenz (als stabilisierendem Semantisierungsfaktor) ist nicht jene Visualität, die im Film zum Schauen einlädt und Digressionen Vorschub leistet, die auf das wahrnehmende Subjekt in seiner Gefühlsqualität erinnern. Es geht nicht nur um Affektauslösung durch das Bild bei dem fotografiertem Objekt als Betrachter, sondern um das Absehen von Medienwechseln als bloßen Markierungen eines Wechsels bestimmter technischer Fertigkeiten.

Die Genealogie des Fotografischen ist Verhandlungssache, Anerkennungsfrage, Wahl einer Perspektive, wie der Rekurs auf den Namen des Mediums Fotografie selbst als Ergebnis von Unwahrscheinlichkeiten zeigt: Wir könnten heute statt von Fotografie auch von „Heliogravüre“ (Niépce) oder „photogenic drawing“ (Talbot) sprechen. Die Natur des Mediums Photo-Graphie ist indes, wie hervorgehoben wird, nicht die Einschreibung, sondern die chemische Umwandlung. Der Topos der Metamorphose erlebt hier seine Wiederkehr auf dem Feld der Herstellung eines visuellen Zeugnisses, dessen Zeugnischarakter mittlerweile bestritten wird. Nicht, wie es gewesen, zeigt das fotografische Bild. Es verweist auf eine Technik und auf deren Rezeption im inhaltlichen Gewand einer Zeit, ist die Verdichtung eines Darstellungsmodus. Weder markiert die Technik dies eindeutig im überliefernden Prozess, noch kann sie das Geheimnis der Bilder entdecken. Es entsteht auf anderer Ebene, jener der Kommunikation und, wie gezeigt wird, vor allem ihrer Abbrüche: Das bin ich nicht. Die Fotografie im Anerkennungsdiskurs (Kemp: „Die Fotografie und ihre Vertreter waren Parvenus; sie hatten den gleichen Kampf um soziale Anerkennung auszufechten, wie im 14. bis 16. Jahrhundert die Bildkünste der Malerei und der Bildhauerei.“) ist eine Spielmarke, deren Platz immer neu bestimmt wird. Die Intermedialität kritisiert die geläufige substantialistische, kommunikative Attribution und kann den Medienbegriff „als historisch offenes Konzept“ auslegen.

Wie sehr diese Sicht auf das offene Medium, das nicht in einer gegebenen Positivität erstarrt, gerechtfertigt ist, zeigt der Blick auf die Geschichte des Fotografischen in Gestalt der Geschichte des Autorenfotos selbst: Wir verhandeln, was wir sehen; dieses „wir“ ist aber eine optimistische Annahme in der Beschreibung von Überlieferungsbeziehungen. „Was hier interessiert, ist die Parallelisierung der Wahrnehmungssinne mit dem Set medialer Kanäle, also der intermediale Bezug von Wahrnehmungs- zu technischen Medien“, das heißt der Wahrnehmungssinn, der Sinn, mit dem wahrgenommen wird, gehorcht den Möglichkeiten, die das zu einem bestimmten Zeitpunkt verbindliche Set von Regeln als durch spezifische mediale Kanäle gegebene Möglichkeiten nahelegt. Das Wahrnehmen folgt so einem durch das Medium gebahnten Ausdruck, es überschreitet diesen medial initiierten Bereich durch Brüche, Schocks und Befremdungen. Sich auf einem Foto nicht wiederzuerkennen heißt, durch das Eigene befremdet zu sein, das einem unzeitgemäß gegenübertritt. Diese Konstellation, im Einwilligen in die Applizierung von Technik sein eigenes Unähnliches hervorzubringen, zeigt das grundsätzliche Paradox an, das nicht nur im Fall der Fotografie für die Überlieferung prägend ist. Individuelles und Kollektives integrieren sich nicht gegen, sondern durch das Missverständnis, die infelicity im kommunikativen Gefüge, angezeigt dadurch, sich selbst nicht mehr kenntlich zu sein, begleitet als konstitutive Irritation die differenzierende Entwicklung des Mediums. Sie ist in der Vorbereitung seiner Integration in den Markt enthalten. In evolutionärer Wendung: „Dass Medien hochselektiv sind, ist unsere aktuelle Version der Erzählung vom Medienbruch. Und erst die Bezugnahme – kommunikativ oder technisch – zu den Anderen ermöglicht es Medien, ihre Akzeptanz und ihre Funktion zu erzeugen, indem der Bruch, der sie ermöglicht, dissimuliert wird.“

