Geistreiches Giftgrün

Falko Rademacher erklärt seine Hassliebe für Berlin

Von Daniel KrauseRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniel Krause

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dies ist ein witziges Buch: Den Umschlag ziert ein Stinkefinger in Gestalt des Fernsehturms am Alexanderplatz. Es werden kenntnisreiche, gnadenlos pointierte Betrachtungen zu verschiedenen Aspekten des Berliner Lebens und Stadtgeschehens geboten. Sie ordnen sich zu vier Kapiteln: „Berlin am Rande des Wahnsinns“ – hier ist von Berlins politischer Klasse, ihrem Provinzialismus und „bananenrepublikanischen“ Affären die Rede –, „Körper Geist Seele Bauch“ (Kulinarisches, aber auch Oper), „Verkehrte Welt“ (Fußgänger und Automobile) und „Das dreckige Dutzend“.

Dieser letzte Abschnitt – sein Titel spielt auf Sergio Leones „The Good, the Bad and the Ugly“ an, den mehr berüchtigten als berühmten Italo-Western des Jahres 1966 – führt Veduten zu Berliner Stadtbezirken von „Mitte“ bis „Treptow-Köpenick“ zusammen. Alle Erwägungen stehen unter Vorbehalt: „Dieses Buch versteht sich als Satire im Sinne des Presserechts“. Ob dieser Hinweis selbst schon als Satire zu begreifen ist, die engherzig-ehrpusselige Saubermänner aufs Korn nimmt, die Unterlassungsklagen gegen Autor und Verlag vorbringen könnten, oder eine rechtliche Notwendigkeit darstellt, mag offen bleiben.

Jedenfalls passt er ins Bild einer heiteren wie scharfzüngigen Abrechnung, die Berlin und die Berliner nicht schont, aber viel Sympathie für die Stadt aufbringt: Denn „letzten Endes gleicht sich alles aus. Berlin hat praktisch den ganzen Rest des Landes zur Provinz degradiert und konkurriert schon gar nicht mehr mit deutschen Städten, sondern befindet sich auf einem gesellschaftlichen Level mit London und New York“.

Man sieht: Die Prosa Falko Rademachers ist von launigem Witz derart durchwirkt, dass manches Mal undeutlich bleibt, wo der Ernst endet und die Satire beginnt. Nimmt man des Autors prägnante Formulierungskunst und Liebe zum Bonmot hinzu – Rademacher war für Harald Schmidt und „7 Tage 7 Köpfe“ tätig –, ergibt sich ein Prosastil, der dem, was einst ‚Berliner Schnauze‘ hieß, recht nahe kommt: „Für Fachleute ist Berlin das Mekka des Nahverkehrs“, erklärt ein BVG-Vorstand. „Das Netz ist unglaublich verzweigt, der Nachtverkehr sucht seinesgleichen und findet ihn nirgends [Hervorhebungen Daniel Krause]“. Solcher Spürsinn für untergründige Verbindungen zwischen den Worten, die im Normalgebrauch nicht zu Tage treten, hat literarische Qualität. Der Autor hat ein Ohr für die Sprache, und darin liegt der Reiz dieses Buches.

Manch einem wird die Nähe zum Harald Schmidt’schen Duktus leicht forcierter Pointen- und Paradoxienkunst nicht recht behagen, zumal es an Derbheiten nicht fehlt: „Fahren Sie ruhig mal einen Motorradfahrer über den Haufen. Das macht dem nichts, der findet das lustig.“ „Subventionierung von Opernhäusern ist natürlich normal, da sich niemand Opern ansieht, sie aber zu unserem kulturellen Erbe gehören.“ „Der Hundescheiße-Faktor ist [in Neukölln] jenseits aller Vorstellungskraft, die herumlungernden Jugendlichen sehen nicht viel besser aus, und in den Hinterhöfen lauern Kannibalen, die kleine Kinder auffressen.“ Auch wimmelt es von „Sackratten“, „BVG-Rollkommandos“, „Arschgranaten“, „Möchtegern-Motherfuckern“ und „Furzmonstern“. Eine pathologische Obsession mit der Fäkal- oder Genitalsphäre ist nicht zu konstatieren, übertriebene Scheu oder Dezenz ebenso wenig. Die unausgesetzte, beinahe mechanische Erzeugung paradoxer Fügungen drückt sich bereits in Titel und Cover aus: „Hass“ und „Liebe“ in einem. Der Fernsehturm – Wahrzeichen der östlichen Stadthälfte – als ‚Fuck-you‘-Finger. Giftiges Umschlaggrün und aggressive Typografie, daneben Bonbon-Pink.

Wohlgemerkt: Falko Rademacher ist gründlich informiert und klärt mit Übersicht und Kenntnis über Hintergründe des Berliner Geschehens auf, darunter die Schuldenkrise der 1990er-ahre, die er zu Recht nicht aus geschichtlichen Zwängen ableitet, sondern politischen Maßgaben der Bonner Republik und der Bundesländer, die wenig Interesse an einer pekuniär satisfaktionsfähigen, den Rest des Landes zur Provinz degradierenden Hauptstadt erkennen ließen. Auch „Das dreckige Dutzend“ der Berliner Stadtbezirke wird kenntnisreich wie drastisch geschildert – mit besonderem Augenmerk auf die Charakteristik der Einwohnerschaft –, ohne freilich, dass formvollendete Berlin-Essays wie jene Walter Benjamins oder Franz Hessels zu gewärtigen wären.

All dies geschieht mit beinahe penetranter Zuspitzung und Überzeichnung. Daran ist nichts Schlechtes: Über die Wahl der Gattung – hier ist es Satire mit pamphlethaften Zügen – lässt sich nicht richten. Wer das „Berlinerhasser-Buch“ in die Hand nimmt, darf keine Argumente erwarten, wohl aber teils deftige, teils subtile Pointen in hoher Frequenz.

Titelbild

Falko Rademacher: Das Berlinhasser-Buch. Fast eine Liebeserklärung.
be.bra verlag, Berlin 2010.
222 Seiten, 14,95 EUR.
ISBN-13: 9783814801766

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