Schlafender König – engagierter Dämon

Rüdiger Görner gibt Bettina von Arnims „Gespräche mit Dämonen“ neu heraus

Von Misia Sophia DomsRSS-Newsfeed neuer Artikel von Misia Sophia Doms

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

1852 publiziert Bettina von Arnim – wesentlich als Reaktion auf das Verhalten Friedrich Wilhelms IV. in und nach den Revolutionsjahren – eine Fortsetzung ihres ‚Königsbuchs‘ von 1843 („Dies Buch gehört dem König“). Die als literarischer Dialog gestalteten „Gespräche mit Dämonen“ beeindrucken den heutigen Leser durch ihre in vielfacher Hinsicht gewagte Form: Es erscheint beispielsweise bemerkenswert, dass und wie hier mehrere Gespräche durch die Fiktion der visionären Augen- und Ohrenzeugenschaft miteinander verwoben werden. Weiterhin sind auch die Gesprächskonstellationen alles andere als gewöhnlich. So ist der größte Teil des Dialogs als Unterredung zwischen einem politisch engagierten Dämon und dem schlafenden Preußenkönig gestaltet: Eine Person, die vorübergehend eigentlich gar nicht ansprechbar ist, kommuniziert hier also mit einem Geistwesen, das einerseits innerhalb der Psyche des Königs angesiedelt scheint, ja vielleicht von ihm nur erträumt wird, während es andererseits als äußere Macht und dabei wohl zugleich als alter ego der Autorin auftritt.

Darüber hinaus fällt am Gespräch zwischen König und Dämon auf, dass die Diskussion der beiden, die der Frage nach dem rechten Umgang mit dem Volk und den schuldigen Revolutionären gewidmet ist, keinen linearen oder auch nur psychologisch plausiblen Verlauf nimmt. Die Unterhaltung ist vor allem durch ein permanentes Oszillieren der königlichen Position zwischen Vertrauen und Misstrauen gegenüber dem Dämon, zwischen einer zustimmenden und einer ablehnenden Haltung zu dessen Sicht der Dinge bestimmt. Bisweilen geht die Annäherung des Königs an die Position des Dämons dabei so weit, dass Monarch und Geist mit einer Stimme zu sprechen scheinen: Der König wird vorübergehend gleichsam zum Sprachrohr der Utopie des Dämons, die ihn als Schöpfer eines neuen Goldenen Zeitalters in Europa sieht. Von der Ansicht des Dämons, dass sich diese Vision durch eine Begnadigung aller Revolutionäre und den preußischen Schutz für all jene Völker verwirklichen lasse, die nach der Niederwerfung der jüngsten europäischen Revolutionen geknechtet werden, ist der Herrscher allerdings nicht zu überzeugen. Immer wieder bekräftigt er – zumeist völlig unvermittelt – seine anfängliche autoritär-antirevolutionäre Position und kehrt sich dabei zugleich abrupt von der Utopie des Dämons ab. Die Gewissheit einer endgültigen Überredung des Königs erhält der Leser selbst dann nicht, als der König gegen Ende des Dialogs Zeuge des Gesprächs verschiedener personifizierter Volksgeister und weiterer Geisterwesen wird.

Trotz des lesenswerten Nachworts, das Rüdiger Görner zu seiner Neuedition verfasst hat und das zugleich als informationsreiche Einführung und gelungene Interpretation rezipiert werden kann, ist die hier vorliegende Ausgabe für den Gebrauch in Forschung und Lehre nur eingeschränkt und jedenfalls nicht als Zitiervorlage zu empfehlen, da ihr leider nicht genug redaktionelle Sorgfalt zuteil geworden ist. Paradigmatisch für diesen Mangel ist der Umstand, dass auf dem Umschlag und Buchrücken von Bettine von Arnims „Gespräch mit Dämonen“ die Rede ist, während das Titelblatt beansprucht, Bettina von Arnims „Gesprächen mit Dämonen“ voranzustehen.

Besonders müssen aber zahlreiche Transkriptionsfehler in der Edition selbst als störend empfunden werden, von denen sich wiederholt mehrere auf einer Seite finden. So wurden, um nur zwei Beispiele zu geben, in der Frakturschrift schwer zu unterscheidende Buchstaben verwechselt, wenn im Text etwa „blutdürftige“ statt „blutdürstigen“ Geißeln auftreten oder von den „Rachlebenden“ statt den „Nachlebenden“ die Rede ist. An anderen Stellen sind etwa fehlerhaft gesetzte Leer- und Satzzeichen, verstellte und ausgelassene Buchstaben sowie fehlende Wörter und andere Flüchtigkeitsfehler der verstehenden Lektüre hinderlich. Sogar der Leser, der keinen zitierfähigen Text, sondern nur eine Leseausgabe sucht, wird diese gehäuft auftretenden Mängel als nachteilig empfinden.

Zu kritisieren ist weiterhin, dass Görner bisweilen auf die Erläuterung dringend kommentierungsbedürftiger Textstellen verzichtet, während andernorts erstaunlich engmaschig kommentiert wird. Wer „Haynau“ ist, erfährt der Leser nicht, wie denn auch viele aus heutiger Sicht eher rätselhafte Anspielungen unkommentiert bleiben, dafür wird ihm etwa zu „Prometheus“ ein umfangreicher Kommentar geboten. Immerhin aber bleibt der Neuedition neben dem hervorragenden Nachwort das Verdienst, wieder an einen Text erinnert zu haben, der bei aller Involviertheit in das tagespolitische Geschehen seiner Zeit in seiner Form zugleich auf die gewagtesten Dialogexperimente der Moderne vorausweist.

Titelbild

Bettina von Arnim: Gespräche mit Dämonen.
Herausgegeben und kommentiert von Rüdiger Görner.
Berlin University Press, Berlin 2010.
264 Seiten, 34,90 EUR.
ISBN-13: 9783940432841

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