So läge das Gelingen der Überlieferung von der erfolgreichen Herstellung eines Bezuges ab. „Zu den Anderen“, nicht von den Anderen weg in allzu selbstbewusstem Vertrauen auf eine apersonale Technizität des Mediums, die es nur in reifizierender Verkürzung hatte. Wenn der Anerkennungsdiskurs für die Akzeptanz der Medien (am Beispiel Fotografie) zentral ist, erzeugt sich Funktion über kommunikative Übereinkunft: Kein Einvernehmen, das zeigt der Wettlauf um den Gründungspunkt des fotografischen Mediums, sondern eine wechselseitige Abschleifung des Begehrens nach Bedeutung. Und das Medium ist nicht die Grenze: Im Raum des Inter-Medialen finden sich verschiedene Verhandlungsanordnungen, und die Möglichkeit, an ihnen nicht teilzunehmen, ist die, sich unwiederbringlich zu verspäten. Auch dies folgt einer Logik von Erwartung und Erfüllung. Aus der gemeinsamen Identifizierung eines Paradigmas folgt, mit Kuhn, nicht die Einigkeit über seine vollständige Interpretation und Rationalisierung.

Im Blick nicht zuletzt auf Roland Barthes‘ prägende Arbeiten werden Konnotationsverfahren als „die Einbringung eines zusätzlichen Sinns in die […] fotografische Botschaft“, als Pose und Objekte analysiert. Die Einheit des Symbolischen ist in der Fotografie (und ihrer Geschichte) nicht zu haben, schon die intermediale Genealogie des Dichterbildes geht mit den Referenzen Balzac-Baudelaire auf einen Doppelaspekt zurück. Honoré de Balzacs Angst vor der Daguerreotypie (mit seiner Privilegierung der „Hand auf dem Herzen“) wird bei Baudelaire zum „Pakt“ mit dem Medium; er möchte Abzüge seiner Person seinem umstrittenen Werk mitgeben, als Verkaufsargument und gelenktes Selbstbild in den Rezeptionsprozess integrieren. Doch: das Gesicht, das zum Mittelpunkt der Bildwahrnehmung gemacht zu haben Merkmal des Autorenfotos sei, wird nicht zum „reinen“ Gesicht in einem „gedeckten“ Genre (Bickenbach), denn „ein Rest freilich bleibt stets“.

Der Pakt mit dem Medium ist eingebettet in Redundanz, und diese kennzeichne es mehr als ein Informationswert. Eben mit diesem kann man im Falle des Autorenfotos nicht mehr ungebrochen rechnen. Gegenwärtige Romane kennen die Kraft, mit der ein Bild seinen Informationswert hin zur Einbildungskraft öffnet, so Ulrich Peltzer in „Teil der Lösung“: „Es ist ein Irrglaube, dass die Bebilderung einer Geschichte Prägnanz verleiht. Als würde erst ein Bild die Echtheit eines Ereignisses bescheinigen, es hat stattgefunden, es war real. Wie ein amtliches Dokument bei einer Kontrolle, ha’m wir Bilder davon? Für mich funktioniert die Welt immer noch anders.“

Information ist Reduktion, nun wird sie auch so rezipiert und zu anderen Zwecken verschoben, die vom Zweckbegriff wegführen. Das Verlockende der Illustration ist die scheinbare Feststellung eines Ereignisses ins Bild; dass man sich oft gerade an Szenen, die auf einer Fotografie in den Augenblick gebannt zu sein scheinen, kaum erinnert, zeigt die Paradoxie des Mediums an. Der „Rest“ bezieht sich nicht nur auf das Fantasma des „reinen Gesichts“, sondern auch auf die Weise der Rezeption. Die „Verschränkung von Redundanz und Attraktion des Gesichts“ führe zum Erfolg des Autorenporträts „in und zwischen allen Medien“ – man kann es viele Male ansehen, wie es zurückzublicken scheint; der Erfolg des mit Luhmann gedachten Kommunikationsbegriffs heißt Anschlussfähigkeit.

