Wälsungenblut, deutschreligiös

Ingo Niermann und Alexander Wallasch proben mit ihrem Porno-Roman „Deutscher Sohn“ die ultimative Provokation

Von Jan SüselbeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Süselbeck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dieser Band sollte einschlagen „wie eine Bombe“? Es sei der „erste große Roman über deutsche Afghanistan-Heimkehrer“, urteilte Christopher Schmidt in der „Süddeutschen Zeitung“. Das ließ aufhorchen: Endlich einmal ein gelungener Text über den umstrittenen Bundeswehreinsatz am Hindukusch? Das wäre in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, die um dieses heiße Eisen bisher eher einen großen Bogen gemacht hat, eine Überraschung gewesen.

Ingo Niermann, der sein Publikum unter anderem mit dem zwielichtigen Esoterik- und Weltverschwörungspamphlet „Metan“ eher ratlos machte – einem obskuren Science-Fiction-Reise-Bericht, den er 2007 zusammen mit Christian Kracht publizierte – hat sich nun einen neuen Co-Autor gesucht: An „Deutscher Sohn“ schrieb Alexander Wallasch mit, dessen Debüt-Roman „Hotel Monopol“ Niermann 2006 in der „Welt“ rezensierte. Irgend etwas muss da zwischen den beiden wohl gefunkt haben. Und nun haben wir den Salat.

Harald Heinemann (28), genannt „Toni“, ist in Afghanistan schwer am Oberschenkel verwundet worden. Zurück in Deutschland, wirft er permanent Schmerzmittel ein und trinkt ohne Ende Adelskronen-Pils aus Plastikflaschen, während seine klaffende Verletzung einfach nicht mehr heilen will. Die meiste Zeit ist der Rekrut an einen „Multifunktionskippsessel“ gefesselt. Gegen die Langeweile surft er gerne auf seiner Lieblings-Website „gangbang-nordlust.de“.

Gleichzeitig übt der gehandicapte Kriegs-Veteran auf Frauen eine ganz erstaunliche Anziehungskraft aus. Selbst Katja, eine attraktive Lokalpolitikerin der Linkspartei, wird schwach: „Ich will auf Dein Gesicht!“ stöhnt sie bereits kurz nach dem Kennenlernen los, und der Ich-Erzähler staunt nicht schlecht: „Jetzt steigt die schöne Linke aufs Bettsofa und senkt sich auf mein Haupt, als wolle sie im Wald pissen.“

Umso fröhlicher wird im Text weiter kopuliert, als die 19-jährige Pflegepraktikantin Helen auf den Plan tritt. Sie lässt sich ihre Körperöffnungen von dem agilen Rekonvaleszenten begierig mit Dildos, Scheren und zuletzt sogar einem ganzen „Avocadogelege“ stopfen: „FICK DIE KERNE EINFACH WEITER REIN. Bitte.“ Dazu legt das Pärchen übrigens Richard-Wagner-Ouvertüren von „Tannhäuser“ bis „Rienzi“ auf: „Traumhaft schön!“

Diese drastische „Feuchtgebiete“-Version von Thomas Manns Décadence-Novelle „Wälsungenblut“, in der Wagners Musik auch schon den passenden Ur-Soundtrack für verruchte Schmusekurse auf dem Bärenfell liefern musste, ist das eine. Doch Niermann und Wallasch setzen noch einen drauf. Toni entstammt einer Sippe von „Deutschreligiösen“ – gläubigen Rassen-Esoterikern, die ihre Linie vom Aussterben bedroht sehen und letzte Hoffnungen in den kampferprobten „Deutschen Sohn“ setzen. So kommt es, dass ein Großteil der über 300 Seiten des Romans vor misogynen und rassistischen Germanien-Mythos-Hirngespinsten nur so strotzt.

Ausgerechnet während einer Aufführung von Wagners „Parsifal“ erkennt Toni seine Auserwähltheit schließlich selbst, begleitet von einer altbekannten Geste: „Instinktiv, in absoluter Klarheit, strecke ich meinen rechten Arm in Richtung Bühne aus.“ Entzückt entfährt es dem Erleuchteten: „Die Weltenesche! Die heilige Irminsul!“ Ganz am Ende erkennt der messianische Protagonist dieses angeblichen Antikriegs-Romans: „War Afghanistan fremd für mich, wird es allen meinen Nachfahren vertraut sein. Durch mich.“

Pazifismus klänge wohl anders. Klar, das ist bloß Literatur – und der Text deutet an, dass das alles auch wieder nur eine Halluzination gewesen sein könnte, als Folge eines hypnotischen Zustands des Ich-Erzählers in einer posttraumatischen Therapiesituation. Das sind jene berühmten „Brüche“, die man auch Niermanns früherem Co-Autor Kracht immer wieder emsig zu Gute hält, wenn er mit ähnlichen Irritationen spielt.

Gleichermaßen aufschlussreich wie lustig ist es in jedem Fall, zu lesen, zu welchen Urteilen sich etwa Ingeborg Harms in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ verstieg, wo sie den Roman als „Literatur auf Patrouille“ klassifizierte, „unterwegs im deutschen Verdrängten“: Das Buch sei von „unerschütterlicher Sachlichkeit“, „analytisch nüchtern und informiert“ und eine „anthropologische Expedition ins Innerste der Republik“, ja lebe „von einem Realismus, der vor keinem menschlichen Faktum zurückschrecken“ müsse: „Satz für Satz beginnt man diesem Werk mehr zu trauen, sich aufgehoben zu fühlen im kühlen Pathos eines Humanismus, der sich jeder effekthaschenden Opferrhetorik enthält.“

So klingt es, wenn Rezensentinnen im deutschen Edel-Feuilleton in Hochform sind: Den überbordenden Sexismus des Romans versteht Harms origineller Weise als „produktivere Ergänzung von Sachverstand und Reproduktionsbegehren“, sei er doch als „Hybrid aus weiblicher Natur und männlicher Zucht angelegt“. Lieber Gott, lass Abend werden, das steht da wirklich: „Das Ergebnis ist eine streng geführte Prosa, die das kosmopolitische Erbe der Klassik neu durchdenkt.“

Tatsächlich erzeugt dieser Roman nichts weiter als das, was man gemeinhin Affirmation nennt. Schlimmer noch: Junge NPD-Wähler dürften diesen Text letztlich mindestens genauso genießen können wie unbelehrbare Popliteratur-Dandys und ihre literaturwissenschaftlichen Nachbeter. Was sich der Blumenbar Verlag davon erhofft hat, dieses Buch zu veröffentlichen, kann man sich denken: Gewinn. Verloren hat er dadurch jedoch symbolisches Kapital: Nicht alle Provokationen sind witzig, nicht jede Obszönität ist so „erhaben“, wie der Klappentext des Bandes suggeriert.

Anmerkung der Red.: Der Artikel erschien bereits in gekürzter Form in der „taz“ vom 9. Oktober 2010.

Titelbild

Ingo Niermann / Alexander Wallasch: Deutscher Sohn. Roman.
Blumenbar Verlag, Berlin 2010.
316 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783936738759

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