Das „Foto als Direktkanal“ wird illustriert mit Fotobeispielen von Gabriel Garcia Márquez (das Gesicht als Landschaft in der Tradition zur Nahaufnahme, des Nahblicks auf das fotografierte Objekt), Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (gelesen von Walter Benjamin in der „Kleinen Geschichte der Photographie“: Schellings Rock und die Unsterblichkeit, Falten wie Falten im „Antlitz“), Stefan George (das Foto im Profil als Merkmal von Zeitenthobenheit als Anspruch) oder Arthur Rimbaud (der zornige, schöne junge Dichter mit den verschatteten Augen). Die Empfehlung lautet: „Man muß dem Autorenfoto gegenüber skeptisch sein.“ Diese Skepsis wird noch deutlicher am Beispiel der Autorenfotos Paul Celans: Das Autorenfoto auf der blauen Suhrkamp-Werkausgabe markiert den Standard, das Bild auf der Celan-Biografie von John Felstiner zeige den Dichter „als Schlemihl“, mithin von einer Seite, die zu seinem Werk nur unter Verkürzung „von der Seite des jüdischen Witzes her“ zu passen scheint. Dass große Autoren auch lachten, ist die mindere Überraschung. Die Garbo lacht.

Was aber ist das punctum, in Barthes’ Theorie das, was anspringt und anspricht, was das kontingente Bild lebendig macht und ihm eine Notwendigkeit gibt? Das studium (den anschließenden Blick) durchbricht? Ein Punkt ist das Zurückblicken des Porträts auf den Betrachter. In einem Moment entworfen, in dem der, der einen nun anzuschauen scheint, nichts sieht, bereitet sich große Nähe vor. Das Klischee des souveränen Ausdrucks, in dem ein Lächeln die Lippen umspielt (Barthes), als werde man zwar gebannt, wisse es aber besser, ist Selbstverteidigung schon vor den Blicken, die kommen werden.

Die Fotografie hat die Macht mir direkt in die Augen zu sehen (Barthes); hieraus entwickeln sich (der Kontakt, die Frontalansicht gilt als altertümlich) spezifische Konstellationen in der Zeit, in denen etwas erkannt wird. Ulrich Richtmeyer hat dies in seiner Studie über „Kants Ästhetik im Zeitalter der Photographie“ kürzlich prägnant dargestellt und hat auch der Bewandtnis des punctum in diesem Zusammenhang Aufmerksamkeit geschenkt. So verschränken sich die Diskurse ineinander. Was mich anspricht, erreicht ein Gefühl „zwischen Erkennen als Anerkenntnis und Bloßstellung“ (Bickenbach), ein Ende der Blicke wird es in dieser Situation nur vorläufig geben, die Blöße bleibt wie die Anerkennung und letztere kann sie, im gedeckten Diskurs des Autorenfotos, nicht ganz verbergen, erkennt sie also umso mehr. Der unerfüllte Blick sei mithin Merkmal auch des Autorenfotos: Die „Kunst“ besteht darin, sich vom unerfüllten Blick erkennen zu lassen, eine Erfüllung müsste mithin jenseits der Rezeption liegen.

Franz Kafkas traurige Kinderaugen etwa werden zum punctum, fremd im Atelier mit Zimmerpalme und nutzlosem Rüststock, Benjamin kennt das Atelier aus den Kindertagen, umstellt vom in die Zeitlosigkeit des Bildes führenden Atelier-Inventar, im Text „Die Mummerehlen“. Intermedialität, Intertextualität, Intertemporalität verbinden sich zum Panorama des Hintergrunds der Fotografien. Ihr Gedächtniswert liegt nicht in einem nicht mal abstrakten Informationswert, sondern in der Fähigkeit, durch die Zeiten zu gehen und doch konkret zu sein. Sie bewahrt den Augen-Blick, in dem Lebendiges zur Pose gefror, zur Selbstimitation. Der offene Blick des Bildes, das ein Anderer sehen wird und das diesen Anderen in seiner Zufälligkeit ansehen wird, ist Merkmal der Gattung: Der Autor wird den ansehen, der ihn sehen will. Dabei wird aus Figuren der „Befremdung“ das Sichtbarwerden: „Das Verhältnis von Möglichkeit und Wirklichkeit [eine Robert Musil-Referenz] ist hier als Entwicklung in der Zeit gesehen, was explizit mit der Entwicklung der fotografischen Platte verglichen wird, ohne jedoch damit eine schicksalhafte Vorbestimmung zu konnotieren. Der Blick auf dem Foto zeigt vielmehr die Differenz zu sich selbst“.

Es folgt ein längerer Abschnitt zur „Tautologie“ der schreibenden Hand, manus loquens und deren Stillstellung im Bild (mit wenigen Ausnahmen) sollen das Autorenfoto kennzeichnen. Der Begriff der Tautologie ist indes der herkömmliche. Gerade die scheinbar tautologische Gestalt vermag etwas über die Dopplung zu sagen, an ihr werden nicht nur Praxen der Sinnzuschreibung und Sinnverminderung in spezifischen Kontexten deutlich, sondern sie markiert gerade das Potential des metonymischen Bildes, als welches der Autor die Autorenhände fasst, pars pro toto stehend für eine Kulturtechnik, die gerade nicht ruht: Sie ist ausgestellte Natürlichkeit in den Grenzen des Kulturwertes, des Schreibens, das ein Werk hervorzubringen hat, als eine Gesamtschau der Vorstellungen eines Individuums.

Zutreffend ist indes die Sicht auf Repräsentation als Still-Stellung. Der ausgestellte Zweck darf nicht schwinden, er zeigt sich zur Beglaubigung in einer sich selbst unterstreichenden langen Weile, hält die Zeit an, um im Fantasma der berühmten Zeitgenossen (das mit Anführungszeichen versehen, aber nicht kritisiert wird) dauerhaft und so bald in sie einzugehen.

Die Geste der ruhenden Hände stabilisierte das Medium. Michel Foucault, lächelnd, es besser wissend auf der Fotografie, die bis zur 3. Auflage das Metzler-Lexikon zur Literatur- und Kulturtheorie illustrierte, machte einen „ironischer Kommentar“ zu einer wirkmächtigen Symbolik. Diese Ironie aber ist bewusst kalkuliert. Es ist die Geste der Porträtierten, die vom Porträt wegstrebt.

Der abschließende dritte Teil der Arbeit ist der „Zirkulation und Verteilung als kulturelle[m] Gedächtnis“ gewidmet. Die Geschichte wird aufgerufen: Imagines et loci als Grundpfeiler der Gedächtniskunst – man stellt das zu Merkende imaginativ an einen festen Ort, den man wieder begehen kann – die Gedächtniskunst der Antike als neuzeitlich-universales Prinzip des „Weltgedächtnisses“ et cetera. Die kontextuellen Rahmungen folgen dicht aufeinander. Das „kulturelle Gedächtnis“ löst sich in der Tat auf in „Diskurs und Verhandlung über Kulturelles“. Das „Dispositiv des Albums“ sei „Mutation kultureller Erinnerung“. Die Prinzipien kultureller Gedächtnisleistung stützen ihr neues Subjekt, mit den Vorläufern in antiken Praktiken. Unter dem schönen Begriff „Tempelkonkurrenzen“ entwickelt Bickenbach seine nähere Untersuchung: „Es ist eine antike Versprechung, die im 19. Jahrhundert die Nationalstaaten lockt.“ Das Autorenfoto partizipiere an der Überzeugungskraft dieses Versprechens, deute es kulturell aus, in Akten, die eine Kultur des Gedenkens in die Praxis überführten und durch diese befestigten. Intermedial werde „die Übertragung von Namen und Vorstellung[en] auf Fotografie“ übersetzt, übertragen werde der „Rahmen der idealen Versammlung“. So tragen zeitabhängige Kontextualisierungsformen die Konzentrationen des Gedenkens (Summenbildung) durch die Jahrhunderte. Das Autorenfoto hat seinen Platz in dieser zerfransten Linie der Überlieferung, die schon durch den wiederholten Schock des punctum sich der Linienform entzieht. Wie die „Materialisierung“ des Kanals zu Privilegierung als Modellfunktion führt, etwa „der Elektrizität und des Telegrafen“, vergisst diese Studie die Körperlichkeit des Mediums nicht. Bezug und Vokabular der Medienevolution sorgen dafür. Auch die „Bildnisevolution“ wird nicht vergessen, die Rolle bildlichen Ausdrucks für Überlieferungsprozesse namhaft gemacht. Eine Begriffsklärung erfolgt: „Als Medienevolution möchte ich nicht einfach den Prozeß der technischen Erfindung bezeichnen, sondern die (nachträglich beobachtbare) Durchsetzung von restabilisierenden Standards, die den Erfolg einer Technik erst erlauben.“ So wird zusammengetragenes Wissen, nicht als Menge der Inhalte, sondern als Menge der Erscheinungsmodi, beschreibbar im Gestus der zeitlichen Nachträglichkeit, die auch auf den Raum einwirkt, auf der Produktionsebene der Fotografie als Haltbarmachung, das „Problem der Fixierung“. Distributive Macht erscheint hier als Konservierungskompetenz.

Mit einem Durchgang durch den „Raum des Ateliers“, wo mit „durchaus magischem Nimbus“ die Verwandlungen der kleinen und großen Bürger in Objekte stattfinden sollen, wird bemerkt, dass „Auswahl und Sammlung“ „die notwendige Konsequenz“ der Bilderflut seien, eine evolutionistische Tönung führt auf den Zentralaspekt der Medienevolution zurück. Das Salonpublikum in den Ateliers, die Gesellschaft im kleinen wartend auf ihre Vervielfältigung – die Szene macht den Ort zum „Tempel“, an dem man sich trifft, um gesehen, um getroffen zu werden, als frühe Antizipation der plötzlichen, dann immer mehr gesuchten Sicht auf sich selbst, vorausdeutend auf Elias Canettis „Komödie der Eitelkeit“, in der nach dem totalitären Spiegelverbot der Narzissmus der Massen aufbricht. Mit Foucault, dem die Arbeit viel verdankt, handelt es sich um gelebte Heterotopien, kommunikative Funktionen, die sich überlagern an einem Ort. Richtig ist dabei die Bemerkung: „Aber es gibt keinen Ort für alle.“ Die Orte, an denen fotografiert wird, segregieren sich nach Interessen.

Mutation und Rekombination zeigten sich am Beispiel des Fotoalbums; „Eigenschaften des Buches und der Ausstellungswand“ werden zu etwas Neuem. Dieses Neue ist wieder Beleg für die sich ausbreitende Kraft der Zirkulation des Bildes: Man schaut an und trägt weiter, was die Images der Bürger anschaulich macht und weiterträgt: Das Bild als „Kodex“. Ludwig Wittgensteins „Vorwort“ zu den „Philosophischen Untersuchungen“ wird genannt, der Gestus, der sagt, sein Buch sei „nur ein Album“, initiierte nachdrücklich eine neue, nachsystematische Form der Wissensdarstellung, die Wittgenstein selbst noch auf ein Unvermögen zurückführte. Das Album als „Medium loser Kopplung“ entlässt die Gewissheiten der Zirkulation in die Unübersichtlichkeit der Moderne, die später, im Post- und Postpostuniversum daraus eine Tugend macht. Doch nicht nur die Bürger, die bloßen „Knipser“, bedienen sich des Mediums; es konstituiert Ruhm und scheinbare Dauer in der Zeit. Wenn die „Vorbilder“ ins Album integriert werden, findet eine „Osmose“ (Jean Sagne) statt, man trifft sich in der räumlichen Nähe der Porträts zueinander, die die Unterscheidung von Privatum und Öffentlichkeit verschwimmen lässt: Das Medium ist privat, beobachtet werden öffentliche Bilder. Und vice versa: Die Technizität des Mediums integriert seine apersonale Seite mit dem Moment der Bildbetrachtung im geschützten Raum.

Sehr gelungen ist Bickenbachs Passage über „Name und Bild“: „Das Exempel stachelt zur Liebe an. Die Liebe zu den Geistesgrößen, die im Humanismus „die Herzen entfachte“, animos inflammare, mit der Diktion Erasmus’ zu sprechen, ist die Erfüllung der Sendung, das Eintreten der mimetischen Wirkung im Herzen der Betrachter.“ Wie Bilder entflammen (und durch Dauer beruhigen), wird im Rekurs auf Traditionen von den Bildnisreihen Andrea Fulvios (1517) bis zu Fulvio Orsini (1570) und Nicolaus Reussner (1587) erläutert. Die „Unhinterfragte Vorbildlichkeit und Geschlossenheit ihrer erlesenen Versammlung“ gab den Kompilationen das Vornehme des gesuchten Zusammenschlusses, der historisch je einmaligen Wahl, mit der die Bilder an ihrem jeweiligen Ort ausstellbar gemacht wurden. „Die Vorbilder waren gewissermaßen immer“ eine geschlossene Gesellschaft, huis clos der Bilder auf nahem Raum.

Matthias Bickenbach führt uns durch die verschlungenen Entwicklungswege des Mediums Fotografie, die von der Aufmerksamkeit auf das Autorenfoto geleitet werden. In gut lesbarer Sprache eröffnet er das Panorama der gebannten Bilder, der Pantheon und das Album als „mediale Räume“ wandeln den Umgang der Lesenden mit dem Medium. Erinnerung sei „die Frequenz des Wiedererscheinens im Bild“, die Serialität „verschiebt“ das „Versprechen der Versammlung“ in „die Zeitlichkeit und vermag genau deswegen Name und Titel zu beleihen“. Vom Heiligtum der Götter zum Ort „berühmter Männer“ ist das Pantheon als Modell wirksam. Die Distributionsmacht entscheidet über Ausstellung und Zirkulation.

Der Band wird beschlossen mit der Frage nach Text und Bild, die, in einem Text, der ursprünglich ein Vortrag war, den Intermedialitätspunkt wieder aufnimmt: Die Fotografie ist auch hier das ,schuldige‘ Medium, das als Norm fungiert und so Ausschlussprozessen Vorschub leistet. Die „Intermediale Korrespondenz“ statt Barthes’ „Gemeinschaft der Bilder“? Es bildet sich zumindest ein „Verdacht“.

Die Verdrängung der Wortvalenzen durch das Bild oder der Bildvalenzen durch das Wort zu entscheiden, würde ein Vorurteil bilden. Die Anerkennungsprozesse sind ausschweifend und intrikat, nicht leicht festzustellen. Gut ist der differenzierende Hinweis, dass der Text mit der ihn illustrierenden Fotografie nicht mehr „als impliziter Bestandteil der Darstellung“ auftritt. Hier verschiebt sich die Entscheidungslogik in die Gewohnheiten modaler Wechsel. Text und Bild, wechselweise aufeinander bezogen, situieren das Medium Fotografie im Raum produktiver Paradoxierung, wie im Blick auf das Schriftbild sorgfältig weiter ausgeführt wird. Das Bild ist nicht nur „Echo und Schrecken der Schrift“, sondern auch dessen theoretische Fortentwicklung: als Schriftbildlichkeit. Die Umkehrung Text-Bild ist indes nicht nur eine „Vertauschung“, wie der Autor anmerkt. Sie „produziert […] Störungen“, in denen sich Abläufe modifizieren und so als Evolutionsmodell erhalten können.

Ein abschließender Gang durch den Buchladen als Topos (Shakespeare and Company, Sylvia Beach und Joyce’s „Ulysses“) begibt sich auf die Ebene konkreter Räumlichkeit; so wurden die Bilder und Bücher in freundschaftlichen Banden distribuiert. Die „Fotografische Bildlichkeit […] mit der Redundanz der Abbildung“ sichert das Fortleben des Celan’schen Topos der „Menschen und Bücher“ als disponiblem Heimatort durch die Zeiten.

Das Autorenfoto sei mit dem Rahmen des literarischen Diskurses verknüpft, es ist als „intermediale Transkription der Unterschrift […] die Signatur der Person als ihr Bild“. Mit Barthes besitzt das fotografische Bild „strukturale Autonomie“. Diese ist im Fall des evolutionären Modells gerade nicht gegeben. Das Gesetz wird hier nicht selbst gegeben, Ziel ist die Arterhaltung. So ist das Medium in der Medienevolution Teil eines Prozesses der Überlieferung, in dem Vorstellungen überleben, ausgeschlossen werden, rekombiniert werden, in einem Blick, dem die Existenz alles ist, aber nicht die Zeit. Der schöne Gedanke der Anachronie des fotografischen Mediums erweist sich als zentral; er enthebt dessen performative Gewissheit der Zurechnung zu nur einer Zeit (interessant wären auch gewesen: eine Verbindung zur evolutionären Erkenntnistheorie wie eine genauere Fokussierung der biologischen Kategorien.).

Evolution und Revolution also als Gegensatz? Revolutionen haben sich „als fast unsichtbar erwiesen“ (Thomas Kuhn in „The Structure of Scientific Revolutions“). Sie sind eher „Erweiterungen“ als Umstürze und münden wie selbstverständlich ein in den Strom evolutiver Kompetenzen, die eine Kontinuität der Art garantieren. Das evolutionäre Bild der Gesellschaft, in dem evolutive Universale als Mechanismen in Anschlag gebracht werden (Luhmann), vermag die stillen Revolutionen zu integrieren – die Dichotomie der Strukturen Evolution-Revolution ist vielleicht selbst ein Mittel zum Überleben, mit Francis Bacons Idolenlehre ein Trugbild des Marktes angelegentlicher wechselseitiger Verständigung. Baudelaires skeptischer Blick begeleitet diese Geschichte.

Titelbild

Matthias Bickenbach: Das Autorenfoto in der Medienevolution. Anachronie einer Norm.
Wilhelm Fink Verlag, München 2010.
430 Seiten, 49,90 EUR.
ISBN-13: 9783770549481